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Werkstatt für Film und Musik

Hierarchien auflösen: Bei der ersten Ausgabe des Howling Wolf Festivals geht man immer gleichzeitig auf ein Konzert und ins Kino

Von Andreas Hartmann

Im Zusammenspiel von Film und Musik ergibt sich im Normalfall immer eine dienende Funktion entweder für den Film oder eben für die Musik. Die klassisch eingesetzte Filmmusik soll Bildeffekte unterstreichen, Spannung erzeugen, das visuelle Geschehen akustisch interpretieren. Außer im expliziten Musikfilm dominiert sie im Normalfall das für die Leinwand konzipierte Gesamtkunstwerk nicht. Im Popmusik-Video, das es auch nach dem MTV-Zeitalter noch gibt und das so eine Art Kurzfilm ist, läuft es dagegen umgekehrt. Hier ist die Musik vorgegeben, auf die die Bilder zu reagieren haben.

Beim „Howling Wolf – Festival für Film-Musik-Performance“, das nun ganze zwei Monate lang stattfinden wird, sollen derartige hierarchische Verhältnisse aufgelöst werden. Die gezeigten Filme sind auf einer Ebene mit der dazu präsentierten Musik. Man geht hier immer auf ein Konzert und ins Kino gleichzeitig.

Das Neuköllner Kino Wolf hat sich diesen Hybrid aus Musik- und Kinofestival ausgedacht. Sechs Filme werden gezeigt, zu denen sechs Musiker*innen Acts performen werden. Die Musiker*innen haben sich die Filme, zu denen sie konzertieren oder zumindest Klänge produzieren, nicht selbst ausgesucht, sondern die drei Kuratoren des Wolf-Kinos haben sich die jeweiligen Konstellationen ausgedacht.

Dass dann FM Einheit, der berühmte Schlagwerker aus den frühen Jahren der Band Einstürzende Neubauten, sich tatsächlich mit seinem Lieblingsfilm auseinandersetzen darf, das sei reiner Zufall, so Daniel Roth, einer der Kuratoren. Der Geräuschemacher FM Einheit bekommt Dsiga Wertows Stummfilmklassiker „Der Mann mit der Kamera“ aus dem Jahr 1929 vorgesetzt, einen Film, den FM Einheit in- und auswendig kenne, wie er den Leuten vom Wolf-Kino mitgeteilt habe.

Doch auch einen Lieblingsfilm akustisch zu interpretieren, ist eine Herausforderung. FM Einheit wird sich den bahnbrechenden Dokumentarfilm von Wertow noch weitere zig Mal ansehen, sich das Werk als Musiker förmlich erarbeiten. Und wie er das genau macht, auch diese Arbeit zu zeigen, gehört mit zum experimentellen Festivalkonzept.

So wird es bei FM Einheits Film-Musik-Performance, wie bei allen Veranstaltungen auf dem Festival, zwei Tage vorher eine öffentliche Probe geben. Arbeitsprozesse sollen also gezeigt werden, das Festival bekommt so einen Werkstattcharakter. „Wahrnehmungen schärfen, mal genauer hinsehen“, das soll das Publikum, so Daniel Roth, dem nichts weniger vorschwebt, als mit seinem Festival das „Kino als Erlebnisort“ neu zu definieren.

Auch ein Scheitern ist letztlich denkbar. Aber genau so soll das sein. Kunst ist auch das Ergebnis von Arbeit und manchmal gelingt diese eben einfach mal nicht. Falls sich in dem einen oder anderen Fall Bilder und Töne nicht wirklich verbinden lassen, sieht man, so Daniel Roth vom Wolf-Kino, „halt einfach einen guten Film“.

Kunst ist Arbeit. Auch ein Scheitern ist letztlich denkbar. Aber genau so soll das sein

Das Spannende an der ganzen Veranstaltung ist also sicherlich, dass nicht einmal die Kuratoren selbst wissen, was genau bei dieser zu hören und letztlich auch zu sehen sein wird. FM Einheit bekommt es mit einem Stummfilm zu tun, die anderen Filme jedoch haben eine eigene Tonspur. Ob die Musiker auf diese hin- und wieder zurückgreifen, bleibt ganz ihnen überlassen, so Roth. Und welcher Art die Musik genau sein wird, wisse er auch noch nicht, das wissen die Musiker vielleicht selbst noch nicht.

Die Film-Musik-Kombinationen des Festivals lesen sich freilich rein auf dem Papier ziemlich aufregend. Das Berliner Avantgarde-Ensemble Kaleidoscop trifft beispielsweise auf Chantal Akermanns Experimentalfilm „D’est“. Und die große Stella Chiweshe, die Königin der Mbira aus Simbabwe, bekommt es mit James Bennings Filmmeditation „11*14“ zu tun. „Wir wollten musikalisch ein möglichst breites Spektrum“, so Daniel Roth. Diesen Anspruch zu erfüllen, das ist ihm und den anderen Kuratoren sicherlich gelungen.

Originell ist auch die Wahl des Festivalortes. Eigentlich war das zweimonatige Programm für das Kino Wolf konzipiert. Doch dann gab es Probleme mit den Nachbarn. Zu hohe Lautstärke, das haben Veranstaltungen im Wolf zuletzt gezeigt, käme bei diesen nicht so gut an. Also zieht man für das Festival raus aus der Weserstraße in die unmittelbare Nachbarschaft, in den Veranstaltungsraum der Guttempler in der Wildenbruchstraße. „Alkohol wird es hier jedenfalls keinen geben“, so Daniel Roth – die Guttempler sind schließlich ein Anti-Sucht-Verein.

„Howling Wolf – Festival für Film-Musik-Performance“: Kino Wolf, Weserstraße 59 & Guttempler, Wildenbruchstraße 80, 1. 6. bis 31. 7., Programm: www.wolfberlin.org

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