das ding, das kommt
: Überwältigung durch Stahlsaiten

Auf der E-Gitarre lassen sich auch dumme deutsche Liebeslieder spielen, zum Beispiel. Oder Kathedralen aus Feedback errichten – so wie jetzt in Hamburg Foto: Adam Gasson/Heritage Auctions/dpa

Ein Update vorneweg: Vor nicht allzu langer Zeit war an dieser Stelle von der elektrischen Gitarre die Rede, einer ganz bestimmten: einer tschechischen „Futurama“ von ’58, die das Beatles-Mitglied George Harrison einst auf Hamburger Bühnen spielte. Jenes Instrument sollte am vergangenen Mittwoch in London versteigert werden – aber der Mindestpreis von 200.000 Pfund wurde verfehlt.

Ziemlich zeitgleich mit den Anfängen der späteren Weltstars aus Liverpool, nämlich in den 1960er-Jahren, erlangte die E-Gitarre aus Sicht des einflussreichen Musikjournalisten Robert Palmer (1945–1997) ihren Rang für den Rock’n’Roll: Seitdem nämlich seien dessen Fans stets „Fanatiker der elektrischen Gitarre“, schrieb er 1990 im bemerkenswerten Text „The Church of the Sonic Guitar“. Darin machte er auch einen „Punk-Kunst-Flügel des modernen Rock“ aus, dem das Gitarre-Verstärker-Feedback, also eigentlich eine Art Technik-Fehler, zentraler klanglicher Baustein war; eine Traditionslinie, die Palmer von Velvet Underground – auch 1960er, aber so ganz anders als die Beatles – über die ebenfalls New Yorker Proto-Punker Television zog und bis hin zu den erst recht New Yorker Indie-Rock-Giganten Sonic Youth.

Deren Anfänge haben ästhetisch zu tun mit einem äußerst ortsspezifischen, um nicht zu sagen: auf circa dreieinhalb damals heruntergekommene (und heute sündhaft teure) Downtown-Straßenzüge sich konzentrierenden Phänomen namens „No Wave“: Das brachte Punk und Free Jazz zusammen, genialen Dilletantismus und gelegentlich auch schlicht harte Drogen. Eine Verästelung waren die vielköpfigen E-Gitarrenorchester eines vor beinahe genau einem Jahr verstorbenen Mannes namens Glenn Branca – und auf dessen Post-Minimalismus wiederum bezieht sich seit den 90er-Jahren die Hamburger Formation Rossburger Report: „Schichten über Schichten streng ausgezählter Rhythmusgitarren“, so stand es 1994 in der taz, „entwickeln eine ganze Planetenoberfläche an diffizilen Klängen“. Es ist eine düstere Kathedrale, errichtet aus dem Dröhnen einer zweistelligen Zahl von Gitarren (dazu noch einer Rhythmusgruppe). Baumeister, um im Bild zu bleiben, ist Markus E. Lipka, einst Gründer von Eisenvater, einer im weiteren Sinne Metal-Band, deren Mitglieder zum Lachen vermutlich in den Luftschutzbunker gingen. Aber gut: Die Zeiten um die deutsche Wiedervereinigung herum waren ja auch kein Sommermärchen.

Stimmte schon 1994, dass der Rossburger Report seinen elektrifizierten Überwältigungssound nur selten entfachte, und dann umso mehr Beachtung erfuhr, sind seine Lebenszeichen seitdem noch rarer geworden – umso bemerkenswerter, dass ein Konzert angekündigt ist, und dann auch noch in Hamburgs markantestem Bunker. Alexander Diehl

So, 16. 6., 20 Uhr, Hamburg, Uebel & Gefährlich, Feldstraße 66