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Leise sterben die Wälder

Dürre, Borkenkäfer und Stürme setzen den Bäumen in Niedersachsen zu. Im Harz nimmt das Waldsterben dramatische Ausmaße an. Vielerorts sind Straßen gesperrt, weil ForstarbeiterInnen Bäume fällen

Kranker Baum im niedersächsischen Sehnde Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Von Reimar Paul

Nein, hier gab es keinen Unfall. Der Waldarbeiter, der in Schutzkleidung und mit einem Plastikhelm auf dem Kopf an der provisorischen Baustellenampel steht, schüttelt den Kopf. Die Bundesstraße 3 zwischen Göttingen und Dransfeld ist seit Dienstagmorgen wegen Baumfällarbeiten teilweise gesperrt. Wie lange das dauert und wie viele Bäume abgesägt werden müssen? Das kann der Mann nicht genau sagen. In jedem Fall müssten Autofahrer auf der vielbefahrenen Strecke wohl für längere Zeit mit Behinderungen rechnen.

Das Groner Holz, das sich beiderseits der Straße über mehrere Kilometer hinzieht, ist ein Mischwald: Viele Buchen, Eschen, Ahorne, auch ein paar Eichen und vereinzelt Fichten stehen hier. Doch: Die beiden trockenen Sommer 2018 und 2019 haben etlichen Bäumen so sehr zugesetzt, dass sie umzustürzen und auf die Fahrbahn zu krachen drohen. Aus Sicherheitsgründen werden sie deshalb in einem rund 50 Meter breiten Korridor entlang der Straße abgeholzt, hat das zuständige Forstamt in der vergangenen Woche mitgeteilt.

In der Region steht nicht nur im Groner Holz ein Kahlschlag bevor. Auch im weiteren Verlauf der B3 im Bereich Hann. Münden, in der sogenannten Ischenröder Schweiz und an der Weser zwischen Hemeln und dem Kloster Bursfelde sollen in den nächsten Wochen Hunderte Bäume fallen. Einige kleine Straßen werden dann sogar komplett gesperrt und Umleitungen ausgewiesen.

Das aktuelle Waldsterben begann 2018 und betraf zunächst vor allem die Fichten. Alleine in Niedersachsen warf der Sturm „Friederike“ im Januar 2018 rund zwei Millionen Bäume um. Danach folgte eine monatelange Dürre. Borkenkäfer attackierten die geschwächten Bäume, der zweite trockene Sommer in Folge und eine weitere Borkenkäferplage gaben ihnen den Rest.

Inzwischen machten sich die Dürreschäden immer mehr auch bei anderen Baum­arten bemerkbar, sagt der Leiter des Landesforstamtes Reinhausen bei Göttingen, Axel Pampe. Am meisten Sorgen bereiten ihm und seinen Kollegen die Buchen. Viele hätten schon im Frühjahr nur noch spärlich oder gar nicht mehr ausgetrieben, ältere Bäume hätten tote Äste ausgebildet. An Buchen, die unter Trockenstress stehen, breiteten sich häufig Pilze und Schleimfluss aus.

Auch im Hohnstedter Holz, einem Waldstück bei Wolfsburg, werden in diesen Tagen kranke oder absterbende Bäume gefällt: Um Waldbesucher nicht zu gefährden, denen durch herabfallende Äste oder umstürzende Stämme erhebliche Gefahren drohten, erklären die Niedersächsischen Landesforsten. Sie bewirtschaften mit 335.000 Hektar fast ein Drittel des Waldes in dem Bundesland. Vom übrigen Wald gehören 55.000 Hektar dem Bund, 107.000 Hektar den Kommunen sowie 707.000 Hektar Privatbesitzern oder Genossenschaften.

