: Spiel mit Bischofsstab
Randständiges in Serie (3): Lacrosse, einst von Indianern erfunden, ist ein unerwartet deftiger Kampfsport mit filigranen Künsten am Ball
Aus Aachen Bernd Müllender
Lacrosse, 1. Bundesliga West der Frauen, letzter Spieltag. VfL 05 Aachen gegen die Mainz Musketeers, Kellerduell: Es geht darum, wer den Klassenerhalt schafft und wer in die Relegation muss. Aachen braucht einen Sieg mit sieben Toren Differenz.
Das Spielzeug ist gelb, aus Hartgummi und knapp tennisballgroß. Die Schläger, Sticks genannt, mit dem Pocket obendran, dem Fangkörbchen, sind zwischen gut 1 Meter und 1,83 Meter lang. Gespielt wird auf einem Kunstrasen-Fußballplatz, die Tore von winzigen 1,83 mal 1,83 Metern stehen jeweils in der Nähe der Strafraumlinie, so kann wie beim Eishockey auch dahinter gespielt werden. Es geht 10 gegen 10; Besonderheit: Immer drei Spieler müssen in der eigenen Hälfte bleiben. Der Ball darf beliebig lange im Pocket getragen werden, ansonsten gepasst und aufs Tor ge-, ja was: geworfen, geschossen, geschleudert, gepocketet? Egal: Hauptsache, rein in die Kiste.
Lacrosse ist in den USA und vor allem in Kanada sehr populär, heute dort zum Teil Profisport. Es wurde von amerikanischen Ostküstenindianern erfunden und war 1904 und 1908 sogar olympisch. Erstmals in Europa erwähnt wurde es im 17. Jahrhundert von einem französischen Jesuitenmissionar. Er nannte es wegen der Spielstäbe La Crosse, übersetzt: Bischofsstab.
Die neun Spielerinnen pro Team tragen obligatorischen Mundschutz, manche einen speziellen Augenschutz, die Goggle-Brille. Das Fang-Pocket der teilgepanzerten Torhüterin ist pizzagroß. Drumherum reichlich Gekreische der Reservespielerinnen (es wird ständig fliegend gewechselt) und vielleicht zwei Dutzend Fans. Einmal schreitet die Schiedsrichterin ein: Anfeuern ja, aber bitte keine abfälligen Gesänge über die Gegner, man sei nicht beim Fußball, sagt sie streng, sonst könne es sogar Zeitstrafen geben. Die Gesänge klingen offenbar wie Musik: Von draußen kommt die Meldung, Nachbarn hätten sich beschwert, die Musikanlage solle leiser gedreht werden. Großes Gelächter.
Halbzeit: 5:5, weil die Mainzerinnen eine vorzügliche, zudem sehr voluminöse Torhüterin dabei haben. Aachens US-Trainer Niles fordert in der Pausenansprache „more pressure“ und „more to the dome“. Ist in der Bischofsstadt der Dom stets das Ziel, selbst der Lacrosserinnen mit den Bischofsstäben? Nein, sagt Viktoria (23), Dome heiße einer der einstudierten Spielzüge.
Aachen führt bald, Dome sei Dank. Beim Wechseln schreit eine: „Los, wir brauchen nur noch sechs, und die sind müde!“ Eine Mainzerin kriegt wegen Rüpelei sogar eine Zeitstrafe, trotzdem reicht es dem VfL nur zum 12:9-Sieg.
Wir sind mit einer Gruppe Kicker der ehemaligen Bunteliga-Legende Partisan Eifelstraße vor Ort. Bevor an diesem Doppelspieltag die Männer dran sind, schnappt sich Torwart Toni einen Schläger und fängt die zugeworfene Kugel souverän im ersten Versuch. „Tja“, freut er sich, „als Torwart weiß man halt, wie das geht.“ Toni kann seine Fangkünste erklären: In seiner ersten WG seien zwei Zwergfinken dauernd aus der Voliere ausgebüxt. „Und ich musste sie mit dem Käscher des Aquariums immer wieder eingefangen.“ Die Tiere bringen uns zu einem Vergleich: Lacrosse ist wie dynamisches Schmetterlingfangen als Mannschaftssport. Bei den Männern des VfL gegen den SC Frankfurt 1880 geht es noch einmal ganz anders zur Sache. Weil die Regeln das erlauben. Bei den Frauen, erklärt Viktoria, pfeifen die drei Referees alles ab, was gefährlich ist, bei den Männern erst, was verletzungsgefährdend sein könnte. Also wird hier teils wüst gecheckt, gerempelt, gerauft, gefightet. Das sei wie Feldhockey hier, Eishockey dort, vergleicht unsere Analystin. Die Männer tragen auch Helme. Zwischendurch verblüffend präzise Steilpässe in Günter-Netzer-Länge. Die Würfe aufs Tor erreichen bis zu 120 Stundenkilometer, manchmal schnellt die Pizzatasche noch hoch. Da staunt nicht nur der Toni.
Aachens Männerteam ist sicherer Dritter der Bundesliga. „Es geht um ein gutes Gefühl für die Playoffs“, sagt einer vorher. Der Gegner würde bei einem Sieg noch Staffelsieger. Nach dem ersten Viertel steht es saftig 0:8; einem Frankfurter gelingt dabei ein spektakuläres Tor wie ein Kempa-Trick im Handball: hoher Pass vors Gehäuse, im Sprung fangen und rein das Ding. 0:8 muss nichts heißen beim Lacrosse, am Ende wird es tatsächlich noch spannend, Frankfurt gewinnt soeben 14:12. Die einen können den West-Titel feiern, die anderen mit einer fast schönen Niederlage gute Gefühle aufbauen.
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