: Riskantes Terrain
Übernahmen von US-Firmen können für deutsche Unternehmen fatal sein, wie das Beispiel Gerling zeigt
Von Anja Krüger
Bayer ist nicht der erste deutsche Konzern, der sich mit einer Übernahme in den USA verhoben hat. Der Autokonzern Daimler hat sich mit der Übernahme des US-Autobauers Chrysler in eine ernsthafte Krise manövriert, aber mit der späteren Trennung gerade noch die Kurve bekommen. Anders ergangen ist es dem Versicherungsunternehmen Gerling, der Top-Adresse für die Industrie im Wirtschaftswunderdeutschland: Es ist an einer falschen Entscheidung zugrunde gegangen.
Die Rückversicherungstochter von Gerling hatte 1998 in den USA die Gesellschaft Constitution Re gekauft. Rückversicherer übernehmen Risiken von sogenannten Erstversicherern, die Verträge mit Privat- und Firmenkunden machen. Bei ihnen sammeln sich Schäden nach Katastrophen oder massenhaften Schadenersatzklagen.
Das von Gerling gekaufte Unternehmen hatte in den Büchern enorme Altlasten aus Asbestschäden, die zu hohen Schadenersatzzahlungen führten. Asbest wurde bis in die 1970er Jahre im großen Stil verbaut, weil der Stoff nicht brennbar und feuerfest ist. Hinweise darauf, dass Asbest krebserregend ist, wurden von der Industrie jahrzehntelang bestritten. Möglich war das, weil durch Asbest verursachter Krebs erst nach langer Latenzzeit ausbricht.
Das Problem schien abgeräumt, als zu Beginn der 2000er Jahre eine Klagewelle in den USA anrollte. Gerichte sprachen an Krebs erkrankten Arbeitern hohe Schadenersatzzahlungen zu. In Deutschland fallen Berufskrankheiten in den Bereich der Berufsgenossenschaften, in den USA haften auch Versicherer – und Hersteller.
Die Manager in den feinen Gerling-Büros im Kölner Friesenviertel hatten vor dem Kauf der Constitution Re nicht gut genug geprüft, welche Risiken mit der Übernahme verbunden waren. Als diese zutage traten, waren die finanziellen Belastungen immens. Das Unternehmen überlebte das nicht, obwohl es mit der Deutschen Bank einen damals sehr starken Anteilseigner hatte. Gerling wurde nach einer dramatischen Hängepartie 2006 von der Hannoveraner Versicherungsgruppe Talanx geschluckt. Dieses Schicksal könnte Bayer auch drohen, wenn den Managern nicht bald mehr als das Wiederholen von Durchhalteparolen einfällt.
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