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„Wir sind praktisch eingesperrt“

Reham Owda arbeitet unter schwierigen Bedingungen als Journalistin im Gazastreifen. Sie hofft auf demokratische Wahlenund eine politische Lösung des palästinensisch-israelischen Konflikts

Reham Owda vor dem neuen taz Verlagshaus, Friedrichstraße Foto: Anja Weber

Interview Andreas Lorenz

taz Panter Stiftung: Frau Owda, wie informieren sich die Menschen im Gazastreifen? Welche Zeitungen gibt es, welche Radio- und TV-Sender?

Reham Owda: Die wichtigste Informationsquelle sind die sozialen Medien. Wir sind längst im Internetzeitalter angekommen, wir schauen nicht mehr so viel Fernsehen, allenfalls den Sender Al-Jazeera, der internationale Nachrichten ausstrahlt. Die meisten Menschen erhalten ihre Nachrichten über Plattformen im Internet.

Sind die unabhängig oder folgen sie einer politischen Bewegung?

Sie sind unabhängig, die Journalisten sind es auch, mehr oder weniger. Es gibt aber auch Webseiten wie die Shihab-Agentur, die zur Hamas gehört.

Hören die Palästinenser kein Radio?

Doch, natürlich. Al-Aqsa-Radio gehört zur Hamas, al-Sha’ab zur Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), al-Qudes zum Islamischen Jihad. Sie senden vor allem, wenn der Strom ausgefallen ist, sie haben Stromgeneratoren, wir Smartphones oder Batterieradios.

Sie selbst sind freie Journalistin …

Richtig, Ich arbeite für eine Webseite in den Niederlanden. Außerdem schreibe ich für einige einheimische Webseiten und für ein politisches Magazin. Ich analysiere Politik auch für internationale Medien, etwa für den arabischen Dienst der BBC.

Hatten Sie in den letzten Jahren Probleme wegen Ihrer Berichterstattung mit den Behörden?

Ehrlich gesagt: nein. Ich versuche immer, objektiv zu sein. Ich habe bislang nicht heikle politische Themen angepackt. Das hat mich wohl vor Problemen bewahrt.

Wenn Sie bestimmte Themen nicht anfassen, dann haben Sie die Schere im Kopf …

Ja, es gibt eine Selbstkontrolle, Selbstzensur. Denn wenn Sie über heikle Sicherheitsfragen berichten wollen, brauchen Sie eine Erlaubnis des öffentlichen Pressebüros. Sie müssen sich mit einem Beamten treffen und das Thema besprechen.

Und wenn Sie das nicht machen?

Dann werden Sie zu einem Gespräch eingeladen. Fragen der Sicherheit im Gazastreifen gelten als sehr heikel.

Gibt es Journalisten, die gegen die Regeln verstoßen?

Ja. Aber man braucht gute Verbindungen, muss sich abstimmen. Nur so kann man solche Verhöre vermeiden.

Wie würden Sie die Arbeitsbedingungen für Journalisten im Gazastreifen beschreiben?

Als nicht so einfach. Wenn Sie keine guten Verbindungen, keine Freunde in den Behörden, keine Beziehung zu einem hohen Politiker besitzen, kann die Lage schwierig werden. Außerdem sollten Sie Mitglied der Journalistengewerkschaft sein, die kann Sie im Ernstfall rauspauken.

Konnten sich die Bewohner in Gaza über die jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Hamas und den Israelis informieren?

Ja. Es gab alle Informationen. Wie viele Raketen haben die Hamas, wie viele die Israelis abgeschossen, wie viele Tote und Verletzte gab es auf beiden Seiten …

Wenn Sie in einem Kommentar schrieben, Hamas solle aufhören, israelisches Gebiet zu beschießen. Was würde passieren?

Ich würde kritisiert werden. Hamas würde sagen: Wir haben unsere guten Gründe, so etwas zu tun. Wir wollen die Blockade des Gaza-Streifens beseitigen. Ich kann den Standpunkt beider Seiten wiedergeben.

Reham Owda

41, ist palästinensische Journalistin in Gaza-Stadt. Sie hat sich mit ihren politischen Kommentaren und Analysen international einen Namen gemacht. 2017 wurde sie von der „Vereinigung kreativer Frauen“ in Gaza als erste Frau im Berufsfeld „Politische Beobachterin“ ausgezeichnet.

Das Problem für Sie ist eher, dass Sie den Gazastreifen nicht leicht verlassen können.

Richtig. Wir sind praktisch eingesperrt. Wir haben nur zwei Ausgänge. Erez zur Westbank, der nicht immer offen ist. Zudem braucht man eine Erlaubnis. Rafah nach Ägypten war lange Zeit geschlossen. Erst kürzlich hat Ägypten ihn auf internationalen Druck hin geöffnet.

Frei reisen können die Palästinenser allerdings nicht.

Nein, sie müssen sich in lange Reiselisten eintragen und einen besonderen Grund angeben: etwa ein Studium im Ausland oder, wie ich, eine Einladung nach Deutschland. Dann muss man 16 Stunden mit dem Bus durch den Sinai zum Flughafen Kairo fahren.

Glauben Sie, dass es eines Tages eine politische Lösung des Konflikts geben wird?

Ja, wenn wir Palästinenser die interne Spaltung zwischen Hamas und Fatah aufgeben. Wenn nach demokratischen Wahlen Hamas die Macht wieder an die Palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah zurückgibt. Dann könnte man mit Israel über eine friedliche Lösung verhandeln.

Wie ist die Stimmung unter Ihren Landsleuten?

Sie haben die Nase voll. Sie wollen nicht mehr unter dieser Spannung leben, sie wollen eine neue Regierung, sie wollen Frieden. Unschuldige Kinder und Zivilisten sterben durch israelische Bomben. Ich habe Angst um meine Familie, auch um mich persönlich. Es geht bei uns ja immer um Leben und Tod

In Berlin haben Sie Ihre Bewegungsfreiheit genossen …

Ja. Ich habe Museen besucht, ich habe das Schloss Charlottenburg besichtigt, Sanssouci in Potsdam, die Mauer-Gedenkstätte. Und ich bin zum Beispiel nach Tschechien und Italien gereist. Man braucht nur seinen Pass zu zeigen, niemand stoppt einen. Man fühlt: In Europa herrscht wahrer Frieden. Die Menschen sind nicht nervös, im Unterschied zu uns müssen sie nicht um ihr Leben fürchten. Ich habe den Aufenthalt hier sehr genossen.

Andreas Lorenz hat viele Jahre für den „Spiegel“ und zahlreiche Tageszeitungen als Auslandskorrespondent berichtet. Seit 2014 ist er Kuratoriumsmitglied der taz Panter Stiftung und betreut das Refugiumprojekt.

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