Esther Slevogt betrachtet das Treibenauf Berlins Bühnen:
Savage Amusement heißt das Produktionslabel der in Berlin lebenden australischen Performerin und Videokünstlerin Melanie Jame Wolf – und die deutsche Übersetzung des Begriffs gibt seine Bedeutung und Atmosphäre nur höchst gemäßigt wieder: „Wilde Unterhaltung“. Denn im englischen Wort „savage“ steckt auch das Angreifende, Aggressive, das Wildnis und die darin lebenden Raubtiere haben können: also Gefahr. Und gefährlich können die Performances von Melanie Jame Wolf wirklich werden, die ihr Material stets aus den unübersichtlichen Verhältnissen kapitalistischer Tauschökonomien beziehen und bisweilen auch Zuschauer*innen nicht verschonen. Besonders gern fischt Wolf (sic!) dabei in den trüben Gewässern, wo scheinbar immaterielle Werte wie Kultur, Moral oder Gefühle treiben. Und Sex.
Ihr neuester Abend, der am Samstag in den Sophiensaelen Premiere hat, macht sich nun an einem Wort fest, das Melanie Jame Wolfs Eindruck zufolge die meisten Popsongs dominiert. „Tonight“. Denn „tonight“ markiert ihrer Beobachtung zufolge eine Art Punkt, an dem irgendein utopischer Zustand eintritt, den das jeweilige Lied besingt – das ja aber nichts weiter als ein kapitalistischer Sirenengesang ist und die Menschen eigentlich ins Verderben reißt. Weshalb der Pop mit seinem Authentizitätsgetue nichts als ein gigantischer Entfremdungszusammenhang ist (Sophiensaele: „Tonight“, 27.-30. 6., jeweils 20 Uhr).
In dem berühmten Stück von Tony Kushner „Angels in America“ von 1991 erkrankt ein Mann an Aids. Weil er weiß, dass er sterben muss, erfindet Walter (so heißt er) in seinem Kampf mit und gegen die Krankheit einen Engel. Dann ist da noch sein Geliebter Louis, der den Schwerkranken verlässt und dann mit seinen Schuldgefühlen kämpft. Und Roy Cohn, der Schwulenhasser und Mentor von Donald Trump im New York der 1980er Jahre, in dem das Stück spielt. „Über allem schwebt das Ende, der Tanz auf dem Vulkan, das Leben in einer von Fortschritt, Krankheit und menschlichem Ehrgeiz zerstörten, verlorenen, von Gott verlassenen Welt, die sich selbst retten müsste und es doch nicht vermag“, wie es in der Ankündigung der Universität der Künste heißt.
Dort findet am Donnerstag die Berliner Erstaufführung der Oper „Angels in America“ statt, die 2004 der ungarische Komponist Péter Eötvös auf der Basis des Dramas schrieb. In der UdK haben für diese Inszenierung die Studiengänge Gesang/Musiktheater, Bühnenbild und Kostümbild mit dem Symponieorchester zusammengearbeitet (Konzertsaal UdK: „Angels in America“, 27.-30. 6., jeweils 19.30 Uhr).
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