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Das Gefühl, in einem fremden Land zu sein, ist wie Fahren ohne Ticket

Arabisch, Deutsch, Türkisch und Farsi – das sind die Sprachen des Buchs „Das ist meine Geschichte – Frauen im Gespräch über Flucht und Ankommen“, das am Samstag in Kreuzberg vorgestellt wurde

Am Ende stehen alle Beteiligten auf der Bühne Foto: Joanna Kosowska

Von Julia Wasenmüller

Vier Frauen, vier Sprachen. Auf Arabisch, Deutsch, Türkisch und Farsi beginnt die Buchvorstellung von „Das ist meine Geschichte – Frauen im Gespräch über Flucht und Ankommen“ am Samstagabend im Aquarium in Kreuzberg. Der Veranstaltungsort befindet sich im Erdgeschoss einer Platte direkt am Kottbusser Tor und ist prall gefüllt. Auf dem Boden vor der ersten Stuhlreihe sitzen Kinder, an den kühlen Wänden aus modernem Sichtbeton lehnen diejenigen, die keinen Sitzplatz bekommen haben. Es sind vor allem Angehörige und Freund*innen jener Frauen, um die es an diesem Abend geht.

„In sieben Kapiteln sprechen geflüchtete Frauen über ihre Erfahrung des Ankommens in Deutschland beziehungsweise über die Unmöglichkeit, wirklich anzukommen. Es sind Einblicke in persönliche Erfahrungen, kein Schreiben über Refugee-Frauen“, leiten die ­Mitglieder des Kollektivs „Polylog“ auf der Bühne in den Abend ein.

Über zwei Jahre haben sich geflüchtete Frauen, Studierende und Lehrende des Instituts für Sozial- und Kulturanthropologie der Freien Universität Berlin sowie Mitglieder der aktivistischen Gruppe „International Women Space“ gemeinsam den Herausforderungen gestellt, die die Publikation eines viersprachigen Buchs so mit sich bringt. In diesem Mai erschien das Ergebnis im Unrast Verlag.

Valentina T. und Nour betreten als erste Autorinnen die Bühne. Sie lesen auf Arabisch, an die Wand hinter ihnen werden die Übersetzungen projiziert. Beide Frauen kommen aus Aleppo, haben Monate von Bombenangriffen in ihrer Heimatstadt erlebt. Es wird schnell still im Raum. Für diejenigen im Publikum, die mit einem deutschen Pass geboren wurden, ist spürbar, dass es nicht nur die Sprache ist, die wir nicht verstehen. Genauso wenig werden wir verstehen, was es bedeutet, einen Abschiebebescheid zu bekommen.

Es gibt Themen, die in den vier Dialogen der Lesung immer wieder aufkommen: Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche, Probleme mit der deutschen Sprache und den Behörden, die ständigen Verschärfungen im Asylrecht und Einschränkungen des Familiennachzugs. Es wird über Diskriminierungserfahrungen gesprochen, aber auch über schöne Begegnungen und Zukunftswünsche.

Viele im Publikum lachen laut auf, als Saloua Nyazy vorliest: „Der Papierkram hier ist nicht normal. Alles läuft schriftlich, obwohl es doch ein entwickeltes Land ist, das Land des Internets.“

Trotz ähnlicher struktureller Probleme sind die Geschichten der Frauen unterschiedlich. In den Medien werde meist ein Narrativ über Geflüchtete als homogene und zudem männlich imaginierte Gruppe bedient, schreiben die Autorinnen in der Einleitung. Frauen kämen in diesen Diskursen oft gar nicht vor und wenn, dann als unterdrückte Opfer einer patriarchalen Gesellschaft. Die persönlichen Erzählungen in „Das ist meine Geschichte“ sollen diesen Stereotypen etwas entgegensetzen.

Die Studentin Miriam Bräu erinnert sich an die ersten Treffen: „Ein Semester lang lernten wir uns alle kennen. Wir bildeten Kleingruppen, bestehend aus jeweils zwei Studis und zwei Frauen, und sprachen darüber, welche Themen den Frauen in den Dialogen wichtig seien. Während im Seminar immer simultan übersetzt wurde, fand die Kommunikation in den Kleingruppen meist mit Händen und Füßen statt.“ Zum Semesterende wurden die Gespräche aufgezeichnet in den Muttersprachen der Autorinnen. Anschließend begann die Arbeit des Transkribierens, Redigierens und immer wieder Hin- und Herübersetzens.

Die Lesepause am Samstag wird mit einem Konzert des syrischen Frauenchors Haneen gefüllt. Haneen bedeutet Sehnsucht auf Arabisch. Der Großteil des Publikums bewegt bereits beim ersten Lied vorsichtig die Lippen zum Text. Beim zweiten Lied steht eine junge Frau auf und beginnt zu tanzen, nach wenigen Schritten wird sie von einem Tanzpartner begleitet.

Allein leben, frei entscheiden

Es gibt solche Sätze in Saras Text, die sich ins Gedächtnis einprägen

Zum Schluss liest Sara Bf. Im Februar 2016 kam die Physikerin aus dem Iran nach Deutschland. „Das Gefühl, in einem fremden Land zu sein, ist wie Fahren ohne Ticket. Es ist ein Gefühl des Nichtdazugehörens.“

Es gibt mehrere solcher Sätze in Saras Text, die sich ins Gedächtnis einprägen. Sie trägt ein weißes Nadelstreifenjackett, hat helle Haare, blaue Augen. „Mein Frausein wurde hier zur größten Schwierigkeit meines Lebens. Wenn ich mich einfach nur mit einem Mann unterhielt, unterstellte man mir, dass ich auch etwas von ihm wollte.“

Ihre Stimme ist fest, immer wieder blickt sie ins Publikum, wählt Pausen bedacht. „Ich war immer der festen Überzeugung, dass eine iranische Frau auch allein leben kann, dass eine iranische Frau frei entscheiden kann.“ Im Polylog-Kollektiv habe sie Menschen getroffen, die das genauso sehen.

Nach zwei Stunden stehen alle Polyloginnen auf der Bühne. Eine Podiumsdiskussion wird es nicht geben, stattdessen wird zum direkten Gespräch und gemeinsamem Essen eingeladen.

Draußen am Kotti haben Be­woh­ner*innen der angrenzenden Häuser Stühle auf die Straße gestellt, sitzen beieinander und reden. Dieser Abend fing nicht auf Deutsch an, und er hört nicht auf Deutsch auf. Und das ist richtig gut so.

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