„Da wird etwas verhandelt, das hat mit meinem Leben zu tun“

Martin Kušej über das Burgtheater in Zeiten der Globalisierung, die österreichischen Verhältnisse und den Überdruss an der Tagespolitik

Der neue Intendant: Burgtheater-Direktor Martin Kušej bei der Presse­konferenz zum Thema „Spielplan 2019/2020“ Foto: Hans Klaus Techt/Apa

Interview Uwe Mattheiß

Nach acht Jahren als Intendant am Münchner Residenztheater kehrt Martin Kušej als Burg­thea­ter­direktor nach Österreich zurück. Kušej, 1961 in Kärnten geboren, übernimmt in Wien ein Haus, das seine Vorgängerin Karin Bergmann nach dem Finanzskandal 2014 mit Erfolg aus den negativen Schlagzeilen herausführen konnte. Zur Zeit der Intendanz von Klaus Bachler (1999–2009) hatte Kušej als Regisseur das künstlerische Profil des Burgtheaters entscheidend mitgeprägt.

taz: Lieber Herr Kušej, „Wollen wir weiter Postkarten und Schneekugeln produzieren?“, haben sie im Vorfeld ihrer Intendanz gefragt. Wen meinen Sie damit am Burgtheater?

Martin Kušej: Am Burgtheater niemanden. Aber es zählt zu jenen österreichischen Institutionen, über die sich das Land in der Behauptung, Kulturnation zu sein, definiert: Sängerknaben, Spanische Hofreitschule, wohl auch die Mozartkugel-Produktion. Man muss fragen, ist da etwas Lebendiges oder verkommt das alles zu einer Touristenattraktion.

Das Unbehagen an der repräsentativen Bedeutung der Kulturinstitutionen ist unter österreichischen Intellektuellen sehr beliebt. Liegt darin nicht auch eine Form von Selbstüberschätzung derer, die etwas zu repräsentieren glauben?

Selbstüberschätzung ist in Österreich nicht selten anzutreffen und ist vielleicht auch ein Erbe der Monarchie.

Ernannt hat Sie der Kulturminister einer großen Koalition, es folgte die Neuauflage einer Rechtsregierung. Nach der jüngsten Wahl ginge sich rechnerisch sogar Schwarz-Grün aus. Wie finden Sie sich da zurecht?

Meine Arbeit hier fängt ja gerade erst an. Ich spüre eine große Erwartungshaltung. Als die rechte Regierung noch an der Macht war, hatte ich das Gefühl, viele erwarten, dass das Burgtheater quasi die Oppositionsarbeit im Land übernimmt. Das sehe ich so überhaupt nicht. Leiter und Leiterinnen großer Kulturinstitutionen sollen ihre Haltungen klar artikulieren – das tue ich. Aber ich möchte gerne unsere Theaterarbeit aus einer mich langweilenden tagespolitischen Diskussion heraus­halten. Politisches Theater findet für mich auf einer komplexeren Ebene statt.

Dennoch beschreiben Sie Theater als „Hort der Opposition“. Wie soll man sich das vorstellen?

Für unser Publikum, aber auch für andere Künstler und Künstlerinnen, auch aus anderen Sparten, soll das Burgtheater ein Ort sein, von dem man sagt, da wird etwas verhandelt, das mit meinem Leben und mit meiner Arbeit zu tun hat. Mich interessieren da genauso Lesungen, Ausstellungen, Performances, aber auch politische Aktivitäten.

Burgtheaterdirektor ist kein Traumjob“, sagten Sie. Aber es sei interessant, daran zu arbeiten, wie Theater in drei oder vier Jahrzehnten aussehen kann. Wie wird es aussehen?

Das kann ich nur an Parametern festmachen, die in der Zukunft wichtig sind: Die Digitalisierung wird beispielsweise weiter Einfluss haben, und die Vielsprachigkeit einer multikulturellen Gesellschaft. Aber auch eine Gesellschaft, in der es zunehmend schwieriger wird, sich den traditionellen Typus „des bürgerlichen Theatergängers“ überhaupt weiter vorzustellen. In Österreich spielt das noch eine große Rolle: Man hat ein Abonnement, bei dem man schon im Schulalter ins Theater mitgeht und es später dann weiter vererbt. Das wird es irgendwann so nicht mehr geben. Aber eines wird bleiben: die Schauspieler und Schauspielerinnen und die Geschichten, die wir erzählen.

Im vergangenen Jahr gab es eine öffentliche Debatte von SchauspielerInnen des Burgtheaters über Machtgefälle im Theater, über die doppelte Abhängigkeit von Intendanten, die gleichzeitig Regisseure sind …

… die sich auf Matthias Hartmann bezogen hat.

Ich will das als strukturelles Problem diskutieren. Auch Sie sind regieführender Intendant. Welche Checks and Balances gibt es in Ihrem Leitungskonzept gegen solche Abhängigkeiten?

Ich glaube, dass das weitestgehend zu verhindern ist. Das ist eine Einstellungsfrage. Ich bin auch seit der Diskussion hier bemüht, Entscheidungen in der Direktion klar und transparent zu halten. Ich führe das Theater gemeinsam mit einem großen Team. Es ist eine flache Hierarchie. Ich bemühe mich, die Frauenquote zu erhöhen.

Was tun Sie für die Quote?

Es ist mir bewusst und ich versuche den Anspruch zu erfüllen. Nicht wegen der Quote, sondern weil mir wirklich etwas dran gelegen ist, mit Regisseurinnen, Schauspielerinnen oder auch hier in der Leitung mit Frauen zusammenzuarbeiten. Auch die Frage der Bezahlung versuchen wir in Zukunft transparent zu gestalten.

Das heutige ­Burgtheater wurde 1776 von Kaiser Joseph II. zum „teutschen Nationaltheater“ erhoben. Das ist für Sie obsolet. Schneiden Sie da nicht einen Zopf ab, der schon längst im Fundus hängt?

In Österreich leider nicht. In allen Papieren, die ich hier vorgefunden habe, vom Theaterorganisationsgesetz bis zu Sponsoringbeschreibungen, steht als erster Satz: „Das Burgtheater ist das österreichisches Nationaltheater.“ Diesen Satz habe ich eliminiert.

Beim Thema Mehrsprachigkeit verweisen Sie auf Ihre Zugehörigkeit zur slowenischen Minderheit Kärntens. Slowenisch haben Sie nicht zu Hause gelernt, sondern erst im Studium. Ist der Assimilationsdruck auf nationale Minderheiten in Österreich so groß?

In den 1960er und 70er Jahren war das sehr deutlich zu spüren und hat meine Haltung geprägt. Das ist heute zwar besser geworden, man muss nicht mehr Angst haben, seine Kinder zum zweisprachigen Unterricht zu schicken oder in der Öffentlichkeit slowenisch zu sprechen. Ressentiments kommen aber immer noch zum Vorschein.

Beeinflusst die Minderheitenperspektive ihren Blick aufs deutschsprachige Theater?

Ich weiß aus eigener Erfahrung jedenfalls ein Stück weit, wie es jemandem geht, der sich nicht heimisch fühlt, seine Sprache nicht sprechen, seine Sexualität nicht ausleben oder seinen Glauben nicht praktizieren darf.

Sie bieten ein europäisiertes künstlerisches Programm. Die KünstlerInnen, die sie einladen, profitieren von der neuen Freizügigkeit innerhalb Europas. Die Mobilität derer, die als MigrantInnen oder Flüchtende in die Stadt gekommen sind, ist eine andere. Wie kann man deren Erfahrung im Theater abbilden?

Das ist, soweit das möglich ist, fester Bestandteil unseres Spielplans. Ein Theater von der Größe des Burgtheaters gibt aber auch ein Profil vor, aus dem ich nicht herauskomme. Ich würde gerne in einem kleineren, überschaubaren Rahmen so arbeiten wie das Gorki Theater. Ich finde das hervorragend und wichtig. Das kann aber weder das Residenztheater noch das Burgtheater mit seinen Strukturen. Nichtsdestotrotz werden wir Bereiche finden, wo wir genau das machen, im Kasino, der dritten Spielstätte, aber auch am Burgtheater selbst.

Fordert die kulturelle Diversität der Gesellschaft vom Thea­ter nicht auch die Diversifizierung seines Ensembles?

Ich bin mir dessen bewusst. Wenn ich das als Problem sehe, das es zu lösen gilt, liege ich vielleicht ohnehin schon falsch. Letztlich geht es um Schauspieler und Schauspielerinnen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Hautfarbe, unterschiedlicher Sprache. Die, die gut sind, mit denen arbeite ich. Daraus ergibt sich Diversität, aber ich betreibe nicht eine Art Casting, wo ich genau nach diesen Kriterien vorgehe. Wir haben hier einen Großteil des Ensembles übernommen, es sind großartige Spielerinnen und Spieler. Und die von Ihnen angesprochene Entwicklung ist ein langsamer Prozess, den wir erst begonnen haben.

Viele der neuen KünstlerInnen am Burgtheater, etwa Kornél Mundruczó oder Ene-Liis Semper und Tiit Ojasoo, kennt man in Wien sehr gut – aus Festivalprogrammen. Ist das die Zukunft der Repertoiretheater, mehr zu werden wie ein Festival?

Es ist sicherlich auch eine der Herausforderungen, solche Arbeiten in unserem System möglich zu machen. Das kann ich aus der Erfahrung in München sagen, wo wir mit der Handspring Puppet Company, Peeping Tom oder mit Wim Vandekeybus gearbeitet haben. Solche Kooperationen sind finanziell nicht leicht zu stemmen, aber es führt zu einem erfrischenden, fruchtbaren Austausch von unseren Schauspielerinnen und Schauspielern mit diesen Ensembles.