piwik no script img

„Wir warten ab, mit viel Empathie“

Ermutigen zu neuem Leben: Peter Clement und Stefan Springfeld sind ehrenamtliche Sterbe- und Trauerbegleiter im Osnabrücker Hospiz. Ein Gespräch über Belastung und dringend nötige Pausen, um Kraft zu schöpfen, um trauernde Männer, die zum Abreagieren auf Schrottplätze fahren, und Witwer, denen erst mal erklärt werden muss, wie das geht mit dem Kartoffelnkochen

Vom Versuch, bis ganz zuletzt eine freundliche Umgebung zu schaffen: im Osnabrücker Hospiz Foto: Uwe Lewandowski

Interview Harff-Peter Schönherr

taz: Herr Springfeld, die Ausein­andersetzung mit der Sterblichkeit, zumal der eigenen, ist für viele angstbesetzt. Ist das bei Ihnen anders?

Stefan Springfeld: Je intensiver ich mich mit dem beschäftige, was das Sterben mit sich bringt und der Tod, desto angstfreier werde ich. Aber ein Rest Angst wird wohl immer bleiben.

Herr Clement, haben Sie selbst Angst vor dem Tod?

Peter Clement: Durch die Beschäftigung mit dem Tod über die Arbeit mit Sterbenden werde ich ein Stück gelassener.

Sie sind seit zehn Jahren Sterbe- und Trauerbegleiter. Was hat Sie dazu gebracht?

Clement: Ich habe mehrere nahestehende Menschen früh verloren. Da ist etwa auch der Tod eines Freundes, 45, drei Kinder, der an einem Hirntumor starb. Außerdem bin ich mit einer robusten Gesundheit ausgestattet, und ein bisschen dieses Glücks möchte ich zurückgeben, etwa durch Zuwendung und Zeitschenken.

Sie sind seit vier Jahren dabei, Herr Springfeld. Warum?

Springfeld: Mich hat gewundert, wie wenig Verständnis viele Menschen für länger andauernde Trauer haben. Ich finde das schade.

In Ihrer Arbeit sind Sie mit Ungläubigkeit und Entsetzen konfrontiert, Verzweiflung und Wut. Gibt es Situationen, in denen Sie hilflos sind?

Springfeld: Das können wir eigentlich gar nicht sein. Wir sind ja keine Therapeuten, helfen also nicht. Wir begleiten. Das ist ein großer Unterschied. Wir müssen nur da sein, aktiv zuhören.

Clement: Jemand, den ich begleitet habe, hat einmal zu mir gesagt: Das Wichtigste war für mich, dass Sie das ausgehalten haben, dass Sie nicht weggegangen sind.

Springfeld: Es gibt natürlich Situationen, in denen es sehr schwierig wird. Etwa, wenn es zum Suizid kam und Trauernde sich die Schuldfrage stellen. Jede Situation ist anders. Deshalb gehen wir auch nicht nach festen Schemata vor. Wir sind wie die Fahne im Wind, wir schwingen mit, je nach Stimmung, auch wenn sie mitunter von Minute zu Minute wechselt. Wir warten ab, was kommt, mit viel Empathie. Und dann reagieren wir darauf.

Und wenn vom Trauernden nichts kommt?

Clement: Dann kann man versuchen, von außen her Impulse zu setzen. Einen älteren Herrn habe ich mal gefragt: Mögen Sie mir von Ihrer Frau erzählen? Er hat es getan, unter Tränen. Wir waren bei ihm in der Wohnung, und er hat mir Urlaubsmitbringsel gezeigt, Fotos. Das hat uns ins Gespräch gebracht.

Springfeld: Viele denken ja, jetzt geht das Leben nicht mehr weiter. Aber das tut es natürlich, und das zeigt sich oft schon an kleinen Dingen. An den Augenblicken zum Beispiel, in denen man nicht mehr weint. Indem wir von außen auf die Dinge blicken, können wir das aufzeigen. Als Ermutigung.

Sicher gibt es Eindrücke, die Sie auch nach langer Zeit nicht loslassen?

Springfeld: Einmal, in einer Sterbebegleitung, kam zwischen Weihnachten und Neujahr ein Anruf, um 2 Uhr in der Nacht. Also bin ich ins Hospiz gefahren, habe mehrere Stunden mit den Angehörigen gesprochen. Weil es wichtig war. In genau diesem Moment.

