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Marina Mai über die Botschaft von NicaraguaWohnzimmer wird zur Amtsstube

Die politische und wirtschaftliche Krise im fernen Nicaragua schlägt Wellen bis nach Berlin. Im vergangenen Jahr musste Nicaragua seine Büros im Botschaftsgebäude in der Joachim-Karnatz-Allee in Moabit aufgeben, weil sich das 6 Millionen Einwohner zählende Land die Räume nicht mehr leisten konnte.

Offizieller Sitz der Botschaft ist seit 2018 das Wohnzimmer der Botschafterin. Sie wohnt in der Werftstraße in Moabit in einem ganz normalen Mietshaus. Auch im Internet ist die Adresse der Botschaft aktualisiert worden. Nach Informationen der taz muss die Botschaft im kommenden Jahr aber auch diese Räume aufgeben. Und Ersatz ist nicht in Sicht. Eine offizielle Bestätigung der nicaraguanischen Botschaft dazu gibt es nicht. Die entsprechende Anfrage blieb unbeantwortet.

Von ihrem Wohnzimmer aus, nun wie gesagt Amtsstube, vertritt Botschafterin Tatiana Garcia Silva die Inte­res­sen Nicaraguas gegenüber Deutschland und der Schweiz, wie dem Länderinformationsportal zu entnehmen ist. Sie empfängt dort also zum Beispiel in Deutschland und der Schweiz lebende nicaraguanische Staatsbürger, die einen neuen Reisepass oder eine Geburtsurkunde brauchen. Auch Kontakte zur Wirtschaft koordiniert die Botschafterin von dort aus.

Gespart werden musste auch am Personal. Nur noch ein bezahlter und ein ehrenamtlicher Mitarbeiter arbeiten neben der Botschafterin in der Wohnung. Bis 2018 gab es nach taz-Informationen zwei weitere Diplomaten. Die kann sich Nicaragua nun aber nicht mehr leisten kann. Die Personalkürzung hat zur Folge, dass auswärtige Kulturarbeit kaum noch stattfindet. Die Koordinierung von 30 Städtepartnerschaften zwischen deutschen und nicaraguanischen Kommunen erfolgt hauptsächlich durch Ehrenamtliche. Friedrichshain-Kreuzberg und San Rafael beispielsweise haben eine Städtepartnerschaft geschlossen. 2014 wurde aus dem Pakt sogar eine Klimapartnerschaft.

Nicaragua wird von ­Daniel Ortega regiert, der 1979 in der sandinistischen Revolution den Diktator Somoza entmachtete, mit einer Alphabetisierungspolitik und so­zia­len Umverteilungen Sympathien in zahlreichen anderen lateinamerikanischen sowie in europäischen Staaten erwarb, aber auch den Zorn mehrerer konservativer US-Präsidenten auf sich zog. Doch der einstige Hoffnungsträger Ortega wandelte sich zum Autokraten. 2018, das Land war von einer wirtschaftlichen und sozialen Schieflage geprägt, ließ die Regierung Proteste gewaltsam niederschießen, Rädelsführer und kritische Journalisten inhaftieren.

Die Krise bringt den Mitarbeitern im Wohnzimmer der Botschafterin neue Arbeit: Amnesty International sowie der PEN Deutschland haben zu schriftlichen Protesten gegen die Menschenrechts­situation und das Fehlen von Pressefreiheit in Nicaragua aufgerufen und als Adressat die nicara­guanische Botschaft in Berlin angegeben. Oder besser gesagt: den Briefkasten in einem ganz normalen Berliner Wohnhaus.

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