: „Man soll die Zuschauer nicht für dumm halten“
Michael Souvignier verfilmt Gesellschaftskritik. Gerade dreht er „Oktoberfest“, ein Millionenprojekt für die ARD. Über Haltung in der Unterhaltung
Interview Wilfried Urbe
taz: Herr Souvignier, bei Ihren Produktionen legen Sie Wert auf „Relevanz“. Was bedeutet das?
Michael Souvignier: Es gibt die unterschiedlichsten Möglichkeiten, TV zu machen. Ich komme vom Journalismus und habe das Glück und die Möglichkeit, mich beruflich mit den Inhalten zu beschäftigen, die mich selbst interessieren. Und das hat eben mit Politik und Gesellschaft zu tun. Und wenn man schon das Medium Film nutzen kann, ist es toll, neben Unterhaltung auch noch etwas anderes zu transportieren.
Aber auch Sie wollen gute Einschaltquoten.
Ich möchte natürlich möglichst viele Zuschauer erreichen, sie von der ersten Minute an fesseln. Aber die Emotionalisierung wird zum Vehikel für Informationen und Denkanstöße. Und sie verhilft vielleicht zur Meinungs- und Haltungsbildung. Wie etwa bei „Der Fall K.“, der an die Geschichte von Gustl Mollath angelehnt ist – unglaubliche Geschichten, die leider Realität sind.
Bewirken Sie damit etwas?
Das wäre schön, ich kann es nicht beurteilen. Mit „Contergan“ haben wir wirklich einiges bewegt. Die Betroffenen haben später nicht nur eine angemessene Rente von der Pharmaindustrie erhalten, sondern wir erstritten in unseren Auseinandersetzungen mit dem Hersteller des schädlichen Medikaments, der die Ausstrahlung verhindern wollte, ein Präzedenzurteil für die Kunstfreiheit. In der Rechtsprechung ist es inzwischen maßgeblich. Man muss aber auch sagen, für Fernsehmacher gäbe es einfachere Projekte als die, die wir in der Regel realisieren.
Warum?
Wir stecken viel Arbeit rein, müssen im Vorfeld eine Menge mit Juristen oder Historikern abklären, uns mit den Sendern abstimmen. Für „Duell der Brüder – Die Geschichte von Adidas“ haben wir im Vorfeld intensive Gespräche mit der Familie geführt. So etwas ist manchmal ein jahrelanger Prozess. Und es gibt hohe Risiken, weil Menschen oder Unternehmen sich verletzt fühlen könnten. Wir sind beispielsweise verpflichtet, dem Sender gegenüber Rechtssicherheit zu gewährleisten. Normalerweise werden zwar Sender und Produktionsunternehmen zusammen verklagt, aber wenn etwas schief geht, hält sich der Sender letztlich an den Produzenten.
Fiktionale Dramatisierung um „reale“ Vorgänge zu vermitteln, kann man auch kritisch sehen.
Wichtige Themen sollten nicht nur in wissenschaftlichen Kreisen oder im Feuilleton abgehandelt werden. Einfach weil dann ein Großteil der Bevölkerung nicht mehr erreicht wird. Über fiktionale Dramatisierung wird breites Interesse geweckt, auch dafür, noch mehr zu erfahren. Zu vielen unserer Produktionen haben sich die Zuschauer später auch die Dokumentationen angeschaut. Geballt Fakten darstellen kann man in einem Film nicht.
Michael
Souvignier Jahrgang 1958, produzierte u. a. „Contergan“, „Das Tagebuch der Anne Frank“, „Der Fall Barschel“, sowie „Mackie Messer – Der Dreigroschenfilm“.
Hat das TV-Publikum nicht auch das Recht, einfach nur unterhalten zu werden?
Hat es. Aber man soll die Zuschauer auch nicht immer für dumm und anspruchslos halten. Sie sind nicht so schnell überfordert, wie manche meinen. Wenn die Menschen emotional berührt sind, dann sind sie auch gerne bereit, sich mit komplizierten Themen zu beschäftigen. Bei all meinen Geschichten versuche ich, dass am Ende mindestens ein hoffnungsvoller Ausblick steht. Und für mich geht es weniger darum, Menschen als Opfer zu zeigen. Das sind sie manchmal vielleicht auch, aber viel häufiger noch sind sie Helden, die sich nicht ihrem Schicksal ergeben, sondern für ihre Interessen kämpfen.
Sie drehen gerade „Oktoberfest“ über den Beginn des Volksfestes in seiner modernen Form vor 120 Jahren. Wie verwirklichen Sie hier Ihre Prinzipien?
In „Oktoberfest“ zeigen wir unter anderem Markt- und Machtmechanismen, die genauso auch heute noch funktionieren. Die Serie ist im Grunde ein Beispiel für Turbokapitalismus und wie man sich dem widersetzt. Die Art der Vorgänge, die wir zeigen werden, ist aktueller denn je.
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