piwik no script img

Kunst-Freischwimmer

Zum zweiten Mal bespielen Braunschweiger Studierende den öffentlichen Raum mit Kunst. Diesmal geht’s ins Freibad Bürgerpark

Von Bettina Maria Brosowsky

Spin-off heißt es ja gern, wenn etwas Neues gewagt wird. Im Geschäftlichen versteht man darunter eine Ausgründung, etwa eine Organisationseinheit, die bestehende Strukturen verlässt und nun eigenständigen Weges geht. Sprachlich abgewandelt als „Spin John“ wagten im vergangenen Sommer 13 Studierende der Braunschweiger Hochschule für bildende Künste zumindest einmal temporär den Austritt aus Lehrbetrieb und Ateliers, um gemeinsam für eine Handvoll Tage eine Ausstellung an einem ganz fremdem Ort zu organisieren: einem aufgelassenen Pissoir-Kiosk am lokalen John-F.-Kennedy-Platz.

Dieses außergewöhnlich sorgfältig detaillierte architektonische Kleinod besetzt eine stadträumlich markante Situation und ist, obwohl seit Jahren leer stehend, eigentlich jede*r Braunschweiger*in bewusst. Die sommerliche Kunstaktion öffnete die Innenräume, belebte diese und auch das äußere Drumherum mit durchaus ortstypischen Objekten, etwa einer großer Pissbank fürs gemeinschaftliche, kommunikative Urinieren oder Keramikobjekten, die zum vieldeutigen Akt des Bepinkelt-Werdens aufforderten. Den Tresen des Getränkeverkaufs zierten vertraute Bier- und Limonadenflaschen, sie enthielten jedoch statt der erhofften Erfrischung bunte Spülmittel: Selbst auf bekannte Marken war nun kein Verlass mehr.

John F. Kennedy ist auch Namensgeber für die zweite Auflage, neuerlich von Thomas Becker, Kulturwissenschaftler in Vertretungsprofessur an der Kunsthochschule, und Nele Kaczmarek, Kuratorin am Kunstverein, theoretisch sowie pragmatisch untermauert. Diesen Sommer schwimmt sich die studentische Kunst sozusagen frei, das Sommerbad Bürgerpark in der Nähe des Platzes ist Austragungsort des noch bis Sonntag andauernden Open-Air-Programms „Swim John“.

Ein neuerlich vorausgegangenes Seminar vereinte tatkräftige Studierende der freien Kunst und Kolleg*innen der Kunst- oder Medienwissenschaften, zudem von Studienanfänger*innen bis angehenden Meisterschüler*innen unterschiedliche Jahrgänge, die kollaborativ einen Kunstparcours mit rund 25 Stationen im Badebassin, rundherum und im großen Liege- und Sportbereich auf die Beine stellten.

Thomas Becker ist es wichtig, dass die Jungkünstler*innen in den öffentlichen Raum gehen, sich sowohl zeigen als auch konkreten Anforderungen stellen.

Die reichten diesmal von Sicherheits- über Jugendschutzaspekte bis zur ganz banalen mehrtägigen Aufsicht der Kunst im Freibad, von sechs Uhr früh bis abends halb neun. Denn nur in diesem (selbst-)reflexiven Akt können sie für ihre künstlerische Praxis lernen, so Becker. Der Ort Sommerbad, die Themen Wasser oder auch Meer, Lust und Urlaubszeit hätten viele Assoziationen, Imaginäres und Emotionen freigesetzt, die nun in allen Arbeiten zu spüren seien.

Multimedia im Schließfach

Eine hohe Konzentration der Kunst verzeichnet der Umkleidebereich. Große Selbstbildnisse in Badedress zieren die gelbe Kabinenfront, ein Video national-gymnastischer Ertüchtigung der Koreanerin Younghee Shin ziert die Tür zum Bademeister. Einige offene Schließfächer sind mit multimedialen Kleininstallationen bestückt, die auch von der Überwindung beim metaphorischen Gang ins kalte Wasser erzählen oder enttäuschter Erwartung.

„Was, wenn du schwimmst, aber das Becken ist leer?“ fragt etwa Nicola Feuerhahn. Vereinzelte Schlüsselbänder hat Alexander Janz mit Texten versehen: Werden sie registriert, gelesen? Für Becker sind es Phänomene zerstreuter Wahrnehmung, mit der Kunst eben auch umgehen muss. Und was ist oder kann überhaupt Kunst, im öffentlichen Raum?

Boris von Hopffgarten definiert mit weißer Kreidemarkierung einen „Premium“-Bereich auf der Liegewiese. Bieten teure Badeutensilien nicht schon genug soziale Distinktionsmerkmale im demokratischen Raum der öffentlichen Sommerfrische? Die deutsche Unsitte des Reservierens mittels Handtüchern lässt Gordon Endt zu einer großen textilen Schwanenskulptur auflaufen, während Agathe Borbe ihr flatterhaftes Epoxidharz-Handtuch auf Wanderschaft über die Liegewiese schickt.

Das überdimensionale, exotisch anmutende Ei von Orpheo Winter wird gleich von Kindern spielend herumgerollt, etwas im Schatten brütet ein Inkubator ein Möwengelege aus – eine Attrappe selbstverständlich: Naturschutz! Der Parcours bietet noch jede Menge im Verborgenen, Meditatives unter Bäumen, Objekte unter Wasser, sich darin schäumend auflösend, das zu entdecken ja noch bis Sonntagabend halb neun Zeit bleibt.

Bis 7. 7., 6–20.30 Uhr, Braunschweig, Freibad Bürgerpark

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen