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Ein Ersatz, der keiner ist

Der Vegetarismus hat Konjunktur, die Nachfrage nach Fleisch-Ersatzprodukten steigt seit Jahren. Gleichzeitig nimmt der Fleischkonsum aber nicht ab. Wie passt das zusammen?

Von Tobias Schmidt

Alle Welt lebt vegetarisch. Wer die steigende Präsenz veganer Burger in Discounter-Regalen beobachtet, wer Tausende für weniger Fleischkonsum protestierende SchülerInnen medial begleitet und den Hype um eine fleischlose Bulette mit dem Namen „Beyond Meat“ mitverfolgt, kann schwerlich einen anderen Eindruck bekommen. Das Konzept „Veggy“ scheint zu boomen, während tierische Produkte augenscheinlich immer mehr aus der Mode kommen. Aber stimmt dieser Eindruck?

Die Welt ohne Schnitzel

Die Messe VeggieWorld ist die größte und bundesweit älteste Messe für pflanzlichen Lebensstil. Sie stellt inzwischen in sechs deutschen und zehn weiteren Städten weltweit vegetarisches Essen, vegane Kosmetik und andere Konsumprodukte vor.

Am 14. und 15. September hat sie in den Dortmunder Westfalenhallen Besucher angelockt. Über 70 Aussteller zeigten ihre Waren von Gemüsesticks über Biotampons bis zu veganem Deodorant.

Das Rahmenprogramm war zum Teil politisch - so gab es eine Diskussion zum Thema „Ernährung als Multiproblemlöser: Wie wir auf unseren Tellern die Welt verändern“ - bis putzig: Besucher konnten vegane Pralinen selbst kreieren und sich in die Konfektkunst einführen lassen.

Fest steht: Selten war es so einfach, vegetarisch zu leben, wie heute. Fleischlose Gastronomien schießen wie Riesenbambus aus dem Boden, die Zuwachsraten veganer und vegetarischer Restaurants in großen und mittelgroßen Städten erreichten zeitweise ­astronomische 94 Prozent innerhalb eines Jahres. Selbstverständlich bieten auch McDonald’s und Burger King inzwischen vegane Burger an. Zudem gehen zwei von drei Köchen in Großküchen davon aus, dass Vegetarismus in ihrem Betrieb sogar noch an Bedeutung gewinnen wird. Und spätestens die „Veggy-World“-Messe in Dortmund, bei der an diesem Wochenende 80 Aussteller und Tausende Besucher erwartet werden, lässt kaum noch Zweifel: Die Welt schien selten so nachhaltig zu essen wie heute.

Demgegenüber steht nun ein Phänomen, das sich nicht so recht mit einem „Veggy-Hype“ vereinbaren lassen will: Der Fleischkonsum sinkt nicht – trotz der Fülle an Alternativprodukten, die auf den Markt fluten. 60 Kilogramm Fleisch pro Person pro Jahr, dieser Wert bleibt seit den 1990er Jahren stabil. Zwar konsumieren die Deutschen immer weniger Schweinefleisch, dafür jedoch umso mehr Hühnchen, Kalb und Rind. Laut ersten Hochrechnungen stieg der Fleischkonsum im Jahr 2018 sogar wieder an, von 60 auf 60,2 Kilogramm pro Kopf. Wie passt das zusammen?

„Mich wundert es ehrlich gesagt auch, dass der Fleischkonsum in den vergangenen Jahren nicht gesunken ist“, sagt Harald Seitz, Ökotrophologe beim Bundeszentrum für Ernährung (BzfE). Mit Blick auf die vielen Veggy-Produkte, die inzwischen abgesetzt würden, sei dies geradezu erstaunlich. So steigt der Umsatz mit Fake-Fleisch und pflanzlichen Brotaufstrichen seit Jahren, berichtet das Marktforschungsunternehmen Nielsen. Nimmt man alle anderen vegetarischen Produkte wie Gemüse und Grillkäse hinzu, so hat sich der Umsatz mit vegetarischen und veganen Produkten im Lebensmitteleinzelhandel zwischen 2015 und 2018 auf 1,2 Milliarden Euro sogar fast verdoppelt. Dass das der Beliebtheit von tierischen Produkten nichts anzuhaben scheint, lässt nur einen Schluss zu: Die Deutschen kaufen massig Fleisch-Ersatzprodukte – nur eben nicht, um damit Fleischprodukte zu ersetzen.

Seitz bestätigt den Eindruck: „Ich glaube, dass keine wirkliche Kompensation stattfindet.“ Viel wahrscheinlicher sei, dass Fake-Fleisch die KonsumentInnen neugierig mache und dadurch der Absatz dieser Produkte steige. Das vermutet auch die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). „Viele Produkte sind Probierprodukte“, heißt es dort – und die VerbraucherInnen beließen es häufig bei einem Versuch. So täuschen die vielen Ersatzprodukte, die ganzen „Wonder Burger“ und „Soja-Bolognesen“ in den Regalen darüber hinweg, dass sich eigentlich wenig tut im Kampf gegen den übermäßigen Fleischkonsum der Deutschen.

Dabei belastet die übermäßige Tierhaltung in einigen Regionen Deutschlands das Grundwasser, trägt zum Klimawandel bei und verstößt in vielen Fällen gegen den Tierschutz. Laut Bundesumweltministerium entstehen bei der Produktion von einem Kilo Schweinefleisch, dem noch immer beliebtesten Fleisch der Deutschen, rund 3,2 Kilogramm Treibhausgase. Rindfleisch bringt sogar 13,3 Kilo auf die CO2-Waage. Bei Gemüse sind es wenige hundert Gramm. Die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, beziffert den Anteil der Nutztierhaltung an den vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen auf 16 Prozent. Ein baldiges Absinken des Fleischkonsums scheint indes nicht in Sicht. Die Hoffnung, man brauche allein Gemüsebuletten und Sojawürstchen ins Supermarkregal zu legen und die VerbraucherInnen würden von selbst ihren Konsum ändern, hat sich – zumindest bislang – nicht erfüllt. Wie ausgeprägt die deutsche Trägheit im Fleischkonsum ist, zeigt eine Studie des Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov. Ihr zufolge sind 70 Prozent nach eigener Auskunft „eher nicht“ oder „auf keinen Fall“ dazu bereit, künftig von Fleisch auf Ersatzprodukte umzusteigen.

Es sind Zahlen, die angesichts des augenscheinlichen „Veggy-Booms“ stutzig machen. Harald Seitz zeigt sich dennoch optimistisch, dass es bei dieser starren Nachfrage nicht bleibt: „Ich glaube, dass das eine Generationenfrage ist“. Denn auch das gehöre zur Wahrheit: In Schulen werde das Thema Ernährung, etwa mit einem „Ernährungsführerschein“, immer wichtiger. Die vornehmlich jugendlich geprägte Fridays-For-Future-Bewegung deutet einen ähnlichen Trend an. Zudem ist in der jungen Bevölkerung unter 30 der Anteil der VegetarierInnen überdurchschnittlich hoch – ein Indiz dafür, dass die KundInnen von morgen an der verkrusteten 60-Kilo-Grenze etwas ändern könnten. Davon zumindest ist Harald Seitz überzeugt: „Die Leute, die mit vegetarischen Alternativen aufgewachsen sind, die gerade in den Zwanzigern sind, werden in Zukunft den Unterschied machen.“

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