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Die Stille nach den Schüssen

Elfriede Jelineks „Das schweigende Mädchen“ zerlegt die medialen Bilder Beate Zschäpes während des NSU-Prozesses. Am Goetheplatz wirkt der Text bereits erstaunlich alt

Von Jan-Paul Koopmann

Es ist viel gesprochen worden über dieses Schweigen, also über das von Beate Zschä­pe und mehr noch über die geschredderten Dokumente beim Verfassungsschutz. Elfriede Jelinek hat mit „Das schweigende Mädchen“ ein wortreiches Stück über diese doppelt verweigerte Aufklärung geschrieben, fünf Jahre ist das nun her. Unter Marco Štormans Regie klärt die Bremer Inszenierung heute zwei Dinge: dass nämlich erstens nichts vergessen ist oder auch nur an Relevanz eingebüßt hätte, dass sich aber zweitens die Dinge heute anders darstellen – obwohl Täter und Behörden noch immer weitgehend schweigen.

Jelineks Text ist gewaltig, endlos monologisierend, brutal zu spielen und so auch anzusehen, weil am Ende doch nur die quälende Erkenntnis wartet, dass die entmachtete Sprache bei der Sache nicht anlangt. Štorman täuscht da gar nicht mehr vor, setzt nur behutsame Spitzen, vermeidet allzu hilflose Empörung und breitet die Fragmente des Terrors zur Beschau auf.

Die Akteur*innen treiben derweil auf einer weitgehend dunklen Bühne umher, beklagen mal als Hinterbliebene die Toten, erinnern dann wieder Szenen des NSU-Prozesses, finden sich schließlich mit den Terrorcampern Mundlos, Böhnhardt, Zschä­pe beim berühmt gewordenen Wohnmobil ein, dessen metallisches Gerippe Stück für Stück aus von der Decke baumelnden Elemente zusammengeschraubt wird. Am Keyboard unterstreicht Thomas Seher eher die melancholische Schwere des Textes als seine überschäumende Wut.

Irritierend ist heute ein Strang, der Beate Zschäpe als Marienfigur zeigt: Als schweigende, fürsorgliche Mutter des „Terrortrios“ zeigt Stephanie Schadeweg eine strahlende Lust an der Märtyrerrolle, übersetzt punktgenau das in Schauspiel, was bereits zur Uraufführung in den Münchner Kammerspielen zu Recht als „biblische Wucht“ des Textes benannt wurde.

Und die mysteriöse Mutterfigur war damals, vor fünf Jahren, ja auch wirklich ein populäres Bild – auch ein mediengemachtes, weil Zschäpe ja nun mal schwieg und sich über ihre Beteiligung an den Morden höchstens spekulieren ließ. Lange war über Zschäpe entrücktes Glotzen mehr in der Presse zu lesen als über die Opfer: Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter.

Dieses Bild vorzuführen, hat inzwischen an Schärfe verloren. Die Totenklagen auf der Bühne sind beklemmend wie damals, die Schlaglichter in die mörderische Tristesse deutschen Ekels gelingen Štorman und dem Ensemble mit Bravour – doch dieses Gerätsel um Zschäpe läuft heute doch Gefahr, Mythen zu stiften, statt zu dekonstruieren.

Lange war über Zschäpes entrücktes Glotzen vor Gericht mehr in der Presse zu lesen als über die Opfer des NSU

Keine zwei Wochen vor der Bremer Premiere wurde der hessische CDU-Politiker Walter Lübcke erschossen, die europäische Rechte ist aggressiv und präsent wie seit Jahrzehnten nicht. Dass der NSU einem deutschen Sumpf entkrochen ist, aus dem mit mehr zu rechnen ist, hat Jelinek damals noch im gesellschaftlichen Schockmoment erfasst und Worte dafür gefunden. Die Deutschen würden auch nicht mehr morden als andere Völker, heißt es im Stück – dass sie aber vielleicht mehr Freude daran hätten. Der böse Gedanke will keine Analyse sein und musste das damals auch nicht. Aber es wäre gut, wenn Theater heute mehr als dunkle Ahnungen und verständliche Fassungslosigkeit anzubieten hätte.

Immerhin hält sich die Inszenierung damit nicht zurück. Immer wieder gehen die Akteur*innen ins um den Bühnenraum verteilte Publikum, sprechen Leute an, holen sie für ein Stück im Stück von den betont unbequemen Sitzen runter auf die Spielfläche. Angemessen übergriffig ist auch die Videoarbeit von Lio und Cantufan Klose, die dem Publikum mit Handkamera und grellem Licht auf den Pelz rücken. Wir stecken eben alle mit drin, ist die schlichte Botschaft – deren Gewicht noch ausdrücklicher erfährt, wer sich selbst überlebensgroß auf der Leinwand inmitten geschredderter Akten und anderen Mosaikteilchen des NSU-Wahnsinns wiederfindet.

Überhaupt: Dass nach Nurkan Erpulats „Aus dem Nichts“ (nach Fatih Akins Film) in dieser Spielzeit gleich noch ein NSU-Stück am Goetheplatz gespielt wird, ist ein starkes Sig­nal. Nicht nur das: Štorman ist mit „Das schweigende Mädchen“ eine eindringliche Inszenierung gelungen, die sich querstellt gegen das Gewöhnen und gegen das Vergessen. Und wie es nun weitergeht – das kann und wird sich ohnehin nicht im Theater entscheiden.

Wieder am: 26. 6., 20 Uhr; 30. 6., 18.30 Uhr; 3. 7., 20 Uhr, Theater Bremen, Kleines Haus

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