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Gemeinschaftliche Selbstermächtigung

Freiraum schaffen: Die Ausstellung „Islands of Utopia“ im Musuku, dem neu gegründeten „Museum der Subkulturen für Berlin“, das erst mal im Haus der Statistik eine Heimat hat

Von Martin Conrads

Das Foto der „Ol’ Hickory“, wie sie im Morgengrauen unter einer der Brücken des Canal Grande in Venedig durchschwimmt, die Gesichter ihrer Besatzungsmitglieder voll ungläubiger Freude über diesen außergewöhnlichen Moment, gehört zu den stärksten der Ausstellung. Es stammt vom Fotografen Tod Seelie, der im Jahr 2009 eine Gruppe von KünstlerInnen dokumentierte, die auf drei selbstgebauten, so künstlerisch improvisierten wie aufwendig gestalteten Flößen wie der „Ol’ Hickory“ von Slowenien über die Adria nach Venedig aufbrach. Das Ziel: der Biennale dort einen unangekündigten Besuch abzustatten. „Swimming Cities of Serenissima“, das von der US-amerikanischen Künstlerin Swoon initiierte Projekt, hatte bereits 2008 einen Vorläufer, die „Swimming Cities of Switchback Sea“. Um die 70 Personen begaben sich damals auf die gleiche Weise auf den Hudson River, bis sie nach drei Wochen Reise flussabwärts Manhattan zu jener Kulisse machen konnten, vor der Seelie sie und ihre Mad-Max-in-Gut-Flöße fotografierte.

Die Ausstellung „Islands of Utopia“, eine der aktuellen „Pioniernutzungen“ im Haus der Statistik am Alexanderplatz, will anhand von internationalen und Berliner Projekten zeigen, wie „Freigeister, Rebellen und Künstler“ zwischen (städtischer) Verdrängung und (künstlerischer) Ermächtigung Gewässer als öffentlichen Raum neu- und umdefinieren.

Dass andere Besitzverhältnisse und Gesetze als die an Land den in der Ausstellung zumeist auf Bildern verschiedener FotografInnen dokumentierten Projekten in die Hände spielen oder diese zur kreativen Auslegung und Anwendung entsprechender Verordnungen anregen, zeigen so auch die mit Zitaten von entsprechenden Beteiligten begleiteten Fotos der „Sausalito houseboats“ in der San Francisco Bay (Nicole Strasser) oder von den – teils schon geräumten – Bootssiedlungen in der Rummelsburger Bucht (Saskia Uppenkamp).

Anke Fesel und Chris Keller stehen in der von ihnen kuratierten und gestalteten Ausstellung und betonen, wie sehr das gemeinschaftliche Moment solche Initiativen (zu denen auch das „Flussbad Berlin“ oder – der historische Teil der Ausstellung – Piratenradiostation gehören) prägt. Darin liege sowohl das Utopische wie das Subkulturelle, das „Islands of Utopia“ demonstrieren will.

Fesel und Keller haben Erfahrung mit gemeinschaftlichen utopischen und subkulturellen Momenten. Seit 1990 arbeiteten und/oder lebten beide im Tacheles, im Eimer, im Schokoladen. Orte, in denen gemeinschaftliche Selbstermächtigung als (sub)kulturelles Prinzip erprobt wurde. Temporäre autonome Zonen, Inseln im Netz. In Berlin weltbekannt geworden sind sie durch die Herausgabe und Gestaltung des Buches „Berlin Wonderland“ (2014), das in Bildern und Texten diese „Wild Years“ Anfang/Mitte der 1990er im Osten der Stadt dokumentiert. Als Fotoausstellung tourt „Berlin Wonderland“ derzeit mit dem Goethe-Institut. Ihre Fotoagentur bobsairport, unter deren Label das Buch publiziert wurde, laufe ab jetzt aber nur noch im Hintergrund mit: ab sofort seien sie, gemeinsam mit Bettina Hertrampf und noch ohne festen Ort, das Musuku, das „Museum der Subkulturen für Berlin“, dessen erste Ausstellung „Islands of Utopia“ ist.

Auch das Musuku ist so ein Akt der Erst-mal-machen-Selbstermächtigung. An eine Mitgliedschaft beim Internationalen Museumsrat ICOM sei nicht gedacht, hierfür erfüllt das Museum auch so gut wie keine der vorgegebenen Bedingungen. Viel wichtiger: Weltweit gäbe es bisher kein einziges Museum für Subkulturelles, dabei, wie die Infotafel in der Ausstellung behauptet, gelte „Berlin neben London und New York als eine der Geburtsstätten der Subkultur“ (was die Sklaven unter Spartakus oder die Jakobiner allerdings zunächst auslässt).

Warum aber überhaupt die institutionalisierte Form des Museums anstreben? „Haus der Subkulturen“, so Keller, klinge eher so, als wolle man dann dort nur eine Tischtennisplatte aufstellen, während Museum eine solche Initiative hoffentlich förderungswürdiger erscheinen lasse.

Die Ausstellung will zeigen, wie „Freigeister, Rebellen und Künstler“ zwischen Verdrängung und Ermächtigung Gewässer als öffentlichen Raum neu- und umdefinieren

Trotzdem sei das Musuku bisher bei der Stadt auf taube Ohren gestoßen, sodass man die Eröffnungsausstellung aus eigenen Mitteln, mit kurzfristig eingesprungenen Sponsoren und der Hilfe vieler bereitwilliger MitstreiterInnen habe stemmen können.

Was Themen kommender Ausstellungen sein könnten? Die Cosplay-Szene zum Beispiel interessiere sie nicht, überhaupt stünden Subkulturen, die sich über Mode und Kleidung definieren, nicht in ihrem Fokus. Sehr gut, so Keller, könne man sich aber eine Ausstellung über Fahrradsubkulturen vorstellen, von Critical Mass zur New Yorker Bike-Kill-Szene. Oder eine Ausstellung, die „The Art of Protest“ heißen könnte – über gerade auch Berliner Initiativen wie Kotti & Co, die erfolgreich gegen Verdrängung aufbegehren. Fesel könnte sich gut eine Ausstellung über die sich durch die Geschichte verändernden Zuschreibungen von LSD von der bewusstseinserweiternden Droge zur Selbstoptimierungssubstanz vorstellen.

Wobei das mit den Erweiterungen so eine Sache ist: Dass der einführende Text in „Islands of Utopia“ tatsächlich davon spricht, dass Gewässer eine Option auf „Erweiterung des Lebensraums“ – ein Begriff aus der NS-Diktion – darstellen, ist allerdings mindestens töricht. So museal man sich die damit verknüpfte Subkultur (und deren emotionalisierte Anführer) wünscht, wünscht man sich an dieser Stelle, sollte das Musuku eines Tages einen festen Ort oder eine feste Struktur bekommen, auch die Gemeinschaft eines wissenschaftlichen Beirats – genügend zusätzliche ExpertInnen für Subkulturen sollten sich jedenfalls in Berlin finden lassen.

Islands of Utopia: Haus der ­Statistik (Haus D), Otto-Braun-­Straße 70/72, tgl. 12–21 Uhr, bis 5. Oktober. Eintritt frei

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