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Kettensprengende Energie

Am Freitag beginnt im Haus der Kulturen der Welt das Festival Wassermusik. Neben Musik gibt es ein umfangreiches Filmprogramm zum diesjährigen Thema „Black Atlantic“

Von Michael Meyns

Zur Musik von John Coltrane tanzt sich der brasilianische Schauspieler, Aktivist und Filmemacher Zózimo Bulbul immer mehr in Ekstase, bis er am Ende die Ketten sprengt, die ihn fesseln. Die elf Minuten des 1973 entstandenen Kurzfilms „Alma no olho – Soul in the Eye“ bilden den Auftakt des Filmprogramms des diesjährigen Wassermusik-Festivals, und sie könnten nicht passender sein.

Um den Black Atlantic geht es erneut im Haus der Kulturen der Welt, erneut, weil nach 2004 noch einmal Paul Gilroys für die Kulturwissenschaften bahnbrechendes Werk zu dem Thema im Mittelpunkt eines Themenschwerpunkts steht. 1993 hatte der englische Historiker sein Hauptwerk, „The Black Atlantic: Modernity and Double Consciousness“, veröffentlicht und darin nicht weniger als eine neue Lesart der Diaspora-Kulturen begründet. Nicht als nordamerikanisch, kubanisch oder brasilianisch wollte er die Nachfahren der aus Afrika verschleppten Sklaven verstanden wissen, sondern als hy­bri­de Kultur mit sowohl afrikanischen als auch europäischen und amerikanischen Eigenschaften.

Unweigerlich gehört die Sklaverei und vor allem die Befreiung von ihrer Knechtschaft zu den wichtigsten Faktoren der vielfältigen Kulturen in den Räumen des Black Atlantic, doch das Filmprogramm, das Nordamerika weitestgehend außen vor lässt und sich statt dessen mit Aspekten der Kulturen der Karibik und des südlichen Amerika beschäftigt, geht weit über dieses zentrale Thema hinaus.

Entsprechend sind die beiden zum Auftakt am 5. Juli gezeigten Filme auch keine Geschichten über die Gräuel der Sklaverei, sondern heroische Filme über die Befreiung von ihr. Während der schon erwähnte Film „Alma no olho – Soul in the Eye“ dies auf abstrakt symbolische Weise tut, wählt João Daniel Tikhomiroff in seinem 2009 entstandenen „Besouro – Die Geburt einer Legende“ einen wilden Genremix. Elemente des Western­kinos, des lateinamerikanischen magischen Realismus und des asiatischen Martial-Arts-Kinos verknüpft er zu einer Geschichte, die 1924 spielt, als die Sklaverei in Brasilien offiziell schon abgeschafft ist. Dennoch behandeln viele Großgrundbesitzer ihre Angestellten immer noch wie Leibeigene, bis der titelgebende ­Besouro, ein legendärer Capoeira-Tänzer, den Kampf gegen die Unterdrückung aufnimmt.

Vom Tanz ist es nicht weit zur Musik, und das bedeutet in der Karibik nicht zuletzt: Reggae. Nicht unbedingt eine historisch genaue Darstellung dieser auf Jamaika entstandenen Stilrichtung ist Jérôme ­Laperrousaz’„Made in Jamaica“ (27. 7.), viel mehr eine collage­artige ­Annäherung an die Essenz einer Musik, die im wahrsten Sinne des Wortes auch Religion ist. Die seltsame Art, wie der Rastafari-Kult den äthiopischen Diktator Haile Selassie als Symbol der Freiheit verehrt, wird angedeutet, vor allem stehen in schweißtreibenden Bildern die Musik alter und neuer Reggae-Helden wie Gregory Isaacs oder Lady Saw im Mittelpunkt.

Musik bildet auch den ersten Teil des Doppelprogramms über die Kapverdischen Inseln am 26. Juli. Zunächst begleitet Frédérique Menant in „Kreol“ den Musiker (und aktuellen Kulturminister seines Landes) Mario Lucio bei der Entstehung seines jüngsten Albums, anschließend steht eine Legende der afrikanischen Befreiungskämpfe im Mittelpunkt. Ana Ramos Lisboa gelingt es in „Amílcar Cabral“, durch umfassendes Archivmaterial und viele Interviews mit Zeitzeugen ein packendes Porträt des 1973 ermordeten Cabrals zu zeichnen.

Auserkoren, die oralen Traditionen des Voodoo am Leben zu erhalten

Filmischer Höhepunkt der Reihe ist schließlich „Voodoo – Mounted by the Gods“, der am 19. Juli auf einer 35-mm-Kopie gezeigt wird. Was besonders deswegen erwähnt werden muss, weil der Schweizer Fotograf und Filmemacher Alberto Venzago sein faszinierendes Thema weniger analytisch als ästhetisch umkreist. Bei einer Reise im westafrikanischen Benin hatte Venzago einst eine Panne, zufällig – oder auch nicht …? – genau vor einem der wichtigsten Voodooklöster des Landes. Dort freundete er sich mit dem amtierenden Priester an und hatte dadurch Gelegenheit, über Jahre hinweg eindrucksvolles Material zu filmen.

Besonders interessant wurde es, als der Nachfolger des alternden Priesters gesucht wurde und in dem zwölfjährigen Jungen Gounon gefunden wurde. Mal in kontrastreichem Schwarz-Weiß, mal in grellen Farben beobachtete Venzago die Auswahlrituale und schließlich den Werdegang des Jungen, der auserkoren war, die oralen Traditionen des Voodoo am Leben zu erhalten.

Auch dies ist eine der vielen Linien, die sich von Afrika in die neue Welt ziehen lassen und die in diesen Tagen im Haus der Kulturen der Welt filmisch beleuchtet werden.

Wassermusik, 5.–27. 7, Haus der Kulturen der Welt (siehe auch taz-plan)

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