piwik no script img

Licht an vergessene Orte

16 Künstler*innen und -teams gestalten den nächsten Lichtparcours in Braunschweig. Der feiert 2020 auch selbst Jubiläum – 20 Jahre nachdem erstmals dortige Grünräume und Abseiten künstlerisch illuminiert wurden

Von Bettina Maria Brosowsky

Damit all diese Kunst auch realisiert werden kann, müssen sich nur noch ausreichend Sponsoren finden

Am Anfang stand eine Enttäuschung. Erstmals leuchtete der Lichtparcours, inzwischen eine feste Größe im Braunschweiger Kultursommer, im Jahr 2000, parallel zur Expo in Hannover. Das veranstaltende Braunschweiger Kulturdezernat setzte nicht zuletzt darauf, dass in- und ausländische Gäste aus der nahen, aber auch überfüllten Weltausstellungsstadt ausweichen würden – und hier abendliches Amüsement suchen. Diese Hoffnungen gingen so zwar nicht in Erfüllung. Aber der Parcours, sorgfältig in den verwunschenen Grünräumen entlang der Oker komponiert, entwickelte sich zum Sommerhit zumindest unter den Ansässigen: Per Boot, Fahrrad oder zu Fuß erkundeten wohl 500.000 Besucher*innen die Lichtattraktionen.

Nach nicht immer erfolgreichen Neuauflagen, die letzte dann im Jahr 2016, ist nun für den Sommer 2020 der fünfte Parcours geplant – auch als 20-jähriges Jubiläum dieses Kunstanliegens. Wie schon bei den Vorgängerprojekten lud ein Gremium internationale Künstler*innen oder Teams ein – diesmal insgesamt 16 –, Vorschläge für lichtkünstlerische Interventionen auszuarbeiten. Viele der Beteiligten haben sich dazu mehrere Tage lang in der Stadt aufgehalten und dabei auch vergessene Orte entdeckt. Etwa den kleinen Verkaufsstand in einer ehemaligen Toilettenanlage, diskret eingebaut in einen Brückenauflager nahe dem Herzog Anton Ulrich Museum: Auf diese Situation aufmerksam machen möchte der Düsseldorfer Bildhauer Paul Schwer mit illuminierten farbigen Segeln.

Einen Vorschlag steuert auch Bjørn Melhus bei, ehemals Student der Braunschweiger Kunsthochschule und mittlerweile Professor in Kassel, unter anderem für Virtuelle Realitäten; derzeit widmet ihm das Sprengel Museum in Hannover eine Ausstellung nebst Publikation in der Reihe „Kunst der Gegenwart aus Niedersachsen“. Dort feiert auch seine große Vierkanal-Videoin­stallation „The End Time“ Premiere. Darin ist, wie stets, Melhus sein eigener Hauptdarsteller – oder doch: sein medial verfremdeter Wiedergänger? –, diesmal in Form der Kunstfigur Dorothy. Die durchlebt historische Episoden in poppiger Fantasy- bis Comic-Ästhetik – eine Manier, die man mögen kann, aber nicht muss.

Für den Braunschweiger Lichtparcours nimmt er sich ein Buch vor (respektive zum Anlass): „Generation Golf“ von Florian Illies, erschienen übrigens im Jahr von Expo und erstem Lichtparcours. Melhus zeigt die Kehrseite eines Hedonismus auf, der jener von Illies beschriebenen Generation – also den ab den 1970er-Jahren in der alten Bundesrepublik Sozialisierten – so gerne unterstellt wird: Ihr VW Golf, Baureihe 1, ist just neben der Landessparkasse havariert und in der trüben Okerbrühe gelandet. Ihre Techno-Rhythmen aber dröhnen weiter aus dem bunt flackernden, schnöde zurückgelassenen Gefährt.

In der hannöverschen Museumsstraße ist neben Melhus noch ein weiterer Aspirant des Braunschweiger Lichtparcours anzutreffen: Benjamin Bergmann zeigt, an schweren Ketten hängend, diverse seiner Betonlampions. Der Titel „Redentore“ zitiert die „Festa del Redentore“, die Feier, mit der Venedig alljährlich der Erlösung von der Pest im Jahr 1577 gedenkt. In Braunschweig möchte der Münchner Künstler einen Schuttcontainer auf der Oker schwimmen sehen, umfunktioniert zum nächtlich beleuchteten Springbrunnen. Auch dafür wählte er einen venezianischen Namen: „Acqua Alta“, so wie das dortige Winterhochwasser. Nun müssen sich, auf dass all das auch realisiert werden kann, nur noch ausreichend Sponsoren finden.

Bjørn Melhus, „Spectral Afterlives“: bis 5. Januar 2020, Hannover, Sprengel Museum.

Braunschweiger Lichtparcours 2020: www.lichtparcours.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen