Der Hausbesuch: Das Dorf im Haus

Die Künstlerin Inge Broska ist umgeben von Dingen aus ihrem alten Heimatort, der dem Tagebau Garzweiler weichen musste.

Eine ältere Frau in rosa Pulli sitzt auf einem Laufstall aus Holz, rund herum zahlreiche gerahmte Bilder an den Wänden

Bei Inge Broska in Hochneukirch Foto: Andreas Fechner

Ihr Heimatdorf Alt-Otzenrath in Nordrhein-Westfalen wurde für den Braunkohleabbau weggebaggert, Inge Broska umgesiedelt. Für ihren Umzug brauchte sie fast zwei Jahre. Sie nahm ihr eigenes Hausmuseum mit. Seit 2006 wohnen die heute 77-jährige Künstlerin und ihr Lebenspartner nun in einem Jugendstilhaus im Nachbardorf Hochneukirch, umgeben von Kunstwerken und unzähligen Erinnerungsstücken. Für die Erhaltung des Museums sucht Broska Nachfolger*innen.

Draußen: Neben dem Hausmuseum ist das Gras hoch gewachsen, Inge Broska freut sich, dass es so gelassen wurde. Nebenan ist ein Imbiss, wo sie sich als Vegetarierin manchmal Chicken-Nuggets gönnt und mit Vorname begrüßt wird. Vor der Tür hängen ein Schild mit dem Museumsprogramm und ein Bild der Kinder, die sie regelmäßig besuchen und mit ihr basteln und malen. Der Garten hinterm Haus ist wild: Beeren, Kräuter, Obstbäume. Stolz sei Broska auf ihre Rosen, den Nussbaum und den 200 Jahre alten Grabstein vom Friedhof von Alt-Otzenrath. Forken, Sensen und andere Gartenwerkzeuge, so wie eine „Jötschklompe“ (ein Eimer mit langem Stiel zur Leerung der Jauchegrube), und „Herzchentüren“ sind Teil der Sammlung.

Drinnen: Direkt neben der Eingangstür sind alte Türklinken und Teile von Taubenschlägen. Eine Wand im Flur ist voller Bilder ihrer Besucher*innen. Fast jeder Zentimeter des 800 Quadratmeter großen ehemaligen Pfarrhauses samt blauem Badezimmer dient als Ausstellungsfläche für Haushaltsgeräte, Grafiken, Fotografien und Wörter in fast ausgestorbenen Dialekten wie dem „Utzerather Platt“. In der Küche hängen die Stroh-Schneebesen ihrer Oma, Bierdeckel, Fleischwölfe. Dazu eigene Kunstobjekte: ein halbes Schwein, Essen aus Keramik. Alte Waffel- und Bügeleisen stehen auf Fußbänkchen und Porzellangeschirr in alten Schränken.

Eine Wand ist mit Katzen-Postkarten bedeckt. Im Esszimmer liegen grafische Arbeiten auf dem Tisch oder hängen an Wänden. Im Wintergarten sind Türschlösser, Tonbandkassetten, Werkzeuge, die sie mit Kindern aus Ton und Gips gemacht hat. Im Wohnzimmer steht ein verstimmtes Piano, auf ihm Stillleben und Jazz-Bilder. Jazz hört sie am liebsten. Vom Scherbenmuseum im Keller führt das Treppenhaus voller Kuriositäten bis zum Dachboden. Besucher*innen dürfen überall rein, alles anfassen, Fragen stellen.

Kindheit: Geboren wurde Inge Broska 1942 in einem Krankenhaus in Mönchengladbach während eines Bombenalarms. Ihre Kindheit verbrachte sie in einem Haus in Alt-Otzenrath, das der Großvater, ein Seidenweber, kaufte und später der Mutter übergab. Auch ihre Oma und ihre älteren Geschwister wohnten dort. Der Vater war im Krieg und kam erst Jahre später zurück. „Er wollte mich erziehen, aber das habe ich nicht zugelassen“, sagt sie. „Meine Mutter hat mir alles beigebracht, was ich kann.“ Sie war Hausfrau, Buchhalterin und Feldarbeiterin, um die Familie zu ernähren. „Eine starke Frau“, sagt sie. „Und eine exzellente Fotografin.“

Mamas Zimmer: Ihre absoluten Lieblingsstücke sind die Aufnahmen ihrer Mutter. Sie habe das Leben in Alt-Otzenrath feinfühlig dokumentiert. Das Zimmer, wo die Bilder ausgestellt sind, ist nach ihr benannt und wie alle Zimmer voller Gegenstände. In leeren Räumen zu leben könne sie sich nicht vorstellen. „Ich habe mein System“, sagt sie. Sie versuche thematisch alles anzupassen, habe Spaß daran, Zusammenhänge zu finden und Sachen eine neue Bedeutung zu schenken. Nur das Putzen und Aufräumen fände sie mit den Jahren immer schwerer.

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Eat-Art: Putzen war der schlimmste Job, den Broska ausgeübt habe. Als junge Studentin habe sie das Geld gebraucht. Später machte sie daraus eine Kunst-Performance mit dem Titel „Ich putze nicht“. Sie studierte Bautechnik, jobbte, aber „irgendwann hatte ich es satt, nur mit Männern zu arbeiten, und ging dann zu den Frauen“, sagt sie. „Da fing mein zweites Leben an.“ Ihre Zeit als „wilde Performerin“ habe sie hinter sich, doch viele Bilder ihrer Performance-Shows hängen auch im Haus.

Die Liebe: 1986 lernte sie den Kölner Künstler Hans-Jörg Tauchert kennen und seitdem wohnen und arbeiten sie zusammen. Broska war Schülerin von Künstlern wie Cestmir Janosek oder Daniel Spoerri, der sie in die Eat-Art einführte. Obwohl sie „nur ein Suppen-Abitur“ gehabt habe. Ernährung wurde zum Thema ihrer künstlichen Arbeit, so wie Tod, Grabkultur und Haushalt.

Die Finderin: Das Hausmuseum gründete Inge Broska 1992, als sie nach 20 Jahren mit ihrem Partner in ihr Heimatdorf zurückzog – weil sie von der Zerstörung des Nachbardorfes Garzweiler hörte, das dem Braunkohletagebau geopfert wurde. Schon als Kind hatte sie alles Mögliche aufbewahrt. Auch heimlich, als ihre Mutter etwas wegwarf, habe sie es gerettet. Nach ihrem Tod fand sie Kindheitsschätze in Kartons auf dem Speicher, die heute als Teil des Museums der Öffentlichkeit zugänglich sind. „Ich sammele gar nicht“, sagt Broska. „Ich finde.“

Woher ihre ganze Fundstücke stammen, wisse sie („muss ich ja“). Abgesehen von ihren Familienerinnerungen habe sie vieles aus den Müllcontainern der aufgelösten Haushalte in Alt-Otzenrath gefischt, anderes wie Kehrschaufeln und -­besen wurde zurückgelassen, wieder anderes bekam sie von den Bewohner*innen. „Die haben mir einen Container geschenkt, damit ich alles transportieren kann und etwas vom verschwundenen Dorf erhalten bleibt.“

Alt-Otzenrath: Zusammen mit dem Fotografen Sebastian Willke dokumentierte Inge Broska in Bildern die Zerstörung ihres 800 Jahre alten Dorfes. 4 Jahre lang dauerte das. Broska verarbeitete die Trauer auch mit Performances: Sie lud zum Tee auf einen Baggerlöffel, interviewte Nachbar*innen. Sie habe über den Ruinen der letzten Häuser gewacht und den Abriss angeschaut.

Abriss: Broska zeigt Fotos von der alten Dame mit kleinem Hund, die jeden Tag mit ihr vor der Eingangstür saß und kurz nach der Umsiedlung starb („am Ende waren wir nur zur zweit und unser Lachen schallte im ganzen Dorf“), und dem Mann, der im Friedhof umgeben von Särgen wartet. Zwei nebeneinandergestellte Bilder hätten die größte Symbolkraft: Links, rennende Gänse und im Hintergrund eine weiße Staubwolke durch eine Sprengung („der Bauer hat sich gerettet, weil er draußen bei den Gänsen war“). Rechts, eine Reihe Keramikgänse vor einem Haus in dem neuen Ort Otzenrath.

Braunkohletagebau: Ihr Heimatdorf war nur eins der über 50 Dörfer, die in der Gegend zerstört wurden. „Der Bagger rückt immer näher und ist nicht nur für alte Menschen, für die das Sterben ihres Dorfes mit dem eigenen Sterben identisch ist, eine massive Bedrohung“, schrieb sie 1998. Der Satz ist bis heute aktuell.

Das letzte Projekt: Inge Broska sucht Tag und Nacht eine Übernahme für das Hausmuseum. Sie könne im Moment schwer schlafen, denn sie möchte, dass das Hausmuseum so erhalten bleibt, wie es ist, und weiter als Ort der Erinnerung, der Kunst und der Begegnung funktioniert. „Einige Institutionen würden gerne das wichtigste Museumsinventar auslagern, aber das wäre das Aus“, sagt sie. Und viele Privatleute wollten nur das „Juhrentschtiehl“, wie sie das Haus nennen, doch keine Museumsverantwortung. Sie sammelt Unterschriften und klopft an jede Tür. „Es soll hier weitergehen nach meinem Ableben“, sagt Inge Broska. „Das ist mein Traum und mein letztes großes Projekt.“

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