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Sex ist die Währung der Armen

Frauen, die in Europa zur Prostitution gezwungen werden, stammen oft aus Edo im Süden Nigerias. Die Region steht seit Jahrhunderten im Austausch mit Europa

Über die Gefahren, die Frauen auf sich nehmen, die sich Menschenhändlern anvertrauen, wird in den Familien kaum gesprochen

Aus Cotonou Katrin Gänsler

Ab und zu ist in Benin City, Hauptstadt des Bundesstaates Edo, ein Plakat zu sehen. Darauf wird vor den Gefahren des Menschenhandels gewarnt, vor Schleusern und ihren falschen Versprechen. Jungen Frauen erzählen sie, dass sie in Europa als Putzfrau oder Kindermädchen arbeiten können und nebenher eine Ausbildung erhalten. Tatsächlich landen sie in Bordellen oder auf dem Straßenstrich. Dass sei den Frauen auch bewusst, sagt Bibiana Emenaha. Die Ordensfrau arbeitet für Cusodow, das Komitee zur Unterstützung der Würde von Frauen. Seit Jahren betreut es in Benin City Opfer von Menschenhändlern und betreibt in Schulen Aufklärungsarbeit. „Möglicherweise sind nicht alle Mädchen auf dem Land informiert“, vermutet sie. In den Städten sei die Botschaft aber angekommen.

Neben Cusodow und einer Reihe von weiteren nichtstaatlichen Organisationen ist seit knapp zwei Jahren die Spezialeinheit gegen Menschenhandel (Etaht) aktiv, die Gouverneur Godwin Obaseki gegründet hat. Obaseki erhielt dafür auch international viel Aufmerksamkeit. Die Einheit soll ermöglichen, dass mit speziellen Streifen nach Schleusern gesucht wird. Auch in Kirchen, Moscheen und überall dort, wo viele Menschen zusammenkommen, wird Aufklärungsarbeit betrieben. Seit Anfang 2018 finden in Nigeria zudem häufiger Konferenzen zu Menschenhandel und Migration ohne Papiere statt.

Der heutige Bundesstaat Edo hat seit Jahrhunderten Kontakte nach Europa. Im späten 15. Jahrhundert kamen portugiesische Kaufleute, und der Handel mit Waren und Sklaven begann. Gut 400 Jahre später – im Jahr 1897 – brachte Großbritannien die Region schließlich unter seine Gewalt. Dabei wurden auch rund 2.500 Benin-Bronzen erbeutet und nach Europa gebracht. Über eine mögliche Rückgabe wird aktuell heftig diskutiert.

Vor allem in der Provinzhauptstadt Benin City ist bis heute der Wunsch groß, nach Europa zu gehen. Mehr als in anderen Städten Nigerias wird in Benin City für Sprachunterricht geworben. Mit großen Schildern versprechen Unternehmen, Visa zu organisieren. Zudem wird der Wunsch, die westafrikanische Region Richtung Europa zu verlassen, von Erfolgsgeschichten getriggert.

Das Unternehmernetzwerk „Price Water Coopers International“ schätzt, dass Nigerianer*innen in der Diaspora allein im vergangenen Jahr rund 25 Milliarden US-Dollar zurück in die Heimat geschickt haben. Das waren drei Milliarden US-Dollar mehr als im Jahr zuvor. Als erfolgreich gilt auch, wer seiner Familie einen mit Kühlschränken, Waschmaschinen und Fernsehern vollgestopften Minibus schicken kann. Die gebrauchten Waren werden überall am Straßenrand verkauft.

Strukturelle Probleme verschärfen den Druck: Nigeria hat schon heute rund 200 Millionen Einwohner*innen und wächst jährlich um 2,54 Prozent. Für die steigende Bevölkerungszahl entstehen jedoch weder ausreichend Wohnungen, Krankenhäuser und Schulen, noch verbessert sich die Stromversorgung. Auch Jobs fehlen. Gerade bei Menschen, die keine oder nur wenige Jahre eine Schule besucht haben, sind die Perspektiven hier schlecht.

Für Rückkehrerinnen werden zwar Ausbildungskurse etwa zur Friseurin oder Schneiderin angeboten. Doch in Städten wie Benin City überschwemmen sie den Markt. Um aber Kleinstbetriebe aufzubauen, fehlt es oft an Zugang zu Kapital. Gerade junge Menschen haben keine finanziellen Sicherheiten.

Über die Gefahren, die Migrant*innen und junge Frauen auf sich nehmen, die sich Menschenhändlern anvertrauen, wird innerhalb der Familien kaum gesprochen. Man nimmt Gefahren wie in vielen anderen Lebensbereichen einfach in Kauf. Sex gilt als die Währung der Armen. Was zählt, ist der Erfolg. Deswegen trauen sich viele von denen, die abgeschoben wurden, nicht mehr nach Hause. Sie gelten als Versager*innen und haben oft das Vermögen der Familie verspielt. Nach Angaben des Modern Slavery Index lebten 2018 in Nigeria knapp 1,4 Millionen Menschen in moderner Sklaverei.

Im nigerianischen Menschenhandel spielt bis heute die Juju-Praxis eine Rolle. Vor der Reise werden Frauen zu einem Priester gebracht, der in einer Zeremonie einen Fluch ausspricht: Wer beispielsweise über die Erlebnisse redet, wird sterben. Drohungen, dass etwa den Eltern oder Kindern in Nigeria etwas angetan wird, werden in Europa auch von den Zuhältern ausgesprochen.

Die nigerianische Behörde gegen den Menschenhandel (Naptip) geht bereits seit Jahren mit Rückkehrerinnen zu Priestern, die den Fluch von ihnen nehmen sollen. Mittlerweile hat sich der Oba von Benin, das traditionelle Oberhaupt der Region, öffentlich gegen Juju und Menschenhandel ausgesprochen. Wer reisen wolle, solle den offiziellen Weg nehmen, empfiehlt er. Doch da haben junge Menschen ohne Geld, Ausbildung und familiäre Pflichten in Nigeria keine Chance.

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