Kunst und Aktivismus aus Istanbul: Einladung in den Underground

In der Türkei ist Kunst zu einem Instrument der Gegenwehr geworden. Einblick geben zwei Ausstellungen im Badischen Kunstverein in Karlsruhe.

Auf einer Mauer sind goldene Schmetterlinge zu sehen

„A Public Monument; Golden Butterflies“ von 2014, von Leman Sevda Daricioğlu Foto: Burak Serin/Badischer Kunstverein

Es war nur eine einladende Geste, doch die Botschaft war unmissverständlich. Gülkan Noir warb während der Gay Pride Parade 2014 für Offenheit und Veränderung. Auf den Karten, die sie verteilte, war „Töte dein Ego, verzaubere die Revolution“ (Kill Your Ego, Charm The Revolution) zu lesen. Sie trug ein elegantes Trauer-Outfit mit Sonnenbrille. Vier ihrer Freundinnen, Mitstreiterinnen der queeren Community in Istanbul, waren nicht mehr dabei (wobei es individuelle Schicksale waren, keine von ihnen ist Opfer politischer Gewalt geworden).

Das sei ihre Art zu trauern gewesen, sagt Gülkan Noir über die Video­dokumentation, die im Badischen Kunstverein zu sehen ist. Dass es die vorerst letzte große Manifestation der Bewegung in der Türkei war, konnte damals noch niemand wissen. Seitdem die Polizeigewalt gegen die Gezi-Park-Proteste eskalierte, ist auch die Gay Pride Parade in Istanbul verboten.

In der Türkei ist Kunst zu einem Instrument der Gegenwehr geworden. Es geht um Freiheit, Toleranz und Vielfalt. Wer trotz der zunehmend autoritären Regierung nicht ins Ausland abwandert, hat seine Gründe.

Pionierinnen der feministischen Kunst

Sie bleibe ganz bewusst in der Türkei, sagt Derya Bayraktaroğlu, die Kuratorin der Ausstellung. Die Kulturwissenschaftlerin arbeitet für Galerien und Stiftungen. Für das Projekt „unspeakable home, enchanting compagnions“ hat sie 15 KünstlerInnen und Kollektive eingeladen, deren Ansätze bei genauerem Hinsehen weit auseinanderklaffen.

Die exemplarisch zusammengestellten Objekte, Fotografien und Videos können nur Verweise auf eine in Deutschland wenig bekannte Geschichte sein, die jedoch bereits in den 1970er Jahren begann. Nach dem Militärputsch hatte die abstrakte Malerin Nil Yalter in Paris ihr erstes politisch motiviertes Kunstwerk entwickelt. Von ihr ist ein aktuelles Video in Karlsruhe zu sehen, das die Performance-Künstlerin Melis Tezkan während einer Zugfahrt aufgenommen hat. Feminismus, Kunst und gesellschaftliche Tabus sind ihre Themen, aber im Grunde geht es um Vorbilder, Anknüpfungspunkte für die jüngere Generation.

Die 80-Jährige gehört mit der nur drei Jahre jüngeren Malerin Nur Koçak zu den Pionierinnen der feministischen Kunst in der Türkei. Von Nur Koçak ist nur ein vergrößerter Schnappschuss von einem Dessous-Geschäft in Istanbul ausgestellt, deren Auslagen die Künstlerin über viele Jahre dokumentierte, um den Wandel der öffentlichen Moral sichtbar zu machen. Solche Fotos sind Ausgangspunkte ihrer fotorealistischen Malerei, mit der sie die Bildwelten des modernen Konsums wie der traditionellen türkischen Gesellschaft kritisiert.

Der erste türkische Trans Beauty Contest

Während also in den 1970er Jahren an Akademien ausgebildete Künstlerinnen politische und feministische Themen aufgriffen, nutzen heute Aktivistinnen künstlerische Mittel für ihre Botschaften. Die dreiteilige Fotoarbeit von Tümay Göktepe etwa dokumentiert den ersten türkischen Trans Beauty Contest, der 2015 in einem kleinen Club stattfand. Die Bilder zeigen eine der Bewerberinnen auf dem Steg nur bis zur Hüfte, im Fokus stehen die Fotoreporter, der sensationslustige Mob.

"Lovers" von Nilbar Güreş und "unspeakable home, enchanting companios", im Badischen Kunstverein Karlsruhe, bis 23. Juni 2019

Kunst kommentiert, macht aufmerksam, ironisiert die rückwärtsgewandte türkische Politik. Besonders anschaulich wird dies in der Aktion „A Public Monument; Golden Butterflies“ von 2014. Damals sprühte Leman Sevda Daricioğlu goldfarbene Schmetterlinge auf eine unverputzte Mauer. Der Ort markiert eine Straße, die im Vorfeld eines internationalen Gipfels geräumt wurde. Dort wohnten Prostituierte und Transgender People in friedlicher Gemeinschaft zusammen. Sie wurden mit Polizeigewalt aus ihren Wohnungen geholt und verjagt. Die Behörden ließen die Graffiti des Mahnmals mehrmals übertünchen – worauf die Schmetterlinge wenig später wieder über die Häuserwand flatterten.

Wer von einem Betrieb mit schlechten Arbeitsbedingungen wisse, könne eines der Butterfly-Poster mitnehmen und dort aufhängen, sagt Derya Bayraktaroğlu. Der aktionistische Aspekt der Kunst aus Istanbul soll auch in Karlsruhe zumindest symbolisch real werden.

Prostituierte und Transgender-Personen wurden mit Polizeigewalt aus ihren Wohnungen verjagt

Auf völlig andere Weise provokativ arbeitet hingegen die Konzeptkünstlerin Deniz Gül, die für „Cunt Wet“ Ausscheidungen einer Vagina nach dem Verkehr auf Papier fixiert hat. Sie hat im Ausland studiert, wie auch Nilbar Güreş, deren feministische Gegenwelten im Obergeschoss des Kunstvereins ausgebreitet sind. Nilbar Güreş arbeitet in ihren Collagen und Fotoinszenierungen mit Textilien, deren Muster für regionale kulturelle Werte stehen.

Beide Künstlerinnen nehmen an Biennalen teil und stellen in Galerien aus. Auch sie verstehen sich als Aktivistinnen.

Am Rande des Undergrounds

Die kompakte Ausstellung holt inhaltlich weit aus. Wenn es ein Projekt gibt, das mehr Platz – und vor allem einen Katalog – verdient hätte, dann dieses. Anderseits bewegt sich die Veranstaltung in ihrer sparsamen Ausführung am Rande des Undergrounds, was vielleicht sogar gewollt ist.

Im Keller sind Fan­zines und Flugblätter der Queer-Community ausgestellt, ein provisorisches Kino ist eingerichtet. Im Mai und Juni wird der experimentelle Film „#resistayol“ des trans*feministischen Kollektivs Kanka Productions zu sehen sein sowie „Voltrans“ der gleichnamigen trans*feministischen Initiative. Der bereits 1986 gedrehte Kultfilm „How to save Asiye?“ folgt, außerdem Künstlergespräche und eine Performance. Es geht um Öffentlichkeit, um eine Einladung. Doch ist zu befürchten, dass das deutsche Kunstpublikum diese Geste womöglich nicht wirklich zu schätzen weiß.

