: Alles nur aus Liebe
Über 500.000 Jugendliche werden diese Woche zum Weltjugendtag erwartet – sind sie wirklich alle Kirchenfans? Aber nein. Die Institution interessiert sie wenig. Sie sind keine Lifestyle-Verweigerer, aber sie eint das Unbehagen an der Moderne
VON JAN FEDDERSEN
Was soll er auch sonst sagen? „Neue Impulse für den alten Kontinent“, wünscht sich Papst Benedikt XVI. kurz vor seiner ersten Auslandsreise. Die ihn nach Köln führt, zum Weltjugendtag, der morgen beginnt. Ach Gott, ja: Was man eben so hofft, wenn der Tag lang ist und die gefühlte Bedrängnis groß. Er weiß es gewiss, tritt er ein wenig neben seine katholische Existenz, vielleicht nicht besser, aber weltlicher: Nein, dieser alte Kontinent ist für die Mission seiner Kirche verloren. Europa, das Kerngebiet des christlichen Eifers, ist säkular geworden – und das wird selbst dann nicht geleugnet, kämen nicht nur hunderttausende von Jugendlichen nach Köln, sondern Millionen.
Ein Weltjugendtag ist ja für jeden, der für ihn anreist – ob aus Paderborn, Bad Reichenhall oder Wiedabrück, ob aus Rio de Janeiro, Manila oder Mosambik – eine Reise, aber keine Pilgerpflicht. Und Reisen sind ja immer schön – umso mehr, als sie, katholisch-global grundiert, einen Sinnüberschuss zu generieren versprechen. Jedenfalls: Kein Zwang, keine Inquisition macht sie gefügig, kein Pope wagt noch ernsthaft mit ewiger Verdammnis oder dem Teufel oder der Exkommunikation zu drohen, wenn der Gläubige unbotsam ist.
Das Internetforum des Weltjugendtags legt davon recht munter Zeugnis ab: Man debattiert und hält sich vor, man erörtert und gibt sich allem Möglichlichen gewogen. Familie und Kinder, Gentechnik und satanische Musik, Homosexualität und Eucharistie, Gottesdienst und Priesterinnenweihe: Die Foren lesen sich wie Apokryphen des Zeitgeistes, wenngleich, klar, katholisch gewandet. Das Resümee aber ist das Gleiche wie jenes, das christliche oder konservative Parteien im westlichen Europa ziehen und ziehen müssen: Mit Hass (gegen schwangerschaftsabbrechende Frauen, gegen Homosexuelle, gegen „Sünder“ überhaupt) ist nichts zu gewinnen.
Im Gegenteil ist das Gebot der Liebe gewichtiger geworden: Kondome als Verhütungsmittel sind gängige Instrumente gegen unerwünschte Empfängnisse vor allem vor der Ehe. Dass das keine vatikanische Billigung findet, versteht sich von selbst: Dem Vatikan selbst ist es denn auch das bekümmerndste Mirakel, dass seine Verwünschungen gegen Präservative nichts, gar nichts helfen. Der Vatikan schüchtert nicht mehr ein, weil ihm die Sanktionsmacht entzogen wurden: Was für ein, weltlich gesehen, Zivilisationsfortschritt!
Immerhin, das macht dem Klerus bestimmt Mut: So sehr der Wunsch nach Ehe stabil geblieben ist, doch der nach einer kirchlichen Trauung, wenn auch sacht, schwindet, so stark ist die jugendliche Bereitschaft zum Dienst im Gottesdienst gestiegen. Die Pfarreien, gerade in den deutschen Bibelgürteln (Westfalen, Rottenburg, Oberbayern), können sich vor MessdienerInnen kaum retten: Das ist trendy, das ist okay, das ist sinnvoll, das ist chic, weil kommunitär, gemeinschaftsstiftend, überirdisch. War ja schon immer so, und das weiß natürlich auch der Papst: Jugendlichen ist die Welt nie genug.
Was aber auffällt, ist, dass Jugendliche, die sich zum christlichen Glauben bekennen („Hier stehe ich und will nicht anders“), werden nicht mehr als uncool abgetan. Früher, noch in den Siebzigern, waren junge Christen identisch mit Lebensstilverlierern. Auch wenn es ein Klischee war: Sie neigten zu fettigen Haaren, einer gewissen teigigen Körperlichkeit, trugen Kniestrümpfen und Jeans der falschen Marke; motorisch neigten sie zu einer gewissen Verschlepptheit oder zu grundlosem Tempo. Die Jungs verströmten das Flair von Verschwitztheit – und jene, die am ehesten wie Jesus aussahen, waren in keine Jungschar einzubinden. Die Mädchen trugen Zöpfe oder antierotische Mittellangfrisuren, die Strähnen mit Naturhornspangen gebündelt. Und sie waren alle so brav, so patent und so früherwachsen, so absolut das Gegenteil von Humor und Aufruhr, dass man sich besser mit ihnen nicht sehen ließ. Achtung: Lifestyle-Infektionsgefahr!
