: Keine Mehrheit für niemand: Steuert Israel auf die Groko zu?
Der Wahlverlierer heißt Benjamin Netanjahu. Dass er aber als Regierungschef durch Blau-Weiß-Kandidat Benny Gantz abgelöst wird, ist alles andere als sicher. Israel stellt sich auf eine schwierige Regierungsbildung ein
Aus JerusalemSusanne Knaul
Es ist das schlechteste Ergebnis für Benjamin Netanjahu seit seiner Niederlage gegen Ehud Barak 1999, und doch ist noch alles offen. Bei Israels Parlamentswahl am Dienstag ergibt sich nach Auszählung von gut 90 Prozent der Stimmen erneut eine Pattsituation. 31 Mandate für den Likud des noch amtierenden Regierungschefs Netanjahu und 32 für seinen Herausforderer Benny Gantz vom Mitte-links-Bündnis Blau-Weiß, so lautet das vorläufige Ergebnis. Dasselbe Bild zeigt sich bei den zwei Blöcken im Parlament: die rechten und religiösen Parteien (inklusive Likud) kommen auf 55 von 120 Sitzen; die Mitte-links-Parteien (inklusive Blau-Weiß) kommen mit den Arabern und Antizionisten auf 56 Mandate. Damit liegen beide Lager unter der notwendigen Mehrheit von 61 Sitzen.
Als Königsmacher gilt nun Avigdor Lieberman, Chef der weltlich-nationalen Partei Israel Beitenu (Israel ist unser Heim) mit neun Mandaten. An Lieberman war Netanjahu bereits gescheitert beim Versuch, nach der Wahl im vergangenen April eine Regierung zu bilden. Die Forderungen des strikt weltlichen Politikers waren nicht mit Netanjahus ultraorthodoxen Partnern unter einen Hut zu bringen, weshalb es zu der Neuwahl kam.
Erst spät in der Nacht auf Mittwoch zeigte sich Netanjahu vor seinen Parteifreunden. Viele waren schon nach Hause gegangen. „Bibi (Netanjahu), König Israels“, riefen die noch verbliebenen Anhänger. Trotz des enttäuschenden Ergebnisses gibt sich Netanjahu nicht geschlagen. Nun gelte es, „unsere Errungenschaften“ zu erhalten und weiter voranzutreiben. Für den unter Korruptionsverdacht stehenden Netanjahu drängt die Zeit. Schon am 2. Oktober soll die Anhörung in drei Korruptionsfällen beginnen.
Blau-Weiß-Chef Gantz gab sich in der Wahlnacht vorsichtig optimistisch und kündigte an, eine „breite Koalition der nationalen Einheit“ gründen zu wollen. Die Wähler hätten sich „gegen Hetze und Aufspaltung“ entschieden.
Große Freude herrschte bei der arabisch-antizionistischen Vereinten Liste. Die Linksaußen-Liste gewann mit 13 Mandaten drei Sitze mehr als bei der letzten Wahl. „Wir schicken diesen Hetzer (Netanjahu) nach Hause“, jubelte Ayman Odeh, Chef der Vereinten Liste, und bedankte sich für die überraschend lebhafte Wahlbeteiligung im arabischen Sektor. Odehs Parteifreund Achmad Tibi konnte seine Schadenfreude nicht verbergen. Jetzt könne „Netanjahu nach Hause oder ins Gefängnis galoppieren“, sagte er in Anspielung auf die Warnung Netanjahus bei einer früheren Wahl vor den Arabern, „die in Horden zu den Wahlurnen galoppieren“. Tibi kommentierte: „Die Ära Netanjahu ist zu Ende.“
So schnell will Netanjahu indes nicht das Handtuch werfen. Wahrscheinlich ist, dass Staatspräsident Reuven Rivlin in den kommenden Tagen zunächst den Chef von Blau-Weiß mit der Regierungsbildung beauftragt. Gantz strebt eine Große Koalition mit dem Likud an, stellt jedoch zur Bedingung, dass Netanjahu geht. Eine Meuterei im Likud wäre – nach zwei unentschiedenen Wahlen gepaart mit den Anklagen, die Netanjahu in mehreren Korruptionsfällen drohen – durchaus denkbar. Gantz wird versuchen, mit dem Versprechen auf Ministerposten Likud-Abtrünnige in sein Lager zu locken.
Scheitert Benny Gantz an der Regierungsbildung, wird Netanjahu umgekehrt versuchen, das Bündnis von Blau-Weiß zu knacken und Jair Lapid, der sich mit seiner Zukunftspartei erst Anfang des Jahres dem Bündnis von Benny Gantz anschloss, für seine rechte Koalition zu gewinnen. Lapid saß in der Vergangenheit kurzfristig als Finanzminister in einer Regierung unter Netanjahu. Allerdings war eins der zentralen Wahlversprechen von Blau-Weiß an die Wähler, dass das Bündnis von Blau-Weiß auch nach der Wahl bestehen bleibt.
Theoretisch wäre eine Regierung unter Gantz auch ohne den Likud möglich. Dazu müsste es dem früheren Generalstabschef gelingen, die arabische Vereinte Liste mit Avigdor Lieberman zum Zusammengehen zu bewegen. Eine schwierige Mission, denn Lieberman sind Israels Araber so verhasst wie die Ultraorthodoxen. Und auch umgekehrt lehnen die Vertreter der arabischen Minderheit ein Zusammengehen mit dem Nationalisten ab.
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