piwik no script img

Koloniale Spuren im Kühlschrank

Die Belgierin Edith Dekyndt hat den Finkenwerder Kunstpreis bekommen. Für ihre Ausstellung im Hamburger Kunsthaus setzt sie weit gefasste Bezüge zur Stadt ringsum

Weite Bezüge: Eine Fahne aus Haaren kreolischer Frauen markiert den Ort, an dem 1830 ein Sklavenboot Schiffbruch erlitt: Still aus dem Video „ Foto: Ombre indigène“ Foto: Edith Dekyndt

Von Hajo Schiff

Es ist eine kühle Ausstellung. Und das nicht nur, weil die zentrale Installation im weiträumig ohne Zwischenwände bespielten Kunsthaus Hamburg aus Eistruhen und Kühlschränken besteht. Edith Dekyndt hat sie, wie das meiste andere Material, von den Recyclinghöfen im nahegelegenen Billbrook geholt. Die belgische Künstlerin ist die zehnte Preisträgerin des seit 20 Jahren vom Kulturkreis Finkenwerder vergebenen Kunstpreises. Der ist mit beachtlichen 20.000 Euro dotiert, die die Firma Airbus Operations finanziert.

Aber Edith Dekyndt referiert nicht so sehr auf Hamburgs herausragende Luftverkehrswirtschaft, sondern auf den Hafen als Umschlagplatz zwischen den sehr unterschiedlichen Ländern des „Nordens“ und des „Südens“ samt Wohlstandsgefälle zwischen diesen Welten. Denn obwohl die Materialsprache eher minimalistisch ist und mit der Schönheit der Gebrauchsspuren, der Ermüdung und des Verfalls arbeitet, steht hinter all dem ein ortsbezogen ökonomischer, kolonialer und postkolonialer Diskurs.

Die im Ausstellungstitel „The White, The Black, The Blue“ genannten Farben sind in Form von verblichenen Stoffresten in drei Vorratsgläsern in Gelee eingelegt. Wie letzte vergessene wissenschaftliche Präparate stehen sie auf einem ansonsten leeren 10-stöckigen Regal und harren immer wieder neuer Interpretation. Vielleicht gar der, sie auf die vor dem Fenster auf der anderen Straßenseite im Abbruch befindlichen City-Hochhäuser zu beziehen – einst weiß, jetzt grau und schwarz. Ganz allgemein und in dieser Ausstellung im Besonderen ist die Sicherheit eindeutiger Zeichen, die Gewissheit nützlichen, ungefährlichen und gerechten Gebrauchs verloren.

Verschattet durch eine blaugrau-weiße, verschlissene Markise weht eine schwarze, noch viel zerschlissenere Fahne im Wind. Der Titel des auf der bis heute zu Europa gehörenden Karibikinsel Martinique gedrehten Film-Loops weist aber weit über Formales hinaus: „Ombre Indigène“, in etwa übersetzbar mit „Schatten des Einheimischen“, zeigt ein Objekt aus schwarzen Haaren kreolischer Frauen. Und das markiert, wie dem Saalzettel zu entnehmen ist, flatternd den Ort, an dem 1830 ein Sklavenboot Schiffbruch erlitt und an dem nicht weit entfernt Edouard Glissant, ein Vordenker der postkolonialen Kulturtheorie, begraben ist.

Im Licht derartig weitgefasster Bezüge verändert sich auch der Eindruck der zentralen auf einem Glassplitterteppich aufgebauten Kühlgerätelandschaft, über der ein blassblauer Dampf schwebt und die mit martialisch polternden Geräuschen einer Nutzung für ein „Parcours“-Sport-Training unterlegt ist.

Zu Tode amüsiert

Denn deren schön barocker Titel ist: „Die Natur des Nordens in der ganzen Schönheit ihrer Schrecken“. Das meint nicht nur das Eis aus schwarzer Tinte, das in der einzigen angeschlossenen Truhe zu sehen ist, sondern auch die Tatsache, dass der reiche Norden seine Altgeräte in hunderten von Containern irgendwo in den „Süden“ transportiert, auf dass sie dort „entsorgt“ werden – unter durchaus besorgniserregenden Bedingungen.

Und es bezieht sich auf die nahe Kunsthalle mit den Eisschollen-Studien von Caspar David Friedrich. Denn der hatte von einem Sammler 1820 die letztlich nicht gänzlich ausgeführte Kommission erhalten, ein Symbolbild des Nordens zu malen, sein Kollege Johann Martin von Rohden sollte das südliche Pendant erstellen.

Schlichte Methoden, weitreichende Bezüge: Edith Dekyndt, Courtesy Pinault Collection. Foto: Maxime Tétard/Studio Les Graphiquants

Und so gibt auch Edith Dekyndt „Die südliche Natur in ihrer üppigen und majestätischen Pracht“: Bei ihr ist es ein Glaskasten mit schwarzem Samt, in dem gewärmt durch ein unterlegtes Heizkissen die Feuchtigkeit kondensiert, eine Versuchsanordnung zu einem Tropenklima en miniature.

Dekorativ und nützlich, auch raumgestaltend plastisch: Stoffe sind eines der Lieblingsmateria­lien von Edith Dekyndt. Auf einem Ledersofa liegen nasse Putzlumpen, wenigstens malerische Wasserflecken entstehen bei dieser seltsam widersinnigen Konfrontation von Dingen. Und der große, den Eingangsraum neu bestimmende Vorhang aus Baumwolle ist von unten durch Kapillarwirkung mit Kaffee getränkt – zwei im „Norden“ begehrte Rohstoffe treffen sich, die normalerweise, ob auf dem Transport oder im Haus, besser getrennt zu halten sind.

Ein Vorhang wurde auch in einem weiteren Teil der Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle installiert – sogar für ein ganzes Jahr. In der alten Fo­yerhalle der Galerie der Gegenwart scheint in kurviger Linie ein schillernder Samt die streng quadratische Rasterung des Ungerschen Baus zu durchdringen und zu beleben. Aber die glitzernden Elemente sind mitnichten Pailletten, es sind Stahlnägel.

„They Shoot Horses, Don’t They“ nennt Edith Dekyndt diese Arbeit nach dem Roman von Horace McCoy und dem Hollywood-Klassiker „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“. Hier zeigt ein Video mit Archivaufnahmen den Bezug auf die sogenannten „Tanzmarathons“, bei denen während der Weltwirtschaftskrise in den 1920er-Jahren in den USA dasjenige Paar prämiert wurde, das als Letztes die physischen und psychischen Herausforderungen eines nicht enden wollenden Dauertanzes überstehen konnte: Eine kleine Erinnerung an brutale Unterhaltung, eine Mahnung, die auch heute mit Problemen volle Welt nicht nur zu nutzen, um sich zu Tode zu amüsieren.

Bis 4. August, Kunsthaus Hamburg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen