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Dem Vergessen entrissen

Von Nordwesten nach Weimar: Das Landesmuseum Oldenburg verdichtet Werk und Biografien von vier lokalen Bauhäuslern, die von der Forschung bisher ignoriert wurden

Von Bettina Maria Brosowsky

Wer jetzt, erwartungsvoll, zum kürzlich eröffneten Bauhaus-Museum nach Weimar pilgert, wird wohl enttäuscht zurückkehren. Nicht nur der Museumsneubau entbehrt jeglichen Liebreizes. Auch die Ausstellung, die sich rühmt, auf die älteste, 1925 vom Bauhausgründer Walter Gropius initiierte Sammlung zurückgreifen zu können, feiert eine beliebige Leistungsschau bekannter Bauhaus-Heroen und Design-Ikonen, statt mit Entdeckungen zu überraschen. Für den Norden Deutschlands gibt es eine bessere Alternative: die Ausstellung „Zwischen Utopie und Anpassung – Das Bauhaus in Oldenburg“ im dortigen Landesmuseum.

Denn wer angesichts der Laufendmeter Bauhaus-Literatur meint, der Betrachtungsgegenstand sei umfassend erforscht, übersieht, dass bislang kaum jemand die 1.253 Studierenden oder weniger prominenten Bauhäusler*innen eines vertieften Interesses für würdig gehalten hat. Dieses Desiderat, Garant für Überraschungen selbst hundert Jahre nach der Gründung des Bauhauses, sah man in Oldenburg und entriss in zweijähriger Forschungsarbeit Biografien und Werk von vier Bauhäuslern aus dem Nordwesten Deutschlands dem Vergessen.

Das Haus verfügt zudem durch seinen Gründungsdirektor Walter Müller-Wulckow (1886–1964), der in seiner vorhergehenden Tätigkeit als prominenter Kunstkritiker in Frankfurt der allererste publizistische Förderer des Bauhauses war und in Oldenburg dann gezielt Bauhausobjekte erwarb, über eine „genuine Sammlung“, nicht zuletzt dank seines umfangreichen Nachlasses, so Museumsdirektor Rainer Stamm. Er kann stolz verlautbaren, dass „echtes Bauhaus“ gezeigt wird, Geschichte und Wirkung zudem durch die Protagonisten weitererzählt werden, also nicht mit der Schließung 1933 enden.

Auch Kuratorin Gloria Köpnick mag sich eine kleine Spitze Richtung Weimar nicht verkneifen, wo man trotz konservatorisch perfektem Kunstlichtmilieu nur mit Faksimiles arbeitet: Bei uns sehen Sie Originale! Zum eigenen Bestand konnten zudem Objekte von 21 Leihgebern akquiriert werden, die auch die vielfältige oldenburgische Ausstellungstätigkeit zwischen 1923 und 1933 zum Bauhaus, seiner Architektur, Bühne und Wohnkultur, rekonstruieren.

Echtes Bauhaus

Insgesamt arrangieren sich rund 200 Exponate in einem chronologischen Parcours, der die vier lokalen Bauhäusler kontextualisiert und zu vier exemplarischen weiteren Lebenswegen verdichtet: regionale Praxis mit Zugeständnissen an eine provinzielle Gemütlichkeit bis zum Einzug an die Front, Emi­gration und Karriere in den USA, ungebrochene NS-Überzeugung bis ans Lebensende sowie, kontrapunktisch, der aktive kulturelle Wiederaufbau nach 1945. Diese Divergenz zeigt, dass es keine homogene, gar politisch immunisierende „Bauhaus-Haltung“ gab, eine dortige Lehre sich nur in höchst individuellen Resonanzen ausdeuten lässt.

Der erste und widersprüchlichste Kandidat, der aus dem Norden Richtung Bauhaus Weimar aufbrach, war der Oldenburger Hans Martin Fricke (1906–1994). Gerade 16-jährig, allerjüngster Bauhäusler überhaupt, absolvierte er dort eine Ausbildung in der Tischlerei. Nach einem anschließenden Architekturstudium an der Ingenieur-Akademie Oldenburg arbeitete Fricke ab 1927 als Baumeister expressionistisch angehauchter Entwürfe in Oldenburg und Bremen.

Er ist, so Stamm, der Januskopf der vier Bauhäusler, denn bereits 1932 trat er in die NSDAP ein und avancierte nach 1933 zum Landesleiter der Reichskammer der bildenden Künste für den Gau Weser-Ems. Als kulturpolitischer Funktionär kon­trollierte er nun auch die Ausstellungstätigkeit Müller-Wulckows. Seiner Arbeit als Architekt verdankt etwa Braunschweig den riesigen Komplex des Luftwaffenkommandos am Franz’schen Feld, heute in Teilen durch eine Gesamtschule kreativ genutzt.

Keiner Entnazifizierung für nötig empfunden, konnte Fricke seine Bautätigkeit nach 1945 fortsetzen. Das Oldenburger Modehaus Schütte schloss zur beschwingten Nachkriegsmoderne auf, ein privates Wohnhaus indes verharrte in völkischer Trutzigkeit. Bis ans Ende seines Lebens verleugnete Fricke seine Bauhauszeit, hütete in dem sprichwörtlichen Koffer unter dem Bett allerdings umfangreiche Dokumente, die seine Kinder dem Landesmuseum übergaben.

Gemeinsam und auf Empfehlung Müller-Wulckows gingen im Oktober 1927 die beiden Oldenburger Karl Schwoon (1908–1976) und Hermann Gautel (1905–1945) nach Dessau. Dort kreuzten sich ihre Wege mit Hin Bredendieck (1904–1995), gebürtig aus Aurich. Nach Tischlerlehre und frustrierenden Studien an zwei Kunstgewerbeschulen hatte er sich bereits im Frühjahr 1927 dort eingeschrieben. Da er mit Holz ja bestens vertraut sei, ermutigte ihn László Moholy-Nagy, in der vom ihm geleiteten Metallwerkstatt Neues zu probieren.

Mit Gautel entstanden Entwürfe für Haushalts- und Architekturleuchten sowie einfache Sitzmöbel mit Sperrholzschale. Das Bauhaus-Duo „Hin und Her“ kooperierte auch später, so für Gautels 1933 in Oldenburg gegründetes Einrichtungshaus oder einen Ausstellungsraum für Luftschifffahrt, die „Schütte-Lanz-Ehrenhalle“, in Müller-Wulckows Museum.

Verleugnte Bauhauszeit

Bredendieck reagierte entschieden auf das sich radikalisierende Klima im nationalsozialistischen Deutschland und ging 1937 in die USA. Dort wurde er Teil des nur ein Jahr dauernden Experiments „New Bauhaus“ unter Moholy-Nagy und seiner Nachfolgeinstitutionen in Chicago. Er griff für den Unterricht auf Erfahrungen aus Dessau zurück, verließ jedoch die Materialgebundenheit zugunsten einer übergeordneten Gestaltungslehre.

Nach Disharmonien im Kollegium und freiberuflicher Tätigkeit folgte Bredendieck 1952 einem Ruf nach Atlanta. In dem US-Südstaat wurde aus dem ehemaligen ostfriesischen Tischlergesellen der international vernetzte Design-Professor, der ein Berufsfeld neu strukturierte und mit seiner posthum veröffentlichten Schrift „Be­yond Bauhaus“ ein designtheoretisches Vermächtnis hinterließ.

Auch im Falle Bredendieck ist es dem intensiven Kontakt zu den Angehörigen zu verdanken, dass dieses nicht nur pä­dagogisch bedeutende, von der etablierten Bauhausforschung vollkommen ignorierte Lebenswerk gehoben werden konnte. 2018 wechselte der Nachlass aus irischem Familienbesitz nach Oldenburg, zur Ausstellungseröffnung reisten stolze 34 Mitglieder der international verstreuten Bredendieck-Familie an, im Juni startet als nächstes Forschungsprojekt die Arbeit an einer ersten Monografie.

Wie einen Beifang haben Stamm und Köpnick weitere Bauhäusler im Norden ausfindig gemacht. Bei Milon Harms, 1907 in Bad Zwischenahn geboren und zeitgleich mit den Dreien in Dessau eingeschrieben, verlor sich jedoch die Spur. Er ist ein „Profil Perdu“ wie wohl so viele Bauhäusler*innen, und auch eine „Oral History“ durch ihre Familien wird demnächst versiegen, ohne je gehört worden zu sein.

Bis 4. August, Augusteum, Oldenburg

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