piwik no script img

Wo die Affen schreien

Tiere, die im eigenen Blut sitzen, Käfige ohne Beschäftigungsmaterial. Die Soko Tierschutz hat heimlich in einem niedersächsischen Versuchslabor gefilmt und fordert die Schließung

Von Katharina Gebauer

Die Tierrechtsorganisation Soko Tierschutz hat einen Undercover-Ermittler in ein Tierversuchslabor im niedersächsischen Mienenbüttel bei Hamburg geschleust. Vier Monate lang arbeitete der Aktivist als Tierpflegehelfer im Laboratory of Pharmacology and Toxicology (LPT). Gemeinsam mit der Tierschutzorganisation Cruelty Free International hat die Soko Tierschutz nun Filmaufnahmen aus dem Labor veröffentlicht, die den groben Umgang mit den Versuchstieren zeigen.

LPT ist ein privates Unternehmen, das für die Chemie- und Pharmaindustrie neu entwickelte Stoffe an Tieren testet. Die dort an Hunden, Katzen und Affen unternommenen Tierversuche verstoßen jedoch laut Soko Tierschutz gegen die EU-Versuchstierrichtlinie.

Die Aufnahmen zeigen, wie Hunde in gefliesten Räumen mit Metallgitterstäben in großen Mengen ihres Blutes sitzen. Laut der Soko Tierschutz wurden die Tiere nicht von ihrem Leid erlöst, sondern einige starben an ihren Verletzungen.

Außerdem ist zu sehen, wie zwei Mitarbeiter einem winselnden Hund mit einem Trichter und einem daran hängenden Schlauch ein Mittel einflößen. Sie packen und ziehen dabei an der Schnauze des Beagle, der sichtbare, blutige Verletzungen davonträgt.

„Diese Versuche sind in keinster Weise ethisch vertretbar“, sagt Friedrich Mülln von der Soko Tierschutz. Wer Tierversuche an Wirbeltieren durchführt, muss laut Tierschutzgesetz der zuständigen Behörde Art, Herkunft und Anzahl der verwendeten Tiere sowie Zweck und Art der Tierversuche melden. Als Verwendungszwecke werden meist Toxizitäts- und Unbedenklichkeitsprüfungen, also Giftigkeitstests genannt.

In dem Labor in Mienenbüttel werden auch Tests an Primaten durchgeführt. Auf den Aufnahmen ist zu sehen, wie die Javaner-Affen in engen Gitterkäfigen im Kreis herumrennen und schreiend an den Gitterstäben rütteln. Genau wie bei den Hunden fehlt gesetzlich vorgeschriebenes Beschäftigungsmaterial. Die Käfige sind völlig leer.

Bei den Versuchen gehen die Mitarbeiter*innen grob vor: Laut Soko Tierschutz wurde ein Affe gegen eine Wand geschlagen. Auf dem Video ist das nicht zu sehen. Das Labor LPT äußerte sich auf taz-Anfrage nicht zu den Vorwürfen.

Doch auch intern soll es bereits Uneinigkeit über den Umgang mit den Tieren gegeben haben. Laut Soko Tierschutz habe ein weiterer Mitarbeiter gesagt, dass er gegen die Grobheiten protestiert habe, aber seinen Vorgesetzten sei das egal gewesen. „Es ist erschütternd zu sehen, dass Wildtiere wie Affen nach wie vor unter solch schrecklichen Bedingungen gehalten werden“, sagt Mülln. Ein weiterer Kritikpunkt: Die meisten Mitarbeiter*innen in dem Labor seien nicht dafür ausgebildet, mit Tieren zu arbeiten. Unter den Angestellten seien viele Mechaniker gewesen.

Derzeit läuft gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission wegen des Umgangs mit Tierversuchen. 20 Punkte stehen auf der Mängelliste, darunter, dass Mitarbeiter*innen, die Tierversuche durchführen, keine Sachkunde nachweisen müssen.

Soko Tierschutz und Cruelty Free International halten die Schließung des Labors durch die Behörden für richtig: „Wir fordern eine umfassende Aufarbeitung dieses Falls und allgemein solcher Tierversuche in Europa“, sagt Michelle Thew von Cruelty Free International.

Laut dem Verbraucherschutzministerium Niedersachsen (Laves) wurde bereits ein Strafverfahren gegen das LPT wegen Verdachts auf schwere Tierschutzverstöße bei der Staatsanwaltschaft Lüneburg gestellt. Auch die Veterinärbehörde des Landkreises Harburg hat Strafanzeige gestellt. „Wir bedauern das Leid, dass Tiere durch nicht gesetzeskonforme Haltungsbedingungen erlitten haben“, heißt es vom Landkreis in einer Mitteilung.

Bei vier Kontrollen seit 2018 seien keine gravierenden Verstöße gegen die Tierschutz- und Haltungsbestimmungen festgestellt worden. Das jedoch war vor den Aufnahmen: Nun habe eine unangekündigte Kontrolle des Betriebs einen konkreten Verdacht strafrechtlich relevanter Handlungen ergeben.

44 Affen würden „in deutlich zu kleinen Käfigen“ gehalten. Nach Einschätzung des Veterinärdienstes löste dies „anhaltendes und erhebliches Leid“ aus. Der Landkreis Harburg betont jedoch, dass nicht alle Aufnahmen, „die von der Öffentlichkeit zu Recht als grausam empfunden werden“, gegen das geltende Recht verstießen. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, drohe dem Labor laut einer Laves-Sprecherin die Entziehung von Genehmigungen für bestimmte Versuche.

Am kommenden Samstag rufen die Tierschützer*innen zu einer Großdemo gegen das Versuchslabor am Neugrabener Markt auf.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen