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Die Handlung ist wüst und bunt

Unterhaltung mit Tiefgang: Sir John Eliot Gardiner und die Seinen verzücken zur Eröffnung des Musikfests das Berliner Publikum mit einer halbszenischen Aufführung der Berlioz-Oper „Benvenuto Cellini“

Von Katharina Granzin

Im Konzert gewesen und was gelernt. Diesmal: Es gibt ein Instrument namens Ophikleide. Es sieht ein bisschen so aus, als hätte eine Comiczeichnerin es sich ausgedacht, groß und golden und mit einem lang gezogenen dicken Trichter; wie eine lustige Promenadenmischung aus Fagott, Tuba und Saxofon. Heute ist es fast in Vergessenheit geraten, und es dürfte nicht allzu viele Orchester geben, die über einen eigenen Ophikleidisten verfügen.

Das Orchestre Révolutionnaire et Romantique aber hat einen, seit John Eliot Gardiner vor zwanzig Jahren den Tubisten Marc Girardot losschickte, einer zu werden. Dessen Lehrer hatte zu Hause eines dieser lustigen historischen Blasinstrumente herumstehen und benutzte es als Blumenvase. So steht es jedenfalls im Programmheft zu lesen zum diesjährigen Auftaktkonzert des Musikfests, das am Wochenende mit prächtig Pomp und Circumstance, Glanz und Gloria über die Bühne der Philharmonie ging, mit einer Oper nämlich. Hector Berlioz’ erstes großes Bühnenwerk, „Benvenuto Cellini“, hatte Gardiner im Gepäck und dafür natürlich auch seinen famosen Monteverdi Choir mitgebracht.

Bei vergangenen Ausgaben des Festivals hatten Gardiner und die Seinen die Berliner Konzertgemeinde mit Monteverdi-Aufführungen in kollektive Verzückung versetzt. Siehe da: Das klappt auch mit Berlioz. Sicherlich spielte eine Rolle, dass für den Großteil des Publikums das, was man an diesem Abend zu hören bekam, durchaus neu war. Berlioz’ Künstleroper über den Renaissance-Bildhauer Cellini hat eine etwas schwierige Rezeptionsgeschichte (hinter sich, vielleicht). Manches daran erschien bereits den ZeitgenossInnen zu lang; zudem existierte die Oper in mehreren Fassungen. Nach dem Tod des Komponisten wurde das Werk nur sporadisch gegeben – es erlebt allerdings seit ein paar Jahren eine kleine Renaissance. Gardiner samt Orchester und Chor touren derzeit mit einer eigenen Fassung des Werks durch Europa, mit dem Musikfest als einziger Station in Deutschland.

Nun ist ja die Philharmonie keine Opernbühne, eignet sich aber hervorragend für halbszenische Aufführungen, weil das Podium vor und hinter dem Orchester genügend Platz für Sänger/DarstellerInnen bietet, noch etwas gestische Arbeit zu leisten. Das Beste daran: Das Orchester, in den Opernhäusern schamhaft im Graben versteckt, sitzt in der Mitte und wird dadurch ganz offiziell zum Mitspieler, den solistischen SängerInnen – mindestens – ebenbürtig an Präsenz.

Die opéra comique „Benvenuto Cellini“, als Unterhaltungsstück mit Tiefgang angelegt, ist für eine heldenhafte Tenor-Hauptrolle komponiert (dargeboten vom stimmgewaltigen Michael Spyres), dem als romantischer Gegenpart die junge Teresa gegenübersteht (mädchenhaft klar und in den Koloraturen wunderschön weich gesungen von der Sopranistin Sophia Burgos), in die der Künstler sich verguckt hat. Teresa ist Tochter des Schatzmeisters von Cellinis Auftraggeber, dem Papst; Letztere sind zwei komische Rollen. Der Schatzmeister zieht seine besondere Komik aus sehr tiefen Tönen, an die Maurizio Muraro kongenial seinen Gesichtsausdruck anpasst. Den Papst lässt Regisseurin Noa Naamat auftreten als verschlafenen und etwas dümmlichen Langweiler – Tareq Nazmi gelingt es aber sehr gut, seine stimmliche Performance an dieser Mimik vorbeizuschmuggeln.

Es gibt Liebe, Eifersucht, Karneval, eine üble Schlägerei und einen Streik

Die Handlung ist wüst und bunt. Es gibt Liebe, Nebenbuhlerei und Eifersucht, Trinkgelage, Karneval, eine üble Schlägerei und einen Streik der Metallarbeiter. Und wo kommen eigentlich die Matrosen her? Am Ende wird aber nicht nur Cellini seine Teresa bekommen, sondern auch seine Perseus-Statue gegossen haben.

Bei all dem Trubel gibt es eine Menge zu tun für den Monteverdi Choir, der mal in reiner Männer-, mal in reiner Frauen-, dann in kompletter Formation und jeweils unterschiedlichen Volksrollen auftritt und dabei eine große Lust am und erstaunliche Begabung zum szenisch-mimischen Spiel an den Tag legt. Das Orchestre Révolutionnaire et Romantique macht auf instrumental-musikalischer Ebene ganz genau dasselbe. Blitzschnell und virtuos wechselt es die Rollen: markiert etwas überdreht die große Festkapelle, begleitet zart die Liebesdialoge, kommentiert spöttisch die Intrigen, ist enorm präsent als ein einziger, hochgradig selbstbewusster, in Musik sprechender Organismus.

Wie macht der Gardiner das bloß? Dass man nur noch denken kann: Ganz genau so muss diese Musik gespielt werden. Was für ein grandioser Auftakt für das Musikfest!

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