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Die gute Seite des Kapitalismus

Konsumgenossenschaften gibt es seit der industriellen Revolution. Ihre Arbeitsweisen sind zwar nicht neu, doch sie erleben gerade wieder neuen Zulauf. Soziale und ökologische Verantwortung sind stark gefragt

1950 feierte der legendäre Gottlieb Duttweiler 25 Jahre Migros Foto: Keystone/picture alliance

Von Dierk Jensen

Er war wahrlich ein Mann unkonventioneller Methoden. So warf er 1948 als Mitglied des schweizerischen Nationalrats theatralisch Steine ins Fenster des Parlaments, um sich in der Öffentlichkeit noch mehr Gehör zu verschaffen. Und er ist bis heute, weit über die Schweiz hinaus, eine Ikone der konsumgenossenschaftlichen Idee: Gottlieb Duttweiler. Der legendäre Kaufmann aus Zürich gründete im Jahr 1925 die Migros, die sich seither anschickt, mit genossenschaftlichen Unternehmensmodellen Produkte des täglichen Gebrauchs für die Konsumenten kostengünstig bereitzustellen. Mit diesem Ansatz erzielte der 1962 verstorbene Duttweiler schon zu Lebzeiten großen wirtschaftlichen Erfolg, der sich bis in die Gegenwart fortsetzt. Denn heute ist die Migros einer der größten Einzelhandelskonzerne der Schweiz, ist Arbeitgeber von über 100.000 Beschäftigten und setzt jährlich rund 28 Milliarden Franken um.

Dabei ist die Migros nur eine von vielen Varianten genossenschaftlicher Verbraucherorganisationen, deren Anfänge bis in die Zeit der industriellen Revolution zurückreichen. Der Gedanke ihrer Initiatoren war es immer, durch den Zusammenschluss einer großen Anzahl von Arbeitern bzw. Konsumenten und bei gleichzeitiger Umgehung des Zwischenhandels die Preise vor allem der Lebensmittel und auch darüber hinaus aller anderen Verbrauchsgüter deutlich zu senken. Die ersten solcher Organisationen entstanden in England, später kam die Idee auch nach Kontinentaleuropa. Einer der wohl bekanntesten Akteure auf diesem Gebiet ist sicherlich Friedrich Wilhelm Raiffeisen, der allerdings nicht in erster Linie die Arbeiterschaft, sondern eher die ländliche Bevölkerung und vor allem die Bauern im Blick hatte. Ein weiterer wichtiger Wegbereiter des Genossenschaftswesens in Deutschland war sein Zeitgenosse Hermann Schulze-Delitzsch, der 1849 die Schuhmachergenossenschaft gründete und in den darauffolgenden Jahrzehnten Wegbereiter von vielen Spar- und Konsumvereinen war, die gebildet wurden, um quasi selbstorganisiert das nötige Geld für Investitionen ihrer Mitglieder respektive Genossen bereitstellen zu können.

Versöhnung vs. Revolution

Diese von der vielfältigen Genossenschaftsbewegung praktizierte „Versöhnung“ von Kapital und Arbeit war allerdings in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vielen in der SPD ein Dorn im Auge. Damals kritisierten wichtige sozialdemokratische Parteistrategen die Spar-, Darlehns- und sonstigen Konsumgenossenschaften wegen ihrer sozial kittenden Funktion, die eine – nach streng marxistischem Diktum – revolutionäre Situation verhindern und damit das Ende des Kapitalismus hinauszögern würden.

Nun gut, dieser Diskurs ist von vorgestern. Letztlich hat sich der Kapitalismus, oder sagen wir: die „Globalisierung“ der Handelsströme spätestens seit dem Ende der Sowjetunion und des Mauerfalls weltweit durchgesetzt. Mit all den bekannten negativen Auswirkungen hinsichtlich der sozialen Gerechtigkeit und auf das Klima und den Umweltschutz. So geben profitorientierte Aktiengesellschaften und die Börsen den wirtschaftlichen Takt auf dem Globus, nicht die Genossenschaft mit sozialem Ethos. Shareholder-Value steht in vielen globalen Unternehmen einsam hoch im Kurs, Partizipation im genossenschaftlichen Sinne „Alle für einen – einer für alle“ ist im wirtschaftlichen Treiben eher eine Randfigur.

Dennoch ist die genossenschaftliche Bewegung bei Weitem nicht am Ende. Gerade im Bereich der erneuerbaren Energien haben sich in den letzten Jahren viele neue Energiegenossenschaften gebildet, bei der durch aktive Teilhabe der Bürger eine hohe Akzeptanz gegenüber Projekten in den Bereichen Solar, Biogas und Wind erreicht wurde. Diese Richtung schlägt auch die Greenpeace Energy eG ein, die ihren Kunden nicht nur grüne Energie anbietet, sondern auch selbst unter anderem in die Wasserstoffproduktion investiert. Dabei geht es letztlich allen Akteuren auch um die Wiederbelebung der alten Idee, Produktion und Konsum – in sozialer und ökologischer Verantwortung – näher zusammenzubringen. Oft geschieht dies abseits des gewerkschaftlichen Mainstreams, wie die wachsende Resonanz für die Bewegung Solidarische Landwirtschaft zeigt, bei der die Konsumenten sich finanziell und auch arbeitswirtschaftlich an der landwirtschaftlichen Erzeugung beteiligen. Anders, aber ähnlich verhalten sich Food-Coops, bei denen sich Verbraucher zusammenschließen, um vornehmlich ökologisch erzeugte Lebensmittel aus der Region zu beziehen. Ein weiteres gutes Beispiel ist auch das Unternehmen arteFakt Handelsagentur für Erzeuger-Verbraucher-Ideen, das seit mehr als zwei Jahrzehnten erfolgreich versucht, neue, nachhaltigere und engere Beziehungen zwischen Verbrauchern und Erzeugern von hochwertigen Olivenölen zu entwickeln.

Alte Strukturen aufbrechen

Für sozial- und umweltverträgliches Wirtschaften braucht es nicht unbedingt genossenschaftliche Unternehmen, obgleich diese an vielen Stellen mit Nachdruck zeigen, wie sie sich im Wettbewerb mit anderen unternehmerischen Rechtsformen durchaus behaupten können. Dies gilt auch für die Berliner Zentralkonsum, unter deren Dach sich 32 Genossenschaften und Tochtergesellschaften aus Ostdeutschland befinden. So zählt das mittelständische Unternehmen rund 200.000 Mitglieder und hat sich nach der Öffnung der Mauer nicht durch hochdotierte Beratungsunternehmen wegberaten lassen. Martin Bergner, Vorstandssprecher der Zentralkonsum, freut es und er geht aktuell in die Offensive. Er will die bisherige Zwangsmitgliedschaft in einem genossenschaftlichen Prüfungsverband aufkündigen. Das klingt nach Widerstand gegen schwerfällige, in die Jahre gekommene Strukturen. Es klingt nach aufweckendem Scherbenbruch – wie einst der Steinwurf von Konsumgenosse Gottfried Duttweiler wohl intendierte.