Ein Volksfest, das die Welt veränderte

Die ungarische Opposition, darunter vor allem das christdemokratisch-liberale Ungarische Demokratische Forum, bemüht sich im Frühjahr 1989 darum, das im Vorjahr von Ministerpräsident Miklós Horváth eingeleitete politische Tauwetter und die technische Abrüstung an der Grenze zu nutzen. Man organisiert eine Begegnung mit den burgenländischen Nachbarn in Österreich – schließlich war das Burgenland bis 1921 als Westungarn Teil des magyarischen Staates.

Am 20. Juni 1989 hält Otto Habsburg, Sohn des letzten Königs von Ungarn, einen Vortrag in der ostungarischen Stadt Debrecen. Es geht um die Reformbewegungen in Osteuropa und die historische Chance, die Teilung Europas zu überwinden. Danach schlagen Mitglieder des Demokratische Forums vor, die Entfernung der Grenzanlagen zu beschleunigen. Ihnen schwebt ein Picknick vor, bei dem Würstel und Speck von Ungarn und Österreichern gleichsam über die Grenze hinweg am Lagerfeuer gegrillt werden. Die politischen Aktivisten wissen da noch nicht, dass der Grenzzaun zwei Kilometer vor der eigentlichen Grenze steht und sich dazwischen militärisches Sperrgebiet befindet.

Deswegen einigt man sich schließlich auf eine Wiese bei Sopronpuszta, zwei Kilometer jenseits der Grenze vom österreichischen St. Margarethen entfernt, wo auch der nötige Stromanschluss für die Tribüne und die Mikrofone vorhanden ist.

Das Picknick an der Grenze zum Westen ist als Abschluss eines mehrtägigen „Lagers der Schicksalsgenossen“ geplant. Dort diskutieren junge Leute von Estland bis Jugoslawien über das Schicksal ihrer Länder, die teils zur Sowjetunion gehören, teils zum sozialistischen Lager zählen. László Nagy, einer der Organisatoren des Picknicks, stellt in einem Papier auch klar, dass der Name der Veranstaltung nichts mit der monarchistisch angehauchten Paneuropäischen Union von Otto Habsburg zu tun habe, sondern einfach deren übernationalen Charakter signalisieren sollte.

Nach der symbolischen Durchtrennung des Stacheldrahts kommen die ersten 20 bis 30 DDR-Bürger am bewachten Grenztor an. Das Tor wird gestürmt, die Menschen rennen auf die österreichische Seite. Insgesamt nutzen zwischen 600 und 700 DDR-Bürger die Veranstaltung zur Flucht in den Westen. Ralf Leonhard