Clement: Auch ich denke jetzt an eine Sterbebegleitung. Eine Frau, die lange in Deutschland gelebt hatte, aber sie kam nicht von hier. Es war eine sehr lange Begleitung, bei ihr zu Hause, und hier im Hospiz. An einem Sommerabend sitzen wir auf der Terrasse, und da bricht es aus ihr heraus: Wie schwer es für sie ist, nun in der Fremde sterben zu müssen. Da sitzt du dann, hörst zu und hältst das aus.

Springfeld: Manchmal geht es auch darum, einfach die Stille zu ertragen, ein langes Schweigen. Für manche Gedanken und Gefühle gibt es eben keine Worte.

Clement: Das geht dann manchmal ganz schön unter die Haut.

Wie gehen Sie mit Belastendem um?

Clement: Wir tauschen uns unter uns Ehrenamtlichen aus, und manchmal haben diese Gruppentreffen auch Supervisionscharakter. Und wenn ich die Hospiztür öffne, lasse ich meine private Welt draußen. Wenn ich später wieder rausgehe, lasse ich die Welt des Hospizes hinter mir. Oft brauche ich dann noch ein bisschen Abstand, trinke irgendwo eine Kaffee, aber zu Hause belasten mich meine Begleitungen eher nicht. Klar, man denkt über vieles nach. Ich staune zum Beispiel immer wieder, wie viel Leid Menschen ertragen können.

Springfeld: Außerdem erlebt man hier ja auch oft sehr schöne Momente.

Peter Clement, ist pensionierter Lehrer, verheiratet, Vater und Großvater. Seit zehn Jahren ist er ehrenamtlicher Sterbe- und Trauerbegleiter.

Erzählen Sie uns von einem?

Springfeld: Da war ein Hospizgast mit einem ganz besonderen Wunsch: noch ein letztes Mal Chicken Nuggets essen. Und er wollte die Fußgängerzone sehen. Ihm ging es schon sehr schlecht, aber ich bin mit ihm Nuggets kaufen gefahren und anschließend im Schritttempo durch die Fußgängerzone, das Fenster weit runtergekurbelt.

Clement: Ich denke gerade wieder an die Frau, die nicht in der Fremde sterben wollte. Ich habe noch ein Foto von ihr: Sie hat ein Bier in der Hand und prostet mir zu. Und auch dies war ein schöner Moment, trotz allem: Ein Geschäftsmann, den ich nach dem Tod seiner Frau begleitet hatte, ruft mich zwei, drei Jahre später noch mal an. Seine Diagnose: Hirntumor. Wir treffen uns. Und er sagt: Es hat so gut getan, dass jemand da war für mich.

Auf dem Johannisfriedhof gibt es ein Steinlabyrinth, das Sie für Trauertreffen nutzen. Was tun Sie dort?

Clement: Es ist dem Labyrinth der Kathedrale von Chartres nachempfunden, und man kann es begehen. Ich kann an ihm zeigen: Die Trauer, das ist jetzt die Mitte, es führen viele Windungen zu ihr hin, aber auch viele von ihr weg. Aus dem Schmerz, der Trauer, kommt man wieder heraus. Man weiß nicht wann, aber irgendwann geschieht es. Das ist ein schönes Ritual.

Springfeld: Treffen kann man sich im Prinzip überall. Viele machen selber Vorschläge. Ich biete natürlich auch Optionen an. Den Rubbenbruchsee etwa.Weite Flächen mit viel Stille.

Clement: Oder man geht am Fluss entlang.

Springfeld: Kollegen sind mal mit einer Männertrauergruppe auf einen Schrottplatz gefahren. Die haben dann da Autowracks bearbeitet, um ihre Trauer abzubauen. Wir sind offen für alles. Manche möchten auch etwas Kreatives erschaffen.

Vorhin las ich ein Gedicht, entstanden in einer der Schreibwerkstätten des Hospizes: „Jürgen schlief. Ich schrieb. Beides tat uns gut.“ Trauer lässt sich also auf sehr vielfältige Weise verarbeiten?

Springfeld: Mit einer Gruppe koche ich sogar. Neulich gab es Gemüsesuppe. Man findet dabei zurück in den Alltag, bricht seine Vereinsamung auf, schnippelt und redet.

Werden Sie oft auf Religiöses angesprochen?

Clement: Eher selten. Eher geht es ums nahe Umfeld, die Familie etc. Ich betreute allerdings mal einen älteren Herrn, der war in der DDR aufgewachsen. Ich will nicht einfach so verscharrt werden, hat er gesagt, und wollte gerne noch getauft werden. Die Taufe fand dann auch wirklich statt, und er hat mich zu ihr eingeladen.

Springfeld: Wir arbeiten hier ja überkonfessionell. Sicher, manchen beschäftigt die Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Aber manche sagen hier auch: Bis jetzt habe ich an Gott geglaubt, aber wenn ich sehe, was er zulässt, kann ich das nicht mehr.

Aber Hospizgespräche drehen sich nicht immer nur ums Trauern?

Springfeld: Mitunter redet man über Musik und Filme, über Wirtschaft und Politik. Oft geht es auch um ganz praktische Dinge. Männer, deren Frauen gestorben sind, fragen, was Buntwäsche ist und wie viel früher man die Kartoffeln aufsetzen muss, wenn es dazu Fisch geben soll.

Clement: In unserem Erinnerungscafé, einmal im Monat hier im Hospiz, ist das oft genauso. Manchmal geben wir Impulse, zum Beispiel mit dem Song „Der letzte Koffer“ von Purple Schulz. Anfangs war es ganz still, und danach ergaben sich gute Gespräche.

Die Bandbreite der Begleitungen ist sicher sehr groß?

Foto: Uwe Lewandowski

Stefan Springfeld, 37, ist Diplom-Kaufmann. Seit vier Jahren engagiert er sich als ehren­amtlicher Sterbe- und Trauer­begleiter.

Springfeld: Alte und Junge. Sterbende und Angehörige. Manchmal dauert es nur wenige Tage, manchmal bis zu einem Jahr. Manchmal trifft man sich einmal die Woche, und nur kurz, manchmal mehrfach, für mehrere Stunden.

Bei einer solchen Betreuung entstehen sicher sehr enge Bindungen. Wie stark lassen Sie die Trauerbegleitung in Ihr Leben eingreifen? Gesetzt, Sie möchten eine Urlaubsreise unternehmen, aber eine Einzelbegleitung braucht noch Zeit.

Clement: Doch, das geht. Man verabschiedet sich und sorgt für eine Vertretung.

Springfeld: Du musst ja auch achtsam sein mit dir selbst. Jeder muss zwischendrin neue Kraft schöpfen.

Clement: Das geschieht übrigens auch zwischen zwei Begleitungen. Das Hospiz achtet darauf, dass du zwischen ihnen genug Zeit hast, zur Ruhe zu kommen.

Gesetzt, Sie begleiten einen Sterbenden. Begleiten Sie dann zugleich auch dessen Angehörige, wenn diese das möchten?

Springfeld: Das trennen wir möglichst. Es könnte ja zu Interessenkonflikten kommen: Der Sterbende erzählt dir seine Sicht der Dinge, und die Sicht seiner Angehörigen ist vielleicht eine vollkommen andere. Generell gilt: Wir werten nicht. Wir versuchen auch nicht, Konflikte zu lösen.

Nehmen wir an, Sie begegnen jemandem, den Sie in seinem Trauerprozess begleitet haben, später auf der Straße. Was geschieht dann? Grüßt man sich?

Springfeld: Für solche Situationen treffen wir eine Vereinbarung: Wer grüßen will, vielleicht kurz sprechen möchte, kann das gern tun. Aber es ist auch völlig okay, einfach an mir vorbeizuge­hen. Ich stehe ja für eine schwere Zeit, und an die erinnert man sich vielleicht nicht gern, zumal in der Öffentlichkeit. Grundsätzlich gilt: Der Kontakt geht nie von mir aus. Ich warte auf ein Signal. Kommt es, ist es gut. Kommt es nicht, ist es das auch.

Osnabrücker Hospiz, Johannisfreiheit 7; ☎0541 / 35 05 50; www.osnabruecker-hospiz.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen