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„Bibi“ läuft die Zeit davon

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist es noch nicht gelungen, eine Regierung zu bilden. Nun mobilisiert die Opposition die Massen. Eine Neuwahl wird wahrscheinlicher

Von Susanne Knaul

Bis Mittwoch um Mitternacht muss Benjamin Netanjahu eine Koalition zusammengestellt haben. Das größte Hindernis für Israels amtierenden Regierungschef, der nach der Parlamentswahl im April erneut mit der Regierungsbildung beauftragt wurde, heißt Avigdor Lieberman – ehemals Verteidigungsminister und Chef der national-weltlichen Partei Israel Beitenu.

Gleiche Rechte und gleiche Pflichten, so lautet Liebermans Motto. Hartnäckig fordert er, dass auch ultraorthodoxe Juden zum Wehrdienst eingezogen werden. Das ist schwer vereinbar mit den Forderungen der ultraorthodoxen Parteien Schass und Vereintes Tora-Judentum. Beide machen Erleichterungen für die jungen frommen Männer zur Bedingung für ihre Beteiligung an einer Koalition. Und beide braucht Netanjahu für eine Regierungsmehrheit. Sollte er bis Mittwoch keine Ergebnisse erzielen, will Netanjahu Neuwahlen vorantreiben.

Die Opposition kann schon jetzt jubeln. Am Samstagabend gelang es den Verlierern der Wahl, die Massen gegen Netanjahu zu mobilisieren. Zigtausende drängelten sich vor dem Tel Aviver Museum, um ihrer Sorge um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Israel Luft zu machen und gegen den amtierenden Regierungschef zu protestieren, dem drei Korruptionsverfahren drohen. Netanjahus einzige Chance, den Gerichtsprozessen zu entkommen, ist eine erneute Amtszeit als Regierungschef – gepaart mit einer Gesetzesreform, die ihm Immunität verschaffen würde. Netanjahu steht unter dem Verdacht des Betrugs, der Korruption und des Vertrauensbruchs.

Trotz der Vorwürfe hatte Netanjahus Likud-Partei bei der Parlamentswahl ein Unentschieden mit dem Oppositionsbündnis Blau-Weiß des ehemaligen Generalstabschefs Benny Gantz erreicht. Beide Parteien erhielten jeweils 35 der insgesamt 120 Sitze des Parlaments. Weil das rechte Lager eine Mehrheit der Sitze hält, beauftragte Staatspräsident Reuven Rivlin Netanjahu mit der Regierungsbildung.

Doch nun kann die Opposition erneut hoffen. Seit den Sozialprotesten vor sieben Jahren hat es in Israel keine so umfangreiche Protestaktion gegeben wie an diesem Wochenende. „Die Demonstration macht der Periode nach der Wahl ein Ende, in der die Opposition in ein Koma gefallen zu sein schien“, schrieb der Analyst Chemi Schalev in der Tageszeitung Haaretz. Sämtliche Parteien der Mitte und links davon, darunter auch die israelisch-arabischen Listen, waren vertreten. „Es gibt jemanden, der die Demokratie durch eine De-Facto-Autokratie ersetzen will“, rief Benny Gantz.

Das Immunitätsgesetz ist nur ein Kritikpunkt. Den Parlamentariern liegt darüber hinaus ein Reformvorschlag zur Abstimmung vor, der dem Obersten Gerichtshof die Macht nehmen würde, verfassungswidrige Gesetze aufzuheben. Viele der Demonstranten am Samstag zogen Parallelen zwischen Netanjahu und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Der Likud reagierte auf Facebook auf die „Demonstration der Linken“, in deren Verlauf der „Terrorunterstützer Aiman Odeh“, Chef des arabisch-antizionistischen Bündnisses Chadasch-Ta’al, eine Rede gehalten und dafür „von Benny Gantz den Segen“ erhalten habe.

Sollte Netanjahu mit der Regierungsbildung scheitern, könnte Rivlin als nächstes Gantz beauftragen. Dessen Chancen, die Orthodoxen zur Kooperation zu bewegen, sind allerdings miserabel. Blau-Weiß steht nicht nur für die Wehrpflicht der Frommen, sondern propagiert auch öffentlichen Verkehr am Sabbat und liberale Familienrechte für LGBTQ.

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