debatte
: Neue Wörter, alter Hass

„Ausländer raus“ heißt heute „Remigration“: Wie die neurechte Bewegung mit pseudointellektuellen Formulierungen ihre wahren Ziele verschleiert

Foto: privat

JakobGuhl

ist Forschungs­koordinator beim Londoner Institute for Strategic Dialogue (ISD), wo er zu Radikalisierung, Rechtsextremismus und Desinformationskampagnen forscht. Zusätzlich arbeitet er an der Online Civil Courage Initiative mit, einem Projekt, das darauf abzielt, die Reaktionen der Zivilgesellschaft auf Hate Speech und Extremismus im Internet zu verbessern und zu fördern.

Als im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen das sich neben der Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber befindende Wohnheim für vietnamesische Gastarbeiter in Brand gesetzt wurde, skandierte die Menschenmenge einen Slogan, der zu einem der Symbole rechtsextremer und rassistischer Gewalt im wiedervereinten Deutschland der 90er Jahre werden sollte: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus.“ Lange Jahre schien es, als sei dieser Ausspruch verschwunden. Doch nun kehrt er zurück. Das geschieht nicht durch grölende Hooligans auf der Straße, sondern durch die schrittweisen Geländegewinne einer sich radikalisierenden Bewegung mit parlamentarischer Vertretung.

„Ausländer raus“ heißt heute „Remigration“. Der Begriff wurde bis vor wenigen Jahren kaum verwendet, im Duden steht bei „Remigrant“ unter Gebrauch lediglich: bildungssprachlich. In der aktuellen Verwendung stammt „Remigration“ aus dem Lexikon der Identitären Bewegung und ist kein bildungssprachlicher Begriff, auch wenn versucht wird, durch die pseudointellektuelle Terminologie den genauen Inhalt dieser politischen Forderung zu verschleiern. So lassen die Identitären potenziellen Verbündeten die Illusion, dass mit der Forderung nach Remigration „nur“ die Rückführung straffälliger, abgelehnter Asylbewerber gemeint sein könnte.

Die Identitären sehen „Remigration“ als notwendige Antwort auf den „großen Austausch“. Dabei handelt es sich um einen Verschwörungsmythos, laut dem die europäische Stammbevölkerung durch „kulturell fremde“ Einwanderergruppen ersetzt werden soll. Um den „großen Austausch“ umzukehren, fordern die Identitären zunächst, Masseneinwanderung zu stoppen und im zweiten Schritt die Rückführung nicht­europäischer Migranten durchzuführen. „Remigration“ strebt somit nach der Herstellung größtmöglicher „ethnokultureller“ Homogenität. Auch hier spielt die Sprache eine wichtige Rolle: „ethnokulturell“ verschleiert, wie eng „Kultur“ und „Ethnie“ innerhalb der identitären Gedankenwelt miteinander verbunden sind. Genauso gut könnten sie daher von der Herstellung einer völkischen Reinheit sprechen. Die Identitären sprechen jedoch von „Ethnopluralismus“. Im Vergleich mit dem Vokabular traditioneller rechtsextremer Gruppen klingt dies moderater, so, als wollten die Identitären niemandem etwas zuleide tun. Doch in letzter Konsequenz ist die Forderung nach Remigration in einem vielfältigen Europa eine Forderung nach ethnischer Säuberung.

Bei der Verbreitung des Konzepts der „Remigration“ setzen die Identitären vor allem auf die sozialen Medien. Waren es im Jahr 2016 noch 20,989 „Remigrations“-Tweets pro Jahr, stieg diese Zahl 2017 auf 47,353 und erreichte mit 55,013 Tweets 2018 ihren bisherigen Höhepunkt. Seit dem Jahr 2018 finden sich in den Listen der am meisten geteilten Remigrations-Tweets jedoch auch offizielle AfD-Accounts, welche fordern, dass syrische Flüchtlinge abgeschoben werden sollen, oder befinden, dass für „Türken“, die sich „nicht integrieren wollen“, eine Remigration das beste wäre .

Bei den regelmäßig in Schnellroda stattfindenden Konferenzen des Instituts für Staatspolitik, die eine Schlüsselrolle bei der ideologischen Schulung des identitären Nachwuchses spielen, sprachen in den vergangenen Jahren nicht weniger als sieben AfD-Vertreter. Darunter befanden sich der Vorsitzende des völkischen „Flügels“ innerhalb der AfD, Björn Höcke, sowie der Europawahlkandidat Hans-Thomas Tillschneider, welcher ein Büro im Haus der identitären Gruppe „Kontrakultur“ in Halle hat, aber auch die beiden Vorsitzenden der Bundespartei, Jörg Meuthen und Alexander Gauland. In einer Rede in Schnellroda, die genauso gut von einem identitären Aktivisten oder neurechten Theoretiker hätte stammen können, sagt Gauland im Januar 2019, dass „die Völker unwillig sind, den grauen Tod der Diversity zu sterben“. Gegen gegen Ende seiner Ausführungen spricht er vom „elementaren Bedürfnis eines Volkes … sich im Dasein zu erhalten. Das ist im Grunde unser Parteiprogramm in einem Satz. Es geht uns einzig um die Erhaltung unserer Art zu leben. Das zentrale politische Zukunftsthema lautet Identität.“

Die von den Identitären geprägte Vokabel „Remigration“ findet sich mittlerweile im Europawahlprogramm der AfD, in dem „Remigrations­programme größtmöglichen Umfangs“ für Deutschland und Europa gefordert werden. Als Mitglieder des AfD-„Flügels“ bei einem Treffen in Greding gemeinsam mit anwesenden Identitären die erste Strophe des Deutschlandliedes singen, fordert die bayerische Fraktionschefin der AfD Katrin Ebner-Steiner „Remigration statt Integration!“

Die Forderung nach Remigration in einem vielfältigen Europa ist eine nach ethnischer Säuberung

Eine Agenda für „Remigration und Deislamisierung“, wie sie von Schlüsselfiguren der Identitären Bewegung schon vor Jahren propagiert wurde, steht im Einklang mit dem, was Björn Höcke sich für die Zukunft des Islam in Europa ausmalt. Der Spitzenkandidat der Thüringer AfD für die Landtagswahlen im kommenden Herbst hatte bereits vor über einem Jahr verkündet, die AfD werde, sobald sie an der Macht sei, „die Direktive ausgeben, dass am Bosporus mit den drei großen M, Mohammed, Muezzin und Minarett, Schluss ist.“

Wir schreiben das Jahr 2019, es ertönen wieder deutlich wahrnehmbare Rufe nach ethnischer Säuberung, die Erinnerungen an einige der dunkelsten Kapitel der europäischen Geschichte hervorrufen. In Zeiten des Rechtsrucks und der Radikalisierung der neurechten Bewegung und ihrer parlamentarischen Vertretung liegt eine der größten Gefahren für offene und demokratische Gesellschaften in der Naivität gegenüber den politischen Bemühungen, extremistische Rhetorik zu normalisieren. Es ist an der Zeit, dass wir es nicht mehr achselzuckend hinnehmen, wenn „Ausländer raus“ wieder Einzug in den Mainstream des politischen Diskurses erhält.