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Kult gegen Konstrukt

Die Berliner Fans streuen jede Menge Politik in die Erstliga-Premiere von Union gegen RB Leipzig. Das 0:4 ist ihnen fast schon wurscht

Auf Erstliga­niveau: die Fans von Aufsteiger Union Berlin Foto: Annegret Hilse/reuters

Aus Berlin Gunnar Leue

Unions Stadionbeschaller Wumme hatte sich für den historischen Tag keine besondere Setlist ausgedacht. Bisschen Achtzigerzeug aus Dunkelrockland (Sisters of Mercy), viel Union-Mucke (unter anderem Achim Mentzel selig) und zum Abschluss des Vorprogramms natürlich Nina Hagen mit dem Standard „Eisern Union“. Auch das ein Zeichen: Für die Erste Bundesliga krempeln sie an der Alten Försterei nicht den Laden um. Union bleibt Union, auch in dieser Liga. Das hatte ja schon Vereinspräsident Dirk Zingler gleich nach dem Aufstieg im Mai klargestellt.

Etwas klarstellen war dann auch erste Präsidentenpflicht kurz vorm Premierenspiel in der höchsten deutschen Spielklasse, denn die DFL-Planer hatten den Köpenickern ein – nach ihrer Ansicht – faules Ei ins Nest gelegt. RB Leipzig, das Konstrukt von Brausemilliardär Dietrich Mateschitz, als Opener an der Alten Försterei – blöder konnte die Eröffnungsparty zur geschichtsträchtigen Saison aus Union-Sicht nicht besetzt werden. Und damit war nicht das Sportliche gemeint, das sich denn auch im Endergebnis von 0:4 ziemlich exakt ausdrückte.

Noch viel größer als die sportliche ist die vereinskulturelle Differenz zwischen den beiden Klubs, was Unions Ultragruppierung „Wuhlesyndikat“ veranlasst hatte, die Banner auszurollen und ein ordentliches Stück Politik in die Fußballparty zu streuen. 15 Minuten Stimmungsboykott, um zu zeigen, dass das „Konstrukt“ RB Leipzig „mit unserer Vorstellung von Fußball absolut nichts gemein hat“, einem Fußball, „der geprägt ist von Mitbestimmung, Treue, Stehplätzen, Emotionen, Financial Fairplay, Tradition, Transparenz, Leidenschaft, Geschichten, Unabhängigkeit und Ehrenamt“. Daher und trotz der allmählichen Akzeptanz von RB unter Fußballkonsumenten gelte auch weiterhin, dass ein Spiel gegen Leipzig nicht sei wie jedes andere.

Als hätte es noch eines Zeichens bedurft, wie weit fortgeschritten die schleichende Gewöhnung an dieses Vereinsgebilde mit lediglich 17 Mitgliedern ist, das doch so schönen Fußball produziert, entspann sich prompt eine Debatte im Union-Kosmos: Ist das nicht doch etwas zu viel der Nicht-mit-uns-Attitüde? Auf jeden Fall, fanden einige Spieler der Mannschaft. Sie wünschten sich mehr Support und weniger Politik. Gleichwohl galt das nicht für alle. Unions prominentester Neuzugang, der Ex-Dortmunder Neven Subotic, warf ein, dass ein Protest, der nicht wehtue, meistens nicht so ankomme und eher ein Luxusprotest sei. Seine ohnehin schon hohen Sympathiewerte bei den Fans dürfte das noch steigern. Bei den meisten jedenfalls, denn auch im Fanlager gab es Boykottgegner.

Das böse Wort von der Spaltung der Union-Familie machte gar die Runde, was Präsident Zingler letztlich zur Klarstellung veranlasste, die man in Abwandlung eines Herberger-Satzes so umschreiben könnte: Wichtig ist aufn Rängen. Wenn die Szene es so wolle, um Haltung zu zeigen, dann solle es so sein, auch in der Ersten Liga.

Kaum war die Protestviertelstunde rum, hatte es eingeschlagen – und noch einmal und noch einmal

Und so war es dann halt. Eine Viertelstunde herrschte (größtenteils) Stille nach dem Anschuss unter den 20.000 Unionfans. In der bekamen die 2.000 Fans aus Leipzig ihre 15 Minuten Ruhm als hörbare Supporter. Dabei blieb es denn auch, obwohl es für den Anhang der Eisernen wenig zu feiern gab in Bezug auf das Platzgeschehen. Kaum war die Protestviertelstunde rum, hatte es das erste Mal eingeschlagen und – nach zwei heftigen Abwehrschnitzern – noch einmal und noch einmal.

So war mit einem 0:3 zur Halbzeit die Messe beizeiten gelesen, woran auch die Einwechslung von drei Stürmern nach der Halbzeit durch Trainer Urs Fischer nichts änderte. Vielmehr machten die überlegenen Leipziger ein weiteres Tor und die Berliner konnten lediglich den Minimalerfolg sichern, durch Verhinderung des fünften Treffers dem Konstrukt wenigstens den Weg an die Tabellenspitze verwehrt zu haben.

Am Ende war zumindest in der eisernen Fanschaft keine Enttäuschung zu spüren. Sie wusste ja, was auf die Mannschaft zukommen würde. Anders als die Spieler konnte sie sich problemlos ans Erstliganiveau anpassen. Die Fans sangen sich derart stimmgewaltig und unbetrübt durch den frühen Fußballabend, dass auch RB-Coach Julian Nagelsmann Lob zollte. Als Sieger fiel ihm das gewiss nicht schwer, gestimmt hat es trotzdem.

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