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„Gegen jeden Versuch der Uniformität“

Das Bündnis Die Vielen ruft am Sonntag zur Demo „Unite and Shine“ auf. Es geht um die Verteidigung alter Selbstverständlichkeiten wie die Freiheit der Kunst und Solidarität unter Kulturschaffenden. Ein Gespräch mit dem Koordinator der Vielen in Berlin, Christophe Knoch

Interview Susanne Messmer

taz: Herr Knoch, wann ging das eigentlich genau los mit dem Bündnis Die Vielen?

Christophe Knoch: Im Frühjahr 2017. Damals hatte das Theaterhaus Gessnerallee in Zürich erst nach Protesten zahlreicher Theater- und Kulturschaffender aus Deutschland eine Podiumsdiskussion mit dem Philosophen und AfD-Ideologen Marc Jongen abgesagt. Der Titel der Veranstaltung lautete „Die neue Avantgarde“. Sie hatten das gar nicht kontextualisiert, sondern diese extrem rechten Position als Teil des Diskurses gesetzt, den man jetzt nun mal führen muss.

Warum der Name?

Wir sind viele, jede und jeder Einzelne von uns! Die Vielfältigkeit ist das Wichtige. Und damit stellen wir uns gegen jeden Versuch der Uniformität und Reduzierung auf eine einzige Erzählung der Wirklichkeit. Die Reaktion der Rechten ist, wir hätten hier eine Diktatur der Wenigen, welche Mehrheiten ausschließt. Oder wir wären die Diktatur der Mehrheit, die die Minderheit ausschließt. Der einzige Ausschluss aber, der in der Erklärung der Vielen steht: Wir wollen Rechtsextremismus und Nationalismus kein Podium geben. Jeder, der sich da ausgeschlossen fühlt, ist herzlich eingeladen, draußen zu bleiben. Alle anderen, auch konservative Positionen, sind nicht ausgeschlossen. Darum ist die Erklärung ja auch eher brav: Wir haben Ziele, bei denen sich viele angesprochen fühlen sollen.

Und ist das aufgegangen?

Sehr. Inzwischen haben über 1.800 Institutionen die 28 Erklärungen der Vielen gezeichnet! Das ist eine enorme Zahl. Auch bei den Demonstrationen tauchen überall die goldenen Fahnen auf. Und es war für alle recht überraschend, wie fröhlich das war und wie gut diese goldenen Fahnen funktioniert haben.

Sie meinen die Rettungsdecken aus dem Erste-Hilfe-Kasten?

Ja, genau. Als wir uns für dieses Wiedererkennungszeichen entschieden, war uns gar nicht bewusst, dass die Farbe Gold in der deutschen Flagge von den Faschisten immer wegdiskutiert worden ist, denn Schwarz, Rot und Gold stehen ja für Einigkeit, Freiheit und Demokratie. Die Nazis hatten kein Gold mit dabei.

Wann entstand die Erklärung der Vielen?

Unite and Shine

„Ein Europa für Alle – Deine Stimme gegen Nationalismus“ – unter diesem Motto finden am Sonntag, 19. Mai, im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament, Großdemonstrationen in sieben deutschen und 42 europäischen Städten statt – auch in Berlin. Die Auftaktkundgebung beginnt um 12 Uhr auf dem Alexanderplatz.

Das Bündnis Die Vielen setzt sich seit 2017 gegen rechtsextreme Positionen und für die Freiheit der Kunst ein. Am Sonntag laufen sie, begleitet von Lesungen und Livemusik, unter dem Motto „Unite and Shine“ durch Berlin. Der Start ist um 12 Uhr am Rosa-Luxemburg-Platz.

Am 9. November 2018 haben wir vier Erklärungen veröffentlicht. Eine aus Berlin, eine aus NRW, eine aus Hamburg und eine aus Dresden. Mittlerweile sind es 24, also wirklich viele, und alle sind sehr unterschiedlich: Manchmal sind es Städte, Bundesländer, manchmal Regionen. Es gibt Erklärungen aus Celle, Oldenburg und Göttingen zum Beispiel – und dann noch eine aus Niedersachsen. Wir haben eine Erklärung aus Mannheim, Esslingen, bald wird es eine aus Lörrach geben.

Warum ist das so wichtig?

Unser Ziel ist es, den Mitgliedern den Schutz und die Kraft zu geben, dass sie sich, falls sie Störaktionen, Hassmails, Einschüchterungsversuchen oder Einflussnahmen von rechts ausgesetzt sind, nicht alleingelassen fühlen. Es gab immer wieder genug Anfechtungen, die ja auch durch die Presse gingen: Mitglieder der rechtsextremen Identitären Bewegung stören mit Zwischenrufen Diskussionen im Berliner Gorki Theater. In Dessau sagt Bauhaus ein Konzert der linken Punkband Feine Sahne Fischfilet ab. In Thüringen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen das Zentrum für Politische Schönheit. Wir haben Mitte Dezember 2018 eine E-Mail-Adresse eingerichtet, vorfall-doku@dievielen.de, wo man sich melden kann – auch bei weniger öffentlichkeitswirksamen Vorfällen.

Wie viele Meldungen kommen denn da?

Bislang sind es mehr als 70 Mails. Ich finde es schon viel, wenn zwei pro Woche kommen.

Und zeichnet sich bereits ab, was das Hauptproblem ist?

Ich persönlich halte die AfD nicht für das Hauptproblem, sondern nur für ein Symptom. Man sieht es beim Bauhaus Dessau. Da gibt es Anfeindungen aus dem außerparlamentarischen Bereich und die Leiterin des Bauhauses Dessau bittet die große Politik um Hilfe. Anstatt zu sagen, die Freiheit der Kunst ist im Grundgesetz geschützt, also stelle ich dir genug Polizei vors Haus, damit nichts passiert, legt ihr der CDU-Kulturminister die Absage des Konzerts nahe. In Thüringen verteidigt der grüne Justizminister die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen das Zentrum für Politische Schönheit. Man sieht es auch an kleineren Fällen: Im Gemeinderat in Bochum wird von der AfD ein Stück einer freien Theaterproduktion moniert, das teils in Bochum und teils in Afrika stattfinden soll. Da würden deutsche Steuergelder in Afrika ausgegeben. Darauf sagt die SPD nicht etwa, dass es eine Bewerbung und Jury und Prüfung der Verwaltung gegeben und alles komplett ordentlich gelaufen sei, sondern dass man die Förderung aussetzen und alles noch einmal prüfen werde. Das ist das Hauptproblem: dass etablierte Parteien keine Haltung haben.

Christophe Knoch

geb. 1968, 2012 bis 2018 Sprecher Koalition Freie Szene, heute Koordination Die Vielen.

Sind wir alle zu bequem geworden?

Ja. Aber offensichtlich sind wir nun in der Situation, Selbstverständlichkeiten wieder verteidigen zu müssen. Wir brauchen ein völlig neues Abc.

Was erwarten Sie am Sonntag?

Es ist der falsche Ansatz, wie bei einer Sportveranstaltung Zahlen toppen zu wollen. Ich freue mich vielmehr, wenn es ganz viele verschiedene Aktionen gibt. In Berlin werden aus vielen Häusern goldene Fahnen hängen. Ganze Belegschaften werden kommen, die vom Berliner Ensemble, Deutschen Theater, vom Friedrichstadtpalast. Ich weiß nicht, wie viele Menschen insgesamt erscheinen werden. Ich weiß nur, dass uns die Polizei nicht mehr glaubt, wenn wir 500 anmelden.

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