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Viele Geburten, wenig Plan

Rot-Grün-Rot will die Frühchenversorgung in Bremen „wissenschaftlich“ bewerten und deutet vorsichtig an, dass es vielleicht doch mehr als nur ein Perinatalzentrum geben wird

Von Eiken Bruhn

Eigentlich soll die Versorgung von Frühgeborenen ab 2021 am neuen Eltern-Kind-Zentrum am Klinikum Mitte zentriert werden. Diesen Plan der Gesundheitssenatorin hatten noch im März die Abgeordneten der Gesundheitsdeputation abgenickt. Doch jetzt kommt wieder Bewegung in die Sache.

„In Zeiten steigender Geburtenzahlen und vermehrter Schließungen von Geburtskliniken im niedersächsischen Umland sind wir auf ausreichende Kapazitäten und Qualitätsstandards in Bremen angewiesen“, heißt es im Entwurf des Koalitionsvertrags. Der nächste Satz lautet: „Wir setzen uns für eine wissenschaftliche Bewertung der Frühchenversorgung im Land Bremen ein.“

Dieser kryptische Passus könne nur als Moratorium gedeutet werden, sagt Thomas Pörschke, neu in die Bürgerschaft gewählter Abgeordneter der Grünen aus Bremen Nord. Zuvor saß Pörschke im Beirat Vegesack und setzte sich dort gegen die geplante Schließung der Frühgeborenenstation des Levels II am Klinikum Bremen Nord ein. Zuletzt standen in Bremen Nord nicht einmal mehr die Parteigenossen der SPD-Gesundheitssenatorin hinter deren Plänen. Der Grund: Es zeichnete sich ab, dass die Station am Klinikum Mitte zu klein sein würde, um dort alle Frühchen versorgen zu können. Zudem gibt es im Stadtteil den Wunsch nach einer wohnortnahen Versorgung.

Pörschke ist sich sicher, dass jetzt auch die innerstädtischen Politiker*innen begriffen haben, dass Versorgungsengpässe drohen, wenn die Kliniken Links der Weser und Bremen Nord ihre Perinatalzentren schließen. Zudem wird es eine neue Gesundheitssenatorin – voraussichtlich die Linken-Politikerin Claudia Bernhardt – geben.

Fadenscheinig ist allerdings, wie der Kurswechsel begründet werden soll. Denn es gibt, anders als der Koalitionsvertrag suggeriert, keine neue Sachlage. In dem Zeitraum, in dem die Gesundheitssenatorin die Zentralisierung der Frühgeborenenversorgung beschlossen und an dieser Planung festgehalten hat, sind weder die Geburtenzahlen gestiegen noch haben weitere Kliniken im Umland ihre Kreißsäle geschlossen.

Eine Abfrage bei den fünf Geburtshilfekliniken im Land Bremen ergibt: Nur am Diako, der kleinsten Station, stieg die Zahl der Geburten im ersten Halbjahr 2019 um elf Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Bei allen anderen blieb sie etwa gleich.

Selbst in Bremerhaven hat sich nichts geändert – obwohl im Februar auf der anderen Weserseite in Nordenham die letzte Geburtshilfe der Wesermarsch geschlossen hat. Diese Geburten finden jetzt offenbar vor allem in Varel statt. 446 Frauen hatten bis Mittwochmorgen dort ihre Kinder geboren – 30 Prozent mehr als im selben Zeitraum des Vorjahrs. Zahlen aus den anderen Kliniken im Umland waren am Mittwoch nicht zu bekommen.

„Viele Schwangere müssen nach Hannover oder Oldenburg“

Christa Goecke, Gynäkologin

Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass die Situation in Bremen entspannt wäre. Die beiden städtischen Kliniken Nord und Links der Weser nehmen seit diesem Jahr nur noch eine vorher festgelegte Zahl an Frauen zur Geburt an – in der Hoffnung, so alle gut versorgen zu können. Ob das klappt, ist allerdings fraglich. Mehr als 120 Geburten sollen es etwa am Klinikum Bremen Nord nicht pro Monat sein. Frauen werden deshalb nicht mehr gebeten, sich zwei Monate vor dem errechneten Geburtstermin anzumelden, sondern ausdrücklich dazu aufgefordert. Derzeit gibt es in Bremen Nord einen Anmeldestopp bis Ende September, im Links der Weser ist der August voll, im September gibt es noch vereinzelt Termine, heißt es in den Kliniken auf Nachfrage der taz.

Nur: Risikoschwangere sowie Frauen, bei denen bereits die Geburt eingesetzt hat, sollen nicht abgewiesen werden, sagt der Sprecher der städtischen Gesellschaft Kliniken, Timo Sczuplinski. Das ließe sich auch daran erkennen, dass am Klinikum mit 170 Geburten pro Monat deutlich mehr Kinder zur Welt kamen als geplant. Was allerdings auch bedeuten kann: Bei den Frauen hat sich herum gesprochen, dass sie besser direkt mit Wehen in den Kreißsaal gehen – ohne vorherige Anmeldung.

Zudem würden immer noch zu viele Frauen abgewiesen, sagt die Vegesacker Frauenärztin Christa Goecke. „Seit etwa zwei, drei Jahren ist es sehr schwer geworden, selbst Schwangere, denen eine Frühgeburt droht, in der Klinik hier vor Ort unter zu kriegen“, sagt Goecke. „Wenn dann auch die Frühchenstation im Links der Weser Aufnahmestopp hat, was leider auch oft der Fall ist, müssen Schwangere in andere Kliniken wie Hannover oder Oldenburg.“

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