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Tanztheater ist kein Unwort mehr

Das Impulstanzfestival in Wien hat eine „Macbeth“-Rekonstruktion des geehrten Johann Kresnik und „Rolling“ von Michael Laub gezeigt

Von Uwe Mattheiß

Krachend fällt die portalhohe Eisentür vor dem Bühnenhintergrund ins Schloss. Die Tontechnik fügt Hall aus langen Echokammern hinzu. Zuvor schreitet ein gesichtsloser Priester mit Hut und Soutane hindurch und kippt einen Eimer mit Resten der Leiber und dem Blut, das die Una Sancta von ihren Feinden vergossen hat, ins Becken vorne über dem Orchestergraben. Blutige Wannen immer wieder auch auf der Bühne. Barschel? Marat? Es wird jedenfalls böse enden.

Wir befinden uns in der BRD anno 1988, gegeben wird ein Stück von Johann Kresnik in den Bildern von Gottfried Helnwein, umgeben vom Klang eines Klavierstücks zu vier Händen von Kurt Schwertsik. „Macbeth“ in der Rekonstruktion durch das österreichische Ensemble Tanzlin.z eröffnet diesen Sommer das Wiener Impulstanzfestival, das mit der Pina-Bausch-Choreografie „Masurca Fogo“ die historische Erkundung der eigenen Kunstgattung weiterführt.

Plötzlich Tanztheater. Was in den künstlerischen Entwicklungen der nuller Jahre zum Unwort geriet, ist fast schon wieder programmatorische ­Leitwährung. Zeitgenössische Cho­reo­gra­f_in­nen knüpfen vermehrt ihr Denken an ein szenisches Substrat. Zum anderen begnügt sich der Diskurs des Zeitgenössischen im zeitgenössischen Tanz immer weniger mit der Affirmation gegenwärtiger Dringlichkeiten, sondern entdeckt die eigenen Positionen als historisch gewordene.

Der lineare Geschichtsverlauf biegt sich in die Achterbahn und landet immer wieder in den 1980er Jahren und der Emanzipation des Tanzes im Thea­terbetrieb. Dessen hergebrachte Formen, ja die Sprache selbst schienen der Lüge verdächtig, die Unmittelbarkeit der Körper in der Bildproduktion versprach einen Ausweg. Dass auch Körper auf höchst interessante Weise lügen können, wissen wir aus den choreografischen Entwicklungen der Zwischenzeit.

Lady Macbeth’ blutrote Kleider

Die Rekonstruktion von Kresniks „Macbeth“ hält sich bei aller Präzision im Detail wohltuend fern von den Vorurteilen des Denkmalschutzes. Tänzer_innen und Publikum geraten nie in Zweifel daran, dass sie andere gesellschaftliche Erfahrungen teilen als die, die dem choreografischen Denken von damals zugrunde liegen. Das gibt Raum für spannende Beobachtungen bis ins kleinste Bewegungsmoment. Es überrascht, wie sehr der individuelle Körper sich noch der Virtuosenübung unterwirft. Jenseits der eigenen Zwecke sind die Körper der Tänzer_innen Mittel einer übergeordneten Bilderfindung. Kresnik und Helnwein schufen damals betörende, schrecklich-schöne Bilder. Lady Macbeth (Andressa Miyazato) reißt sich im stummen Wahnsinn die blutroten Bekleidungsteile vom Leib, bis ihr totenhemdbleiches Unterkleid zum Vorschein kommt. Macbeth’ (Pavel Povrazník) Königsmord geschieht durch Messerstiche auf goldene Brokatfetzen. Das Hinschlachten von Macduffs Kindern durch Helnweins goyahafte Mordmoster bleibt verfremdet im surrealen Umfeld eines überdimensionalen Kinderzimmers.

Zum Wissen über die soziale Kon­struktion von Geschlechteridentitäten hat auch der Tanz in den vergangenen Jahrzehnten viel beigetragen. Das misogyne Pathos der Macbeth-Hexen (Kayla May Corbin, Rutsuki Kanazawa und Tura Gómez Coll) aber ging wohl damals schon nicht: Adrette Stewardessen in SS-Uniform-Elementen kommentieren das grausige Geschehen jeweils mit lasziv ausgestellter Breitbeinigkeit. Hier schlägt altlinke Genitalpanik dem fortschrittlichen Bewusstsein ein Schnippchen.

Generation Kabelfernsehen

Stewardessen in SS-Uniform-Elementen kommentieren das grausige Geschehen breitbeinig

Das will viel, ist aber nicht immer treffsicher. Was anderes wird sichtbar, wenn man den Herrschenden die „Charaktermasken“ herunterreißt, als die eigenen von Herrschaft verzerrten Züge? Für Zeitgenoss_innen der 1980er Jahre wird diese Wiederbegegnung zu einer schmerzlichen Selbstbefragung über den linken Provinzialismus der späten BRD. Welches Recht hat man, „Macbeth“ jene Stereotype anzukreiden, die man damals selbst vertreten hat? Was bleibt, ist ein Zeitdokument. Ein Schrei gegen die Horizont- und Sprachlosigkeit der frühen Ära Kohl. Aber auch die Erinnerung an einen Versuch, die Totalität gesellschaftlicher Verhältnisse in einem Kunstwerk zu fassen.

Johann Kresnik, 79, hat über Jahrzehnte dafür gekämpft, die Frage offenzuhalten, wie ästhetische und politische Ereignisse in der Kunst zusammen gedacht werden können. Die Wiener Kulturstadträtin ehrte ihn nun nach der Premiere auf offener Bühne mit dem Goldenen Verdienstzeichen der Stadt.

Auf ganz andere Weise generiert Michael Laub szenische Elemente aus choreografischem Denken in „Rolling“ – einer Arbeit, die der Ankündigung nach aus ca. 200 Filmzitaten besteht, was ein wenig Lust an der Aufschneiderei offenbart. Manche dieser Zitate bestehen lediglich aus einem Satz, einem Schrei oder einem stummen Blick, andere türmen sich in der Kombinatorik fröhlicher Filmwissenschaft zu atemberaubenden Mash-ups mit einem Ensemble von zehn wunderbaren Solist_innen.

Als Angehöriger der Generation Kabelfernsehen untersucht Laub diskontinuierliche Erzählmuster, die sich aus dem Hin-und-her-Zappen zwischen unterschiedlichen Narrationssträngen ergeben. Er fragt nach den kleinsten bedeutungtragenden Elementen der Filmsprache, die isoliert eben vollkommen fremd klingen, aber das emotionale Kontinuum des Filmschauens erst möglich machen. „Rolling“ ist ein Stück Analyse von Kulturindustrie unter schallendem Gelächter. Wenn ihre Erzeugnisse Waren wie alle anderen sind, ist es gut, um die kleinste gemeinsame Tauscheinheit zu wissen. Wer klug ist, darf leicht sein. Wie schön.

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