: „Machen Sie es gut“
Nüchterner Abschied von Andrea Nahles. Erst einmal führt ein Übergangs-Trio die SPD. Weitere Entscheidungen erst Ende Juni
Hilde Mattheis, SPD-Linke
Von Stefan Reinecke
Um viertel vor elf ist alles vorbei. Andrea Nahles steht im blauen Hosenanzug im zugigen Gang des Willy-Brandt-Hauses und lächelt in die Kameras. „Ich habe mich gerade eben im Parteivorstand der SPD verabschiedet. Ich bin zurückgetreten. Machen Sie es gut“, sagt sie den Journalisten und geht.
Im Parteivorstand hielt sie zuvor „eine bewegende Rede, die alle berührte“, so die neue kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer, die mit Thorsten Schäfer-Gümbel und Manuela Schwesig für den Übergang die SPD führt. Dieser Abgang ist ein doppeltes Zeichen: Der Parteivorstand tagt bis Mittag weiter, ohne sie. Nahles ist endgültig raus und legt keinen Wert darauf, von dem kommissarischen Parteivorstand mit Blumen und warmen Worten vor Kameras verabschiedet zu werden. Das tut sie sich nicht an.
Aber Nahles verschwindet auch nicht wortlos wütend einfach durch die Hintertür, wie seinerzeit Kurt Beck. Der wurde 2008 am Schwielowsee als Parteichef aus dem Amt gemobbt. Schwielowsee ist seitdem die Metapher dafür, wie erbarmungslos es in der SPD zugeht. Das unscharfe Foto von Beck, der eilig in einer Limousine verschwand, war das Symbol für die Intrige. Nahles hinterlässt kein solches Bild. Kein sentimentales, kein zorniges.
Nahles war eine Architektin der aktuellen Großen Koalition. Große Teile der SPD-Basis wollten nicht in die Regierung Unermüdlich bearbeiteten Nahles und ihre Mitstreiter damals die unwilligen GenossInnen. Die fürchteten, dass die Rolle an Merkels Seite in den Abgrund führt. So ist es ja auch gekommen.
Auf dem Parteitag in Bonn im Januar 2018 gab Nahles’ Rede vielleicht den Ausschlag, dass die Delegierten doch Ja zu Koalitionsverhandlungen sagten. Die SPD müsse, so Nahles damals, Politik für die „kleinen Leute“ machen, anstatt sich in der Opposition zu verkriechen. Nahles’ Auftritt war ein Moment, in dem das Pathos sozialdemokratischer Sinnstiftung und kühler Machtpragmatismus in eins fielen. Es war das letzte Mal. Die Prognose, dass kleinteilige Fortschritte bei Rente oder Sozialem das Publikum mit der SPD versöhnen würden, war falsch.
Am Tag eins nach dem Rückzug wirkt die SPD noch immer etwas benommen. Manche zaubern Vorschläge aus dem Hut. So will der sächsische SPD-Chef Martin Dulig eine Doppelspitze, am besten von der Basis gewählt. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil hat schon mal für die Parteiführung abgesagt – Vizekanzler Olaf Scholz auch, angeblich aus Zeitgründen. Eine eher überflüssige Absage: Miserable Ergebnisse für Scholz gehören zur Folklore von SPD-Parteitagen. Schnell geht in Sachen Parteispitze bei der SPD nichts. Am 24. Juni wird der Parteivorstand den Zeitplan beschließen. Nämlich, wann ein Parteitag einberufen wird, der die neue Spitze wählt. Vielleicht. Denn es kann auch eine Urwahl geben und eine Doppelspitze. Zudem wird an dem Tag die Strategie der SPD in Sachen Groko debattiert.
Die SPD, so der Tenor des Trios, sei vertragstreu. Oder, so Dreyer etwas gedrechselt, man werde am 24 Juni „entscheiden, wie wir das Verfahren der Überprüfung der Halbzeitbilanz“ angehen. Schäfer-Gümbel sieht, etwas zu heiter für diesen Tag, in Nahles’ Abgang schon „eine Chance für einen Neuanfang“. Auch Unterbezirks- und Bezirksvorsitzende sollen in den nächsten drei Wochen mitreden, so Schäfer-Gümbel.
Die kommissarische Führung, von denen keiner für den Spitzenjob kandidieren will, soll beruhigen. Die SPD-Fraktion wird ab Dienstag der als verbindlich geltende Außenpolitikexperte Rolf Mützenich für den Übergang leiten. Das Signal der Übergangslösungen: Vertrauen herstellen und bloß keine sofort wieder aufflackernden Machtkämpfe.
Eine, die Nahles’ Kurs 2017 scharf bekämpft hatte, ist die SPD-Linke Hilde Mattheis. Auch Mattheis, sonst immer Abteilung Attacke, rät zur Vorsicht. „Die Situation ist fragil“, so die 64-Jährige zur taz. Das kommissarische Trio müsse nun den Ablauf organisieren. „Jetzt Vorschläge rauszublasen“, wer es werden soll oder wie die Wahl vonstattengeht, hält sie nicht für sinnvoll. Auch die Kritik an der Groko, die sie Anfang 2018 zu verhindern suchte, klingt verhalten. Man dürfe nichts überstürzen und solle an dem Fahrplan im Grunde festhalten. Im Koalitionsvertrag ist fixiert, dass die Parteien zur Halbzeit überprüfen, wie weit die Regierung gekommen ist.
SPD-Linke wie Mattheis wollen den Bundesparteitag, der für Dezember geplant ist, vorziehen. Drei Landesverbände – Bayern, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt – haben das beantragt. „Der Parteitag ist der Ort, um über die Große Koalition zu entscheiden“, so Mattheis. Auch Kevin Kühnert klingt schon in Sachen Groko-Kritik verhalten. Auf dem politische Grab von Nahles zu tanzen würde einen miesen Eindruck machen. Die linken Groko-Gegner leitet die Einsicht, dass nun vor allem „ein transparentes Verfahren“ (Mattheis) wichtig ist.
Die beiden Linien, an denen die SPD die Koalition scheitern lassen könnte, sind allerdings auch schon gezogen: das Klimaschutzgesetz und die Grundrente. Beides blockiert die Union. CDU Chefin Kramp-Karrenbauer erklärte am Montag, man könne gern über die Grundrente reden. Aber nur mit Bedürftigkeitsprüfung. Die sieht der SPD-Gesetzentwurf nicht vor.
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