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Archiv-Artikel

Kein Schnickschnack, nur Müll

Das Künstlerduo Köbberling und Kaltwasser ist überzeugt: Nicht Technologie, sondern Recycling bedeutet Fortschritt. Aus Abfall bauen sie eine Persiflage auf das Hightech-Haus der T-Com

„Ich wünsche mir mehr Dreckecken. Die Leute sollen mehr auf die Straße stellen“

VON VERONIKA DE HAAS

Es steht mitten in der Stadt. Kaum 250 Meter vom Potsdamer Platz versteckt sich neuerdings ein Einfamilienhaus zwischen Bäumen und der Hecke, die den Parkplatz des Martin-Gropius-Baus von der Straße trennt. Die schicke Holzlamellenfassade über zwei Etagen wird von Fenstern unterschiedlicher Größe unterbrochen. Doch man kann in dem Haus nicht wohnen. Es hat keine Zimmer, es ist undicht und nicht beheizbar. Das Künstlerduo Folke Köbberling (36) und Martin Kaltwasser (39) hat es mit Resten aus Bauschuttcontainern zusammengebaut.

Aufmerksame Beobachter erkennen sofort die Ähnlichkeit mit der persiflierten Bauvorlage, dem T-Com Haus an der Leipziger Straße. Dort lässt die Telekom-Tochter seit April dieses Jahres per Los ermittelte Gewinner vorkosten, wie Privathaushalte in Zukunft dank hochmoderner Technologien aussehen sollen: Haustüren und Kühlschränke können ferngesteuert bedient werden, intrafamiliäre Kommunikation findet im Wesentlichen über einen elektronischen Notizblock statt.

Äußerlich sehen sich die beiden Häuser ähnlich, die inhaltlichen Unterschiede könnten aber kaum größer sein. Kaltwasser bezeichnet sein Haus grinsend als „kritische Rekonstruktion des historischen Originals“. Tatsächlich stehen „Musterhaus“ und T-Com-Haus für absolut gegensätzliche Konzeptionen von gesellschaftlicher Zukunft. Während in Letzterem modernes Leben mit technologischer Akkumulation und Kommunikation verbunden wird, propagieren Köbberling und Kaltwasser Niedrigstandard und spontane Vernetzung. Statt Ressourcenzerstörung durch Hightech-Kultur setzen sie auf Recycling. So wurde das Dach teilweise mit Filmkulissen gedeckt, Europaletten bilden die Seitenwände.

Hinter ihrem Projekt verbirgt sich eine architekturtheoretische Botschaft: Anstelle von strikten stadtplanerischen Bauvorgaben, wie am Potsdamer Platz verwirklicht, setzen die KünstlerInnen auf spontane Kreativität. Im Rahmen der Ausstellung „Urbane Realitäten: Fokus Istanbul“ im Martin-Gropius-Bau entstanden, steht das Musterhaus „wie vom Himmel gefallen“ mitten in der Stadt, sagt Köbberling. „Istanbulesk“ sei dies, ergänzt Kaltwasser. In der türkischen Metropole sind unkonventionelle Besiedelung und Bauen ohne Genehmigung an der Tagesordnung.

Auch wenn das nicht immer zu befürworten ist, regt das Bauen jenseits von Doktrinen die Fantasie an. „Unser Haus lässt Raum zum Weiterdenken und zum Träumen, weil es keine Vorgaben macht“, sagt Köbberling. Im T-Com-Haus hingegen bietet ein Mood-Manager Stimmungsuntermalungen – nach Katalog. Wählt ein Bewohner etwa den „Relax“-Modus, wird automatisch das Licht gedämpft, die Stereoanlage spielt ruhige Musik und ein Bildschirm zeigt ein Blumenmeer.

Die unterschiedlichen Kommunikationskonzepte der Häuser sind bereits von außen erkennbar. Vor dem T-Com-Haus verhindert Panzerglas den Zutritt, nur wenige Auserwählte dürfen ins kühl durchgestylte Innere. Zwischenmenschlicher Kontakt erfordert nicht auch physische Präsenz. Das „Lowtech-Haus“ von Köbberling und Kaltwasser hingegen steht direkt an der Straße, jeder Passant kann direkt anfassen, nachfragen, zuschauen. Und zu den sonntäglichen Veranstaltungen wird der angrenzende Parkplatz zum Nachbarschaftstreff.

Das Künstlerduo will keinesfalls missionarisch gegen technologischen Fortschritt wirken. Aber sie wollen das Recyclingprinzip der Wegwerfgesellschaft entgegensetzen. Im Juni richteten die beiden ein „Baustofflager“ im Wasserspeicher in Prenzlauer Berg ein. Aus dem gesammelten Material entstanden zunächst sechs Hütten vor der Gropiusstadt und nun das Musterhaus. Man müsse mehr mit dem Vorhandenen arbeiten, meint Kaltwasser. Die Zukunft liege auf der Straße. Deshalb wünscht er sich auch „mehr Dreckecken. Die Leute sollen mehr auf die Straße stellen.“ Durch solchen Austausch werde die Stadt wieder ein aktiver Lebensraum und fungiere nicht nur zur Überwindung von Distanzen.

Das „Musterhaus“ wird bis Sonntag endgültig fertig gestellt und bleibt bis zum 3. Oktober an der Stresemannstraße. Hausprogramm jeweils sonntags ab 16 Uhr