Hamburger Szene von Petra Schellen: Senioren, bitte nicht trödeln beim Aussteigen!
Eigentlich sollte Busfahren einfach sein. Das Ein- und Aussteigen auch: Tür auf, Mensch raus, Tür zu. Letzteres aber bitte erst, nachdem der Passagier dem Bus heil entstieg. Aber da beginnt das Problem. Dann nämlich, wenn zwei, drei Menschen hintereinander, zum Beispiel an der Eppendorfer Haynstraße aus Bus Nummer 34 steigen wollen, aber zu langsam sind für die ungeduldige Tür. Die rammt sich nach wenigen Minuten brutal der Seniorin vor mir ins Kreuz und schließt. Die Dame strauchelt, fällt auf den Rücken, genau zwischen Bordstein und Busrad und kommt mit Hilfe schwer wieder hoch. Zum Glück hat mich die Busfahrerin schreien hören, sonst wär sie vielleicht losgeheizt.
Und während wir Fahrgäste noch werkeln und die Dame zu stabilisieren versuchen, kommt so ein neunmalkluger Jüngling des Wegs und blafft, wir sollten uns nicht aufregen. Als ob einer, dem Unrecht geschieht, gefälligst schweigen sollte, sich bloß nicht beschweren in dieser ach so gelassenen Welt.
Und als sei das nicht genug, kommt auch die Busfahrerin gelaufen und erklärt wortreich, dass sie keinen Einfluss auf das Schließtempo der Tür habe – was verwundert, denn andere Fahrer schaffen es durchaus, die Tür länger offen zu halten.
Sodann belehrt die Chauffeurin uns, dass man ja bloß den blauen Knopf drücken müsse, damit die Tür länger offen bleibe. Wo der ist? Ach ja, dahinten, vor den Notsitzen, ungefähr auf Wadenhöhe. Ich dachte bisher, der sei für Rollstuhlfahrer reserviert und habe schon Busfahrer schimpfen hören, wenn ein Nicht-Versehrter ihn versehentlich drückte. Aber neuerdings gehört die Kenntnis dieses Knopfs wohl zur Allgemeinbildung; die Busfahrerin beklagt, dass Senioren das immer wieder vergäßen.
Die Anforderung wäre demnach folgende: In die Zeitspanne, die der Senior für den Gang vom Sitzplatz zur Tür veranschlagt hatte, muss er nun auch den Gang zum – etwas abgelegenen – blauen Knopf einrechnen. Weil er durch diesen Umweg aber länger unterwegs ist, bleibt zu hoffen, dass die Tür nicht schon wieder vor ihm schließt. Zudem muss er beim Aussteigen möglichst viel zappeln oder anderweitig in Bewegung bleiben, weil die Lichtschranke der Tür sonst „Null-Bewegung“ und „Schließen“ signalisiert.
Angesichts all dieser Hürden beginnt man sich zu fragen, wer dieses System ersann. Um die Befindlichkeit von Senioren wusste derjenige jedenfalls nicht. Denn gerade sie sind oft nicht fit genug, um all das Erwähnte zu durchdenken und umzusetzen. Fest steht jedenfalls: Zur vermehrten HVV-Nutzung verleiten solch schwer zu überlistende Türen nicht. Noch weniger die Rechthaberei dieser Fahrerin gegenüber der alten Dame.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen