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Limited Edition: Das Behaarte ist politisch

Die taz stellt in der Serie „Limited Edition“ Bremens Zine-Szene vor. In Teil 3 geht es um das ebenso verspielte wie schöne und überraschend philosophische „Haare-Zine“ der Künstlerin Ragni Lynn – und darum, warum manchmal gerade die kleine Form den großen Fragen besonders gerecht wird

VonJan-Paul Koopmann

Das Zine ist eine kleine Literatur: mindestens wegen der begrenzten Leser*innenschaft, oft aber auch, weil’s wie unter Druck runtergeschrieben wirkt – als ob etwas wirklich dringend raus wollte aus dem Kopf. Spontaneität ist untrennbar mit dem Medium verbunden und verpasst den Zines wie von selbst eine Lockerheit, die professioneller ausschauende Publikationen auch beim allerbesten Willen nicht mehr vorgetäuscht bekommen. Und manchmal, wie etwa bei der Bremer Künstlerin Ragni Lynn, stiftet lustigerweise ausgerechnet das eine ungeheuer tiefschürfende Ernsthaftigkeit. Auch wenn Lynns Zine ausschließlich von Haaren handelt.

Es ist also ein Themenheft, oder ein „Sachzine“, wenn es das Wort denn gäbe. Als gelernte Illustratorin versteht sich Ragni Lynn auf das Zusammenspiel von Text und Bild. Ihre Aquarelle changieren zwanglos zwischen Stillleben, Akt, Porträt und Szene – und erzählen mit wenig handschriftlichem Text vom Haar.

Gemeint sind alle, am wenigsten aber die oben auf dem Kopf. Wo die Vor- und Nachteile des Schamhaars sorgsam abgewogen werden, trifft (oft verdrängte) Alltagserfahrung auf Bio-Wissen. Dass Haare etwa beim Oralsex nerven können, ist unmittelbar einleuchtend, dass die Behaarung aber auch dem selbstverletzenden Scheuern von Haut auf Haut vorbeugt, ist fast so interessant wie der Fachbegriff zum Thema: „Friktionsschutz“.

Lynns Haare-Zine ist kein schnödes Pro und Kontra. Es ist verspielt, nachdenklich, überraschend philosophisch und immer wieder ausgesprochen schön. Sexbilder gibt es auch: ein explizites und ein paar Anspielungen. „It’s not scary, just hairy“ steht zum Beispiel über einem Büschel Achselhaare – ein Pornotitel, der gleichzeitig das Kuriosum dokumentiert, wie ein schlichter Naturzustand zum Fetisch werden kann.

Als „Die Ärzte“ 1996 mit „Le Frisur“ ein Konzeptalbum über Haare herausgebracht haben, lag der Witz damals gerade in der abseitigen Banalität des Themas. Wirklich verrückt ist die Haar-Geschichte aber erst, seit alle drüber sprechen. Die Intimrasur kann heute für Freiheit vom Naturzustand stehen, das behaarte Bein hingegen für die Freiheit von Gruppenzwang und männergemachten Schönheitsidealen.

Ragni Lynns Zine skandalisert nichts davon, sondern dokumentiert mit echtem Interesse auch die Widersprüche und Ambivalenzen des Konflikts und seiner Geschichte. Auf einer Doppelseite zieht sich ein Zeitstrahl zwischen zwei Frauenschenkeln: vor circa 8.000 Jahren beginnt die Rasiererei mit Feuerstein und Muschelschale, ein paar Tausend Jahre später folgt die Intimrasur. „Heute wird bei Frauen und Männern rasiert, gewachst, epiliert und gelasert/ipliert. In Europa lässt man Arm- und Gesichtshaar aber noch dran.“

Und was nun die kleine Form angeht: Das Zine entwickelt einen komplexen, aber eben scheinbar flüchtigen Gedanken, fordert weder Rasurzwang noch gibt es -verbote aus. Und gerade weil das alles so offen und flattrig bleibt, steht unterm Strich eine bemerkenswert schlichte Konsequenz: sich das eben wirklich mal in Ruhe selbst zu überlegen – und gründlich abzuwägen zwischen Ästhetik, Lust und Laune.

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