Für die Arbeiten bei Wolfsburg haben die Landesforsten mehrere Wege gesperrt – für Monate. Betroffen sind hier vor allem Rotbuchen, viele von ihnen mehr als hundert Jahre alt. Noch lässt sich das Holz verkaufen. In einigen Monaten wäre dies nur noch stark eingeschränkt möglich, weil gerade Buchenholz anfällig für sich schnell ausbreitende Holzfäule ist. Die Holzpreise sind allerdings im freien Fall. Bei den Landesforsten führt das zu wirtschaftlichen Einbußen. Erstmals wurde 2018 kein Gewinn an das Land abgeführt.

Am dramatischsten ist die Lage im Harz. In weiten Bereichen des Mittelgebirges lebt kein Baum mehr. Alleine am Wurmberg bei Braunlage müssen rund 80 Hektar Fichtenwald gefällt werden, die Bäume leiden unter der Trockenheit und den Borkenkäfern. Sie sind nicht mehr zu retten.

Die Verwaltung des Nationalparks Harz bemüht sich schon länger, die Auswirkungen der Klimakrise auf den Wald abzufedern. In den vergangenen Jahren seien in den tieferen Lagen des Schutzgebietes rund 4,3 Millionen Laubbäume gepflanzt worden, sagt Nationalparksprecher Friedhart Knolle. Vor allem Buchen, in geringeren Stückzahlen auch Ahornbäume, Roterlen, Weiden, Aspen und Birken.

Am dramatischsten ist die Lage im Harz. In weiten Bereichen des Mittelgebirges lebt kein Baum mehr

Diese Bereiche des Nationalparks waren früher fast ausschließlich mit standortfremden Fichten bepflanzt worden. In den Hochlagen des Harzes sei die Fichte hingegen von Natur aus heimisch, so Knolle. Deshalb soll sie in diesen Gebieten auch weiter die Hauptbaumart bleiben. In der Kernzone des Nationalparks darf sich die Natur inzwischen weitgehend frei entfalten und wird sich selbst überlassen. Neben jungen Fichten wachsen hier auch Laubbäume wie Eberesche, Bergahorn oder Weide. Abgestorbene und vom Sturm umgeworfene Bäume bleiben liegen. Das sogenannte Totholz ist Lebensraum für viele Pflanzen- und Tierarten.

Auch die Landesforsten wollen mittelfristig zehn Prozent ihrer Waldfläche einer natürlichen Entwicklung überlassen. Sie verzichteten hier auf jegliche Pflegemaßnahmen und die Ernte von Holz, erläutert der Präsident der Forsten, Klaus Merker. Das Ziel auch hier: Durch das Ausbleiben des direkten menschlichen Einflusses sollen sich die Wälder zu Urwäldern entwickeln.

Unterdessen gehen Touristiker im Harz offensiv mit der dramatischen Situation in den Wäldern um. „Der Wald ruft!“, lautet der Name einer neuen Kampagne. Die Aktion von Harzer Tourismusverband, Landesforsten und anderen Institutionen will Urlauber und Erholungssuchende im Internet und über Broschüren bereits vor ihrer Reise in den Harz darauf vorbereiten, dass der Wald teils in einem desolaten Zustand ist. „Wir wollen die Gäste informieren, dass sie weniger geschockt sind, wenn sie hier Urlaub machen“, sagt Christin Wohlgemuth vom Harzer Tourismusverband. Bislang kämen aber noch nicht weniger TouristInnen in den Harz.

Der Klimawandel macht sich übrigens auch im Brockengarten auf dem höchsten Harzgipfel bemerkbar. Einige Pflanzenarten blühten in diesem Jahr so früh wie noch nie. Das gilt etwa für die Silberdistel, die Brockenanemone und den Wellensittich-Enzian. Das raue Klima auf dem 1.141 Meter hohen Brocken entspricht dem auf einem 3.000 Meter hohen Gipfel in den Alpen. Deshalb wachsen im Brockengarten auch viele Hochgebirgspflanzen. Der Garten besteht aus einem wissenschaftlichen Versuchsteil und einem für das Publikum geöffneten Schauteil. Er beherbergt insgesamt rund 1.500 Pflanzenarten aus allen Hochgebirgen der Erde.

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