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Die Kunst kommt per Fahrradkurier

Bei Sebastian Schmiegs Aktion „Gallery.Delivery“ wird eine ganze Gruppenausstellung mit einer Rückentragetasche geliefert

Von Tilman Baumgärtel

Am Montagnachmittag ist mir eine Ausstellung frei Haus geliefert worden: Fünfzehn Arbeiten von internationalen Künstlern kamen in mein Büro in Neukölln, wurden aufgebaut, auf Nachfrage gab es Erläuterungen zu den Werken. Bis Ende der Woche bekommen vier Empfänger pro Tag bei der Aktion „Gallery.Delivery“ des Berliner Künstlers Sebastian Schmieg diese Präsentation ins traute Heim gebracht.

Ich habe noch nie bei einem Lieferdienst Essen geordert. Aber eine Gruppenausstellung per Kurier? Das wollte ich gern ausprobieren. Über eine Website mit der Internetadresse Gallery.Delivery bestellte ich die „performative Ausstellung“ aus der Rückentragetasche.

Profitabel oder nicht

Das Geschäft mit der Lieferung per Fahrradkurier erschien gerade noch als erfolgversprechendes Geschäftsmodell. Auf Berliner Straßen machten sich die schlecht bezahlten Fahrer verschiedener Anbieter die Radwege streitig. Doch der Markt scheint doch nicht so profitabel, wie die Start-up-Unternehmen gedacht hatten. Schmieg kündigt seine Aktion darum so an: „Nachdem sich Deliveroo aus Berlin zurückgezogen hat und Foodora aufgekauft wurde, ist Gallery.Delivery der letzte Dienst, der Lieferando sein Monopol streitig macht.“

Trotzdem ist die Aktion natürlich eine künstlerischen Reaktion auf die Internetplattformen, die alle Arten von Dienstleistungen per App anbieten. „Diese Unternehmen machen sichtbar, was hinter dem Handy passiert“, sagt Schmieg.

Man tippt aufs Telefon, und eine halbe Stunde steht ein Mensch vor der Tür. Weiter kommt er meist nicht. Anders bei Gallery.Delivery: Trotz Regen klingelt pünktlich um drei der Holländer Quirijn und beginnt zügig mit dem Aufbau der Ausstellung. Bald sind wir in ein Gespräch über die Arbeiten auf meinem Schreibtisch vertieft.

Quirijn arbeitet gelegentlich als Essenslieferant und kennt das Geschäft. Die Miniaturgalerie auf seinen Schultern sei zwar schwerer als seine üblichen Lieferungen, aber dafür habe er einen vorhersehbaren Arbeitstag und werde nicht von seinem Smartphone quer durch die Stadt gehetzt. Und besser bezahlt sei das Kunstliefern auch.

Die Arbeiten, die er dabei hat, beziehen sich auf die „Gig Economy“, wie schon der Titel der Ausstellung nahelegt: „New Convenience“, also die neue Bequemlichkeit, die die Plattform-Unternehmen ihren Kunden versprechen. Der „Duftspiegel“ von Stefani Glauber bringt mithilfe eines „USB-Duftsticks“ online den aktuellen Körpergeruch der Künstlerin in meine Wohnung. (Glauber riecht heute angenehm nach Rasierwasser …)

Auf einem USB-Stick von Lauren Huret findet sich ein Video, in dem iPhones geschrottet werden. Der Stick hängt übrigens an einem Armband mit kleinen Anhängern, den ich mir ums Handgelenk legen muss, und könnte wie die meisten der Arbeiten bei Gallery.Delivery so nicht in einer normalen Ausstellung gezeigt werden.

Nudelsuppe im Bett

Ein in Latex eingeschweißter Minicomputer von Lotte Meret Effinger und Marco Buetikofer zeigt ein Video über die Freuden einer fettigen Nudelsuppe, die man im Bett am Laptop schlürft. Wer aber den zweieinhalb Meter langen Comicstrip von Jaakko Pallasvuo lesen will, muss die orange Pillendose kaufen, in die er eingerollt ist. Denn letztlich ist Gallery.Delivery eine Fortsetzung des Konzepts des Multiples fürs Internetzeitalter.

Schon Künstler wie Du­champ, Beuys oder Spoerri schufen billige Auflagenarbeiten, die sich leicht verbreiten ließen und einen demokratischen Weg zum Kunstbesitz eröffnen sollten. Der Vice-Versand von Wolfgang Feelisch, der mehr als 10.000 Holzkistchen mit der Aufschrift „Intuition“ von Joseph Beuys verkaufte, ist ein berühmter Vorläufer von Gallery.Delivery.

Auch einige der Arbeiten, die in meinem Wohnzimmer ausgebreitet werden, sind bereits verkauft. Nach 90 Minuten verschwinden sie gut verpackt wieder in der Transportbox, um zwei Stunden später in einer Wohnung in Moabit installiert zu werden.

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