: Ein Haus für den Helden
Kaufmanns-Wohnsitz, NSDAP-Zentrale, Museum: Aus der Osnabrücker Villa Schlikker soll ein „historisch-kultureller Lernort“ werden, ein „Friedenslabor“. Auf dem Weg dorthin geht es mitunter ganz schön unfriedlich zu. Das hat zu tun mit dem ambivalenten Menschenretter Hans Calmeyer – und denen, die sich schwer tun mit Zweifeln und Kritik
Von Harff-Peter Schönherr
Osnabrück ist „Friedensstadt“. Das hat mit dem Ende des 30-jährigen Krieges zu tun, mit dem Friedensschluss, der sich 1648 hier zutrug, hier und wie auch im nahen Münster, heute Nordrhein-Westfalen. In der Friedensstadt Osnabrück soll ein „Friedenslabor“ entstehen: ein Lernort für Geschichte, und das in genau dem Haus, in dem ab 1932 die örtliche Nazi-Partei ansässig war. Bei so einem Vorhaben erwartet man vielleicht nicht, was zu erleben war am 3. Juli, 20 Uhr, im Großen Saal der Osnabrücker Volkshochschule. Dabei hätte es doch so ein produktiver Abend werden können: Podiumsdiskussion, Publikumsfragen, offener Austausch. Stattdessen kochten Eitelkeiten hoch, überschlugen sich Stimmen und an Zuhören war irgendwann kaum mehr zu denken. Eine geschichtspolitische Farce, munitioniert nicht zuletzt durch die Stadtrats-CDU. Eine Provinzposse – wäre die Sache nicht so wichtig.
„Corpus Delicti“, wie es der Osnabrücker CDU-Bundestagsabgeordnete Mathias Middelberg in seinem Vortrag sagte, ist die Villa Schlikker: Derzeit wandelt das Museumsquartier Osnabrück (MQ4) den Kaufmanns-Wohnsitz von 1901, ab 1932 Sitz der Kreisleitung der NSDAP und bekannt als „Braunes Haus“ um – ins besagte „Friedenslabor“. 2022 soll es eröffnen, aber es könnte auch bis 2023 dauern. Anlass und inhaltlicher Ausgangspunkt: Leben und Werk des Osnabrücker Rechtsanwalts Hans Georg Calmeyer, der als Referent der deutschen Zivilverwaltung in den besetzten Niederlanden Tausende von Juden vor der Deportation bewahrt hat, vor dem Tod im Vernichtungslager.
Dass an jenem Abend Anfang Juli die Sache in den Hintergrund trat, das es zum Krawall kommt, das liegt auch an Joachim Castan. Der Historiker und Medienwissenschaftler sollte eigentlich nicht auf dem Podium stehen, tat das aber doch: als Vertreter der örtlichen „Hans-Calmeyer-Initiative“ (HCI). „Ich finde es schlimm, dass hier die Person Calmeyer relativiert wird, aus dem Fokus rutscht, als ambivalent betrachtet wird“, sagt er – eine Attacke auf den wissenschaftlichen Beirat, der die Neuausrichtung der Villa betreut. Castan, selbst Teil jenes Gremiums, stört auch, dass der künftige Name noch nicht feststeht, denn es gebe nur eine Option: „Hans-Calmeyer-Haus“. Die anderen Beiratsmitglieder nennt er „Menschen, die nicht unbedingt mit den Fakten vertraut sind“.
Man wird das bezweifeln können angesichts eines Beiratsvorsitzenden wie Alfons Kenkmann, Hochschullehrer für Geschichtsdidaktik an der Universität Leipzig, Ausstellungsmacher und Sprecher der Fachgruppe Geschichte der deutsch-israelischen Schulbuchkommission; oder Mitgliedern wie Ismee Tames vom Amsterdamer NIOD Institut für Krieg-, Holocaust- und Genozid-Studien; oder Christoph Spieker, Leiter des Münsteraner NS-Geschichtsorts Villa ten Hompel (siehe Interview links). Er sehe den Beirat auf einem „ausgezeichneten, konsensuellen“ Weg, sagte denn auch Osnabrücks Kulturdezernent Wolfgang Beckermann: Es gehe darum, in der Erinnerungskultur „neue, andere Wege zu gehen“. Das brauche Gelassenheit und wissenschaftliche Unvoreingenommenheit, „keinen Glaubenskrieg“.
„Widerstand und Zivilcourage in die Gegenwart erweitern“
Was das Friedenslabor am Ende leisten wird, ist offen. Was es leisten soll, darauf gibt es Hinweise: „Was uns nicht berührt, wird vergessen“, sagt Beckermann der taz, da liegt der turbulente 3. Juli noch in der Zukunft. „Lediglich einen lokalen Helden aufzubauen, wäre falsch“, ergänzt Nils-Arne Kässens, Direktor des MQ4. „Zumal Calmeyer ja keine unproblematische Gestalt ist. Wir werden ihn würdigen, aber nicht bei seinem Leben und Werk stehenbleiben. Es gilt, Themen wie Widerstand und Zivilcourage in die Gegenwart zu erweitern.“
Aber für die Villa Schlikker, wie auch immer sie einst heißen wird, ist Calmeyer ein Thema. „Intensiv“ werde man sich mit ihm beschäftigen, sagt Beckermann, „seinem Wirken eine Dauer-Ausstellung widmen“. Über die Vorgehensweise bestehe auch „weitgehend Konsens“ im Beirat – nur Castan treibt quer und die HCI. Sie haben ein festes Bild von Calmeyer, und dieses Bild wollen sie präsentiert sehen. Die Stimmen, die solche unkritische Verehrung fordern, sie sind laut in Osnabrück. „Eine solche Reduktion wird es mit uns nicht geben“, sagt Beckermann umso bestimmter. „Das Thema ist höchst komplex.“
„Wichtig ist ein distanzierter, wissenschaftlicher Blick“, sagt der Beiratsvorsitzende Kenkmann. „Das darf nicht zu eng diskutiert werden.“ Pause. „Leider geschieht das in Osnabrück manchmal.“ Ob das Labor einmal „Calmeyer-Haus“ heißen wird, lässt er offen. Die Stadt müsse sich fragen, ob sie den Namen wirklich zu einer Geschichtsmarke machen wolle: „Calmeyer war ja eine höchst ambivalente Persönlichkeit. Ist das wirklich ein Name, dem man eine solche Gewichtung geben will?“ Pause. „Calmeyer hat seine Verdienste gehabt, hat Juden gerettet“, so Kenkmann. Aber viele Antragsteller seien auch deportiert worden – meist in den Tod. „Grundaufgabe“ einer künftigen Präsentation „ist der Transfer ins Jetzt. So, dass auch Jugendliche Lust haben, die Präsentation zu besuchen.“ Und: „Es wird definitiv kein Reenactment geben!“ Die Crux daran: Augenfällige Originale sind selten, bis auf Akten und Briefe. Es muss also Multimediales her. „Warum nicht Unterschriften von Calmeyer zeigen“, sagt der Beiratsvorsitzende kämpferisch, „die unter einem abgelehnten als auch einem befürworteten Antrag stehen?“
Zunächst heißt es für den Beirat allerdings: Recherche, Kontakte zu niederländischen Wissenschaftlern intensivieren; für den Spätsommer ist eine Fahrt zum NIOD geplant. Jüngster Entwicklungsschritt: Die Ausschreibung einer Machbarkeitsstudie, deren Details der Beitrat gerade noch abstimmt. Sie fordert Agenturen auf, Konzepte zu entwickeln; das überzeugendste geht Anfang Dezember in die Detailplanung.
Geht es nach Ralf Steiner, Vorsitzender der HCI, könnte man sich das alles sparen. „Die meisten im Beirat sind in Sachen Calmeyer doch bekennende Unwissende! Lächerlich!“ Auch die beiden Abgesandten des Jugendparlaments, Stellvertreter der erhofften künftigen Hauptzielgruppe, kanzelt er ab: „Warum sitzen die hier? Nur weil sie in der Schule mal Geschichtsunterricht hatten?“ Steiner selbst hat weder Sitz noch Stimme in dem Gremium. Aber sitzt mit Castan nicht sein HCI-Vizevorsitzender mit am Tisch? Ja – „als Historiker, nicht für die HCI“, so Steiner. Würde man die Initiative nur machen lassen, alles ginge „ratzfatz“, sagt Steiner. Dass er auf Heldenverehrung aus sei, streitet er ab: „Es geht hier um zeitlose Tugenden, die heute mehr und mehr erodieren.“
Hoffnung setzt er einzig auf Castan. „Wenn es jemanden gibt, der im Thema ist, dann er. Aber im Beirat sitzt er auf verlorenem Posten.“ Tatsächlich hat der so Gelobte schon über Calmeyer gearbeitet: Drei kleinere Ausstellungen hat er (mit-)gestaltet, auch als Dokumentarfilmer ist er das Thema angegangen. Die 400.000 Besucher allerdings, die seine Ausstellungen gesehen haben sollen, sie stehen auf wackeligen Füßen. Denn ausgestellt hat Castan an Orten, die auch anderweitig Besucher haben, etwa im Foyer des Osnabrücker Erich-Maria-Remarque-Friedenszentrums.
Als „höchst diskreditierend und diffamierend“ bezeichnet Kenkmann die Anwürfe Steiners und Castans. „Aber wir sollten es gemeinsam zu einem fruchtbaren Ende bringen.“ Teil des Problems: Das Projekt Schlikker/Calmeyer ist inzwischen mehrere Jahre alt. Ende Juli 2014 schon beauftragte der Osnabrücker Rat die Kulturverwaltung damit, zu prüfen, ob die Villa Schlikker sich eigne für eine Dauerausstellung „über die Leistung Hans Calmeyers“. Ende September 2015 kam die Sache wieder zur Sprache, im Kulturausschuss.
Das Ergebnis war ernüchternd – bis dahin hatte es keine Planungen gegeben. Zwar hatten die HCI und das Kulturgeschichtliche Museum „inhaltliche Potentiale“ diskutiert und „Möglichkeiten der Zusammenarbeit“, aber mehr war eben auch nicht passiert. Anfang Dezember 2017 erst kam wieder Bewegung in die Sache: ein Ratsbeschluss, die Villa „im Sinne eines ‚Hans-Calmeyer-Hauses‘“ zu entwickeln.
Calmeyer-Haus: Da ist es wieder, dieses Wort. Ist es als feste Absichtserklärung des Rats zu verstehen, die Einrichtung am Ende so zu nennen? Wünscht sich die Stadt, dass primär um Calmeyer kreist, was darin gezeigt wird? Das scheint die Sichtweise der HCI zu sein; sie pocht auf eine Zusage des Kulturgeschichtlichen Museums aus dem Jahr 2014, „die Teilbereiche der neuen Museumskonzeption, in der Hans Calmeyer präsentiert werden sollte, mit der HCI abzustimmen“.
Kulturdezernent Beckermann und MQ4-Chef Kässens, beide damals noch nicht im Amt, ordnen es etwas anders ein. „Von Calmeyer ausgehend und über sein Wirken soll es eine Dauerausstellung geben“, sagt Beckermann. Durch ergänzende Sonderausstellungen, Veranstaltungen und Workshops werde man ein Forum dafür schaffen, „Fragen der Gesellschaftspolitik, der Zivilcourage und der Erinnerungskultur“ zu erfassen und zu diskutieren. „Allein eine Dauerausstellung würde mittel- und langfristig nichts bewirken und kein Interesse finden“, davon ist Beckermann überzeugt. In den Planungen zum Museumsquartier wird die Verbindung von Calmeyer und Diskussionsforum beschrieben als – „Friedenslabor“.
Zugleich steht eine bauliche Sanierung der Villa an, denn das denkmalgeschützte Gebäude ist in einem desolaten Zustand. Das Bundesinnenministerium hat auf Antrag der Stadt 1,7 Millionen Euro zugesagt, aus dem Programm „Förderung von Sanierung kommunaler Einrichtungen 2018“ des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung (BBR). Den letzten Schubs gab MdB Middelberg, der natürlich gute Kontakte in Berlin hat. „Ohne seine große Unterstützung wäre das Geld vielleicht in irgendeine Turnhalle und nicht nach Osnabrück geflossen“, sagt Beckermann. Eine gute Tat, denn so betragen die veranschlagten Kosten für Sanierung und Umbau, die die Stadt schultern muss, lediglich 200.000 Euro. Nicht klar ist damit aber, wer irgendwann für Dauerausstellung und Vermittlungsprogramm aufkommt.
Middelberg, der Calmeyer im Jahr 2003 zum Thema seiner Doktorarbeit machte und 2015 die Biografie „Wer bin ich, dass ich über Leben und Tod entscheide?“ im Göttinger Wallstein-Verlag nachlegte, ist nicht eben bescheiden, wenn es um die Sache mit den 1,7 Millionen Euro geht: Am 10. April, nach Zuteilung der BBR-Mittel, postet er auf Facebook: „Der Einsatz hat sich gelohnt. Ich danke allen, die sich dafür engagiert haben!“ Und Stefan Kniefert, Ratsmitglied der CDU in Osnabrück, kommentiert prompt: „Danke Dir Mathias“.
Christdemokratischer Erfolg
Ein Erfolg der CDU also, wenn dereinst erinnert werden wird an den „größten Judenretter des Dritten Reiches, den Schindler von Osnabrück“, wie es am 12. April in einer Pressemitteilung der Rats-CDU hieß? Fraktionschef Fritz Brickwedde stützt das: In Zusammenhang mit den Millionen aus Berlin gratulierte er in derselben Mitteilung „ausdrücklich neben MdB Middelberg und der Hans-Calmeyer-Initiative dem für Kultur zuständigen Stadtrat Wolfgang Beckermann“; seit dieser sich des Themas angenommen habe, sei „es in der Kulturverwaltung vorangegangen“.
Damit hätten die Christdemokraten der örtlichen SPD ein prestigeträchtiges Thema abgejagt. Zu spät, daran zu erinnern, dass Peter Niebaum, der Wiederentdecker Calmeyers, langjähriger SPD-Ratsherr war. Ob der CDU die Besetzung des Themas nützt, ist offen: Der Historiker Christoph Rass hat das Präsidium der Universität Osnabrück gebeten, seine Entsendung in den Beirat zu beenden. Vorausgegangen waren Anfeindungen auch und gerade seitens der CDU. So legte Fraktionschef Brickede an jenem 3. Juli Rass nahe, das Gremium zu verlassen. Der Angegriffene konnte nichts erwidern – er war nicht im Raum. „Nachnominiert wird niemand“, so Uni-Sprecher Utz Lederbogen.
Sollte aber der Beirat zerfallen, könnte das auch die Aussicht darauf schmälern, je ein „Friedenslabor“ eröffnet zu sehen. „Ich denke weiterhin, wird sind auf einem guten Weg“, sagt indes Beckermann. „Was wir jetzt brauchen, ist Sachlichkeit.“ Zu einer Calmeyer-Devotionalie muss die Villa Schlikker nicht werden. Aber es gibt Stimmen in der Stadt, die wünschen sich genau das – und sie sind mitunter ganz schön laut.
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