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Naturidyll zwischen See und Seen

Das kleine Ostseebad Hohwacht zwischen Kiel und Fehmarn ist noch immer ein bisschen Fischerdorf geblieben. Umgeben ist es von einem Vogelparadies, dem pittoresken Lütjenburg, einer Turmhügelburg und Schleswig-Holsteins schönstem Gutshof

Das Wahrzeichen von Hohwacht: Die Flunder genannte Seebrücke Foto: Fotos (2): Helene Hinrichsen

Von Sven-Michael Veit

Irgendwann fällt einem auf, dass hier etwas fehlt. Nicht, dass man es vermissen würde, aber ein wenig ungewohnt mutet es zunächst doch an: In Hohwacht gibt es keine Hochhäuser. Am Strand stehen vereinzelt ein paar Hotels und Apartmenthäuser mit drei oder vier Stockwerken, eine massive Bebauung aber gibt es hier nicht in dem kleinen und noch immer etwas abgelegenen Badeort an der Ostsee zwischen Kiel und Fehmarn. Denn schon vor etwa 60 Jahren beschloss die Gemeinde, dass kein Haus höher sein dürfe als die Wipfel der Bäume. Und das ist der wesentliche Grund dafür, dass der Neubauboom an Hohwacht vorbei­gegangen ist und das Ostseebad ein bisschen Fischerdorf geblieben ist mit Fischbrötchenbuden am alten Anleger.

Dafür gibt es die 50 Badehütten am Strand unter dem bewaldeten Steilufer mit weiten Blicken über das Meer, das dem Ort den Namen gab: Hohe Wacht. Die erste Hütte entstand 1908, sie reichte, um sich umzuziehen, bei Regen im Trockenen zu sitzen und für ein Nachtlager. In den 1920er-Jahren ließen sich mehrere Künstler in Hohwacht nieder, unter ihnen die Maler Heinrich Vogeler und Karl Schmidt-Rottluff. In der Folge kam Hütte um Hütte der Marke Eigenbau hinzu, nach Baugenehmigung und Naturschutz fragte damals niemand. Nur kochen durfte man nicht, wegen der Brandgefahr. Wenn der Strandwächter kam, wurde der heiße Topf unters Bett gestellt, und der tat so, als wüsste er das nicht.

Inzwischen gilt für die gelben, blauen, grünen, roten, jedenfalls bunt gemischten Holzhäuschen, die sämtlich in Privatbesitz sind, ein gewisses Regelwerk. Sie dürfen in Schuss gehalten, aber nicht modernisiert oder vergrößert werden. Sollte eine Hütte durch Hochwasser oder Feuer zerstört werden, muss die Ruine ersatzlos abgerissen werden, darauf haben sich der Pächterverein „Stranddistel“ und die Gemeinde geeinigt. Die duldet dafür die charmanten Schwarzbauten in der Düne – und wirbt inzwischen selbst mit den historischen Badehütten, die es so in Deutschland kein zweites Mal gibt. Das allerletzte Wort, so will es scheinen, ist in dieser Sache noch nicht gesprochen.

Direkt vor den Hüttchen steht das zweite Wahrzeichen des Strandbades: die Flunder. Die Seebrücke mit einer fast 400 Quadratmeter großen Plattform wird so genannt, weil ihre einzigartige Gestalt an einen Plattfisch erinnert, getragen von einer Stahlseilkonstruktion an einem 24 Meter hohen schiefen, blauen Pylon.

Der besondere landschaftliche Reiz der 900-Einwohner-Gemeinde liegt darin, an drei Seiten von Wasser umgeben zu sein. Im Osten die Ostsee, im Norden der Große Binnensee mit einem kleinen Segelhafen und im Süden der Sehlendorfer Binnensee. Dieses 77 Hektar große Naturschutzgebiet aus Salzwiesen, Trockenrasen, Brackwasser-Röhricht, Sandbänken und Dünen ist ein Vogelparadies. Strandbrüter wie Sandregenpfeifer, Zwergseeschwalbe und Austernfischer leben hier, Rotschenkel, Kiebitze und Gänsesäger ebenso, natürlich etliche Arten von Enten, Gänsen und Möwen und auch Störche, Reiher und Kraniche sowie große Greife: Falken, Milane und Seeadler schweben oft über der Lagune, in die das Meer bei Hochwasser durch den Broeck, den vielleicht 400 Meter langen Ausfluss, hineindrängt und für das Salz im See sorgt. Zu beobachten ist das Treiben in dem vom Nabu betreuten Schutzgebiet von zwei unauffälligen Holzplattformen.

Und natürlich wachsen in diesem Naturreservat, durch das ein etwa zwei Kilometer langer Fuß- und Radweg entlang der Düne führt, eine Reihe seltener Pflanzen. Hier ist eines der größten Vorkommen des Echten Eibisch, einer zartrosa blühenden Malvenart, in Schleswig-Holstein. Auch die stattlichen Stauden des Erzengelwurzes mit ihren großen weißen Blütendolden und die gelbblühende Sumpfgänsedistel sind nicht zu übersehen.

Auf den sandig-trockenen höheren Flächen finden sich die seltene Stranddistel, die besonders von Bienen und Schmetterlingen geschätzt wird, Salz-Strandmiere und Binsenquecke, und auch traditionelle Erstbesiedler wie Nachtkerze, Ochsenzunge, Seifenkraut und Moschusmalve.

Hinter dem Campingplatz am Südrand des Naturschutzgebietes kann zum Weißenhäuser Strand gelangen, wer gut zu Fuß ist. Unter dem Steilufer am Strand entlang muss man die etwa vier Kilometer durch den Sand wandern. Das ist aber nur bei ablandigem Wind zu empfehlen, denn bei Hochwasser versperrt schon mal die Ostsee den Weg, und das kann mindestens ungemütlich werden.

Dann bietet sich ein kleiner Ausflug per Rad an. Nach acht Kilometern entlang des Großen Binnensees erreicht man Stöfs. Der kleine Ort auf einem 35 Meter hohen Waldrücken bietet einen fantastischen Ausblick auf Seen und Meer, die Reste zweier slawischer Burganlagen aus dem vermutlich 10. Jahrhundert sowie mehrere Grabhügel aus der Bronzezeit.

Nach weiteren vier Kilometern kommt man in das Zentrum der Region, die 5.500 Einwohner zählende Kleinstadt Lütjenburg, der Musiker, Regisseur und Schriftsteller Rocko Schamoni mit seiner Autobiographie „Dorfpunks“ ein Denkmal setzte. Lütjenburg besitzt eines der schönsten und geschlossensten Kleinstadtbilder in Holstein. In der gediegenen Altstadt voller Backsteinbauten stehen das barocke Rathaus von 1790 und das Färberhaus. Das Fachwerkhaus ist mit fast 450 Jahren das älteste Wohnhaus der Stadt.

Hohwacht: Touristinfo, Berliner Platz 1, 24321 Hohwacht, www.hohwacht.de

Sehlendorfer Binnensee: https://schleswig-holstein.nabu.de/natur-und-landschaft/nabu-schutzgebiete/sehlendorfer-binnensee

Lütjenburg: Touristinfo, Am Markt 4, 24321 Lütjenburg, www.stadt-luetjenburg.de.

Turmhügelburg: Nienthal 3, 24321 Lütjenburg, www.turmhuegelburg.de

Eiszeitmuseum: Nienthal 7, 24321 Lütjenburg

Gut Panker: www.gutpanker.de

Backsteinrote Bürgerhäuser und die spätgotische Michaeliskirche zieren den Marktplatz – und die enge, urige und total verquarzte Probierstube am Markt 16. Dort kreiert die Kornbrennerei Detlef Heinrich Boll seit 1824 neben diversen Kornspezialitäten ihren sanftgelben Lütjenburger Aquavit – ein wirklich feines Stöffchen. Elf Brennereien gab es einst in der Stadt, deshalb wurde sie im Volksmund auch „Kümmelburg“ genannt.

Etwas außerhalb nordwestlich der Stadt liegen zwei weitere Sehenswürdigkeiten. Das Museum Turmhügelburg ist die Rekonstruktion einer mittelalterlichen Burganlage, von denen es in der Region mindestens elf gegeben hat. Keine jedoch blieb erhalten. Zentrum der Anlage mit Wohnhaus, Speicher, Schmiede und Ställen ist die quadratische hölzerne Wehrburg auf einer mit Gräben geschützten Insel.

Und gleich nebenan befindet sich in Gebäuden eines Gutshofs das Eiszeitmuseum, das sich der Entstehung der Gegend durch und nach der letzten Eiszeit widmet. Eine Vielfalt an Steinen, auch Bernstein, und Ammoniten ist hier zu sehen, die Tundra mit ihren Mammuts, Rentieren und Wollnashörnern ist nachgestellt, und ein Film zeigt die Entstehung der Region.

Highlight mag das sechs Kilometer weiter nördlich gelegene Gut Panker sein, das nicht wenige für Schleswig-Holsteins schönste Gutsanlage halten. Das imposante Herrenhaus, die Kapelle, das mächtige Torhaus und die historischen Wirtschaftsgebäude stehen in einem weiten und leicht hügeligen Gelände mit Wiesen und Weiden. In den früheren Gesindehäusern gibt es Wohnungen, Kunsthandwerksläden, Galerien und die Gaststätte „Ole Liese“. Im Sommer ist Panker auch oft Bühne für Konzerte des Schleswig-Holstein Musikfestivals.

Am Nordende des Guts, hinter Haus 11, biegt rechts ein Feldweg ab. Auf diesem lässt es sich ungestört über Matzwitz, Behrensdorf und Seekamp zurück nach Hohwacht radeln. 30 Kilometer lang ist diese Tour, und nach zweimal 160 Höhenmetern und etwa zwei Stunden Fahrzeit ist man schon wieder zurück in Hohwacht.