Von fliegenden Träumen
Das im April gestartete Projekt „Residenzpflicht“ ist Teil des Kunst-am-Bau-Progamms der modularen Flüchtlingsunterkünfte
Von Sophia Zessnik
Residenzpflicht – das klingt erst mal einschränkend, nach gesetzlicher Restriktion. Für die Bewohner der modularen Flüchtlingsunterkünfte ist es Alltag. Der wird nun aber dank eines Kunstprojekts etwas abwechslungsreicher. Zumindest für jeweils einen Monat, denn so lange parkt auf einer der ausgewählten Anlagen ein gelber Baucontainer. In ihm wird jeweils für vier Wochen eine/r von insgesamt zehn KünstlerInnen wohnen und das Leben dort auf die ein oder andere Weise gestalterisch dokumentieren.
„Residenzpflicht“ ist ein Projekt der KünstlerInnengruppe msk7, die mit ihrem Entwurf den 2. Platz im berlinweit offenen Kunst-am-Bau-Wettbewerb belegt haben. Finanziell unterstützt von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, wurden im Zuge einer Ausschreibung zehn einmonatige Projektstipendien an internationale KünstlerInnen vergeben.
Das Projekt „versteht sich als künstlerische Intervention an Orten, die einen gesellschaftlichen Übergang markieren“, so beschreiben die vier Künstlerinnen der Gruppe msk7 – Mona Babl, Kati Gausmann, Ricarda Mieth und Anja Sonnenburg – ihre Idee. Ein Übergang sollen die modularen Unterkünfte für Flüchtlinge (MUF) sein, da bezahlbarer Wohnraum in Berlin aber bekanntlich knapp ist, bleiben viele länger hier. Im Gegensatz zur Erstaufnahmeeinrichtung bieten die MUFs (etwas) mehr Privatsphäre, die Versorgung findet selbstständig statt.
Dort sollen nun während der jeweiligen Residenz Berührungsängste und Kompetenzunsicherheiten vermindert werden, die es laut Kati Gausmann bezüglich zeitgenössischer bildender Kunst – unabhängig von der Herkunft – häufig gäbe. Durch das Zusammenleben von längerfristigen BewohnerInnen und den temporär angesiedelten KünstlerInnen sollen so Ansichten und Fragen zu Themen wie Fremdheit und Heimat ausgetauscht werden.
Den Anfang machte der syrisch-deutsche Künstler Manaf Halbouni, der vom 26. April bis 24. Mai die mobile Behausung bezog. In der Wittenberger Straße in Berlin-Mahrzahn, wo die erste modulare Flüchtlingsunterkunft Berlins entstand, lebte er einen Monat lang in einem Zimmer, denn Küche und Bad müssen die KünstlerInnen wie alle anderen in der Unterkunft gemeinschaftlich nutzen.
Auf 12 qm² ist nicht viel Platz und doch muss hier der gesamte Alltag inklusive Arbeit bestritten werden. Denn auch für die KünstlerInnen herrscht Residenzpflicht! Diese bezeichnet umgangssprachlich eine Auflage, die im Asylgesetz (§ 56) verankert ist und den Aufenthaltsort von AsylbewerberInnen und Geduldeten auf ein zugewiesenes Gebiet beschränkt.
Daran angelehnt ist auch das Kunstwerk, das während Manafs Residenz entstand. Ein Flugzeug, das nicht fliegt: „The Flying Dreams“, zusammengebaut aus Dingen, die das Marzahner Pflaster hergegeben hat. Seiner Meinung nach, trage jeder Mensch die Sehnsucht mit sich, an einen besseren Ort zu gelangen, besonders, wenn man sich in Umständen befände, die außerhalb der eigenen Kontrolle lägen. Die Träume an eine Verbesserung der Situation könne einem jedoch niemand nehmen.
Denn auch für die KünstlerInnen herrscht Residenzpflicht
Viel von den Träumen der Geflüchteten vor Ort scheint Manaf trotzdem nicht erfahren zu haben. Wie im Blog der Projektseite zu seiner Residenzzeit nachzulesen, scheint er selbst eher das (Kunst-)Objekt gewesen zu sein, von neugierigen Kindern stets belagert und ausgefragt, nur mit den Erwachsenen sei der gewünschte Austausch nicht zustande gekommen. Irgendwie auch verständlich: Zwar bietet das knallige Tiny House auf der Agora der Flüchtlingsunterkunft eine interessante Abwechslung im isolierten Alltag, doch resümiert auch der Künstler ganz richtig, die Leute hier hätten ganz andere Probleme im Kopf.
Ob es den aktuellen BewohnerInnen des Bauwagens anders ergeht, lässt sich nur mutmaßen. Seit Ende Mai residiert die rumänische Comiczeichnerin Andreea Chirica in der MUF an der Paul-Schwenk-Straße (Berlin-Marzahn). In ihren Graphic Novels beschäftigt sie sich mit den durch Isolation ausgelösten Gefühlen wie Angst und Depressionen. Nicht ganz abwegig, an einem Ort wie diesem.
Chiricas künstlerisches Ziel ist es, menschliche Emotionen möglichst ungefiltert und wertfrei zeichnerisch darzustellen. Für ihre Residenzzeit wünscht sie sich mehr über die unterschiedlichen Konzepte von Heimat zu erfahren, ob und wie sich diese für die Geflüchteten, während ihrer Zeit hier verändert haben.
Ihre Begrüßung Ende Mai lief eher verhalten ab. Außer den Kindern, die ohne Scheu herantraten und sich des Kuchenbuffets erfreuten, wagten sich nur wenige vor. Unter den Anwesenden waren immerhin auch ein, zwei NachbarInnen aus der umliegenden Platte. Sie sind auch Gäste des einrichtungsinternen Cafés, das als interkulturelle Begegnungsstätte und Verbindung zur Außenwelt fungiert. Bis 28. Juni kann man Chirica hier oder in ihrem Bauwagen auch besuchen, dann werden die entstandenen Werke präsentiert. Wer mal vorbeischauen möchte, sollte ein gültiges Ausweisdokument vorweisen können.
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