In dieser Hinsicht wird nun mit anderen Blättern gespielt. Sich zum Christsein zu bekennen, ist nicht mehr peinlich, sondern fast ein Ausdruck mächtigsten Talents zur Intimität, zur Abkehr von Oberflächlichkeit und Sinnenleere – christlicher Sinnferne, wohlgemerkt. Menschen wie die Fußballspieler Christoph Metzelder, Miroslav Klose, Moderator Thomas Gottschalk oder der frühere Arbeitsminister Norbert Blüm schämen sich nicht zu sagen, einmal – und zwar gerne – Messdiener gewesen zu sein.
Diese Signale korrespondieren wiederum mit Beiträgen im Weltjugendtagsforum, in denen dem Papst gratuliert wird, zu sein, wie er eben ist: Ein Stellvertreter Gottes, der keinem Larifari anhängt, keinem „Relativismus“, sondern lieber den Weg seiner Kirche in die Katakomben ginge, als sie mit dem Zeitgeist verwechselbar zu machen. Er möchte keine Worte sagen, die nur den Windhauch vermehren – einstehen für das, was die Kirche zur Moderne sagen müsse.
Eben Fundamentales, und zwar in seinem Sinne. Dass der Mensch kein medizinisches Ersatzteillager ist; dass Abtreibung kein Verhütungsmittel sein kann, weil ein Embryo so viel wert ist wie ein geborener Mensch; dass die Liebe eine innere Veranstaltung ist, der sich das Sexuelle unterzuordnen hat – und das Sexuelle als solches in Pornografischem mündet.
So gesehen ist Papst Benedikt XVI. sehr wohl anschlussfähig mit den Jugendlichen, die in diesen Tagen nach Köln gereist sind: Sie sind nicht uncool, sie wirken nicht blockflötenhaft mit Umwillen, sich Moden zu verweigern. Sie teilen mit der römischen Kurie das Unbehagen an der Moderne, ohne ihr freilich entsagen zu wollen. Sie glauben, im Wortsinn, an die Kraft der Liebe und intakter menschlicher Verhältnisse, am besten in der Familie. Sie haben vielleicht nicht die Kritiken Michel Houellebecqs an der rasenden Defundamentalisierung menschlicher Sitten gelesen – und sie täten ihm beipflichten. Der Weltjugendtag ist in diesem Sinne ist Treffen von Kritikern an der Neoliberalisierung menschlicher Beziehungen. Am, wie sie es sehen, Anything-goes von familiärer Verwahrlosung, von Flucht aus der Wirklichkeit und der zynischen Macht des Desinteresses an dem, was gesellschaftlich an Rohem und Kaltem hervorgebracht wird.
Und dieser Sektor ist der einzige, der eine Glaubensgemeinschaft wie die katholische attraktiv macht für Frauen und Männer, denen die säkulare Welt zu hastig, zu fleischlustig und zu überfordernd vorkommt: Keine andere Institution im aufgeklärten Europa sagt Jugendlichen, dass sie mit ihrem Frösteln an den Verhältnissen, wie sie es empfinden, nicht allein sind. Keine Gewerkschaft, keine Partei, keine lobbyistisch tätiger Verein. Die vatikanische Kirche aber sagt, was der polnische Papst so popularisiert hat: Das sexuelle Leben ist sündig, wenn es nur aus sich selbst heraus Sinn macht.
Man nenne es, wie im Weltjugendtagsforum, Scheu vor der Lust oder Keuschheit im Angesicht des überall sexistisch Sichtbaren. Der Reiz, dieser vatikanischen Spur zu folgen, liegt ja, Köln wird dies zeigen, gerade darin, dass man ihr freiwillig folgen könnte – und nicht mit Strafdrohung, im Falle, dass man die spirituellen Vorschläge nicht befolgt.
Papst Benedikt XVI. sollte sich trotzdem nicht zu viel versprechen: Er ist der Boss einer in Afrika, Asien und Lateinamerika prosperierenden Psychowellnessagentur – der sein Angebot freilich nicht überspannen darf, schon, um nicht als vollständig weltfremd zu gelten, verschroben und uncool. Denn, ohne drosselnden, würgenden Zwang macht ja ohnehin jedeR, was er oder sie will: Niemand ist mehr da, der einem übel nimmt, schon wieder nicht den Gottesdienst besucht zu haben; keiner, der einen straft, weil er sich nicht den päpstlichen Begehren unterworfen hat.
Die Beliebtheit des Messdieneramts in Deutschland ändert nichts daran, dass die Verhältnisse nicht so sind, wie der Vatikan sie gern hätte: Auf keines seiner Verdikte hat die säkulare Welt wirklich reagiert. Kein Verbot der Abtreibung, keine Verdammnis der Scheidung, kein Bann gegen Verantwortungsgemeinschaften Homosexueller. Die Welt des Vatikan ist in Europa eine freiwillige: Köln wird ein globales Open-Air-Happening mit hohem Spiritfaktor. Fast eine Million jugendliche Menschen mit Sinnbedürfnissen, die aus den Katakomben herausgelöst werden könnten. Das ist, schon als Idee, viel zu groß – und muss lustvoll scheitern.