piwik no script img

Auf der Tanzbaustelle

Wo das Glück des kreativen Prozesses, des Wachsenlassens, des Ausprobierens noch greifbar ist: In den Uferstudios an der Panke zeigt die Choreografin Riki von Falken „Die Architektur einer Linie“

Mit dem Licht tanzen: Riki von Falken, „Architektur einer Linie“ Foto: Dieter Hartwig

Von Katrin Bettina Müller

Riki von Falken hat schon viele Solos choreografiert, der Lichtdesigner Ralf Grüneberg war oft mit dabei, selbst nicht sichtbar. In ihrem neuen Stück „Die Architektur einer Linie“ ist das erstmals anders. Grüneberg, der auch Musiker und Komponist ist, sitzt mit Elektronikpulten und klangerzeugenden Materialien auf einer schiebbaren Plattform mitten im Raum des Uferstudios 14, ebenso Oscar Loeser, der auf einem Leuchttisch mit einfachen Gegenständen klare geometrische Anordnungen erzeugt, an die Wände projiziert, sampelt und vervielfältigt. Beide improvisieren und reagieren aufeinander, Lichtlinien schieben sich über gekachelte und glatt gestrichene Wände und streichen über den Boden, Flächen stoßen aneinander, überblenden sich, teilen sich. Klangliche und visuelle Strukturen greifen ineinander. Dazwischen richtet der Bühnenbildner Clemens Kowalski Scheinwerfer aus, später verfolgt er die Tänzerin Riki von Falken mit einer Taschenlampe und lässt ihren Schatten wachsen und wandern. Während der Raum selbst dabei zu schrumpfen oder sich auszudehnen scheint.

Alle Elemente, die eine Bühne, eine Atmosphäre, eine Stimmung ausmachen, sind hier als aktive Mitgestalter sichtbar und beziehen sich aufeinander. Das erzeugt eine Offenheit und Wachheit, als sähe man hier nicht einfach einem Tanzstück zu, sondern wäre bei dem Prozess der Entstehung dabei. Auf der Tanzbaustelle sozusagen, wo das Glück des kreativen Prozesses, des Wachsenlassens, des Ausprobierens noch greifbar ist und nicht verschwunden hinter einem fertigen Produkt. Solche Offenheit anzustreben ist für viele Künstler*Innen ein Ideal, sie auszuformen vor den Augen der Zuschauer*Innen ist trotzdem nicht leicht zu erreichen.

Dabei sieht alles so einfach und nach Spiel aus. Riki von Falken läuft durch die Lichtgitter und die sich verschiebenden leuchtenden Flächen und bildet mit ihren angewinkelten Armen neue Fenster, die sich öffnen und schließen, die Blickrichtung ändern, sie selbst in einen Rahmen fassen und wieder freigeben. Die Geometrie der Winkel, die von den Lichtlinien gebildet werden, findet sich wieder in ihren weiten Schritten, einer geneigten Haltung, einem abgewinkelten Bein. Und dann dreht sie sich, kreist um die eigene Achse und kreuzt die Lichtgeflechte. Sie wächst und schmilzt mit ihren Schatten, sie reagiert auf das Licht wie auf einen Tanzpartner. Manchmal aber tritt sie zurück in das Dunkel und wartet, was als Nächstes geschieht, ob ein Vorhang durch den Raum wandert oder eine Schlange aus Licht zur Decke hochklettert. So wird aus dem Solo einer Tänzerin ein Quartett mit ihren drei Technikern als gleichberechtigten Künstlern.

Ästhetisch fühlt man sich dabei oft, in dem Jahr, in dem an die Gründung des Bauhauses vor 100 Jahren gedacht wird, an dessen Fotogramme und Lichtspiele erinnert, wie an den Licht-Raum-Modulatur von László Moholy-Nagy, der mit Spiegeln, reflektierenden Gittern und einem Motor die Wahrnehmung des Raums in fließende Bewegungen versetzte. Und auch inhaltlich verwirklicht das Stück ein Vorhaben des Bauhauses, nämlich Kunst und Technik in eine Balance zu bringen. Wäre dies einfacher zu realisieren oder würde es häufiger gelingen, das Bauhaus wäre nicht zu so einem hohen Ideal stilisiert worden.

Ein expliziter Bezug ist dieses historische Kapitel aber nicht für die Choreografin und ihre Gruppe. Riki von Falken, seit 1981 als Tänzerin in Berlin unterwegs, arbeitet schon lange am Aufspüren und Verfolgen der Impulse der Bewegung. „Ein Körperteil schiebt den Impuls an und ich lasse ihn entstehen, in der Beziehung von den Armen, den Beinen, des Kopfes, des Rumpfes zueinander. Ich folge der Entwicklung einer Bewegung. Wie schiebt sie sich durch den Körper, wie schiebt sich der Körper durch den Raum. Was begegnet mir?“ Das zu beobachten, auch auszuhalten, wenn keine benennbare Richtung dabei auftaucht, nichts, was sich an äußere Begriffe oder Thematiken heftet, ist ihr Konzept. Das durchzuhalten in einer Kunstszene, die zu jedem Projekt gleich das diskursive Stichwort mitgeliefert haben will, ist oft auch ein einsamer Weg gewesen.

Die Architektur einer Linie: Uferstudios (Studio 14), Uferstr. 23. Sa. 20.30 Uhr, So. 19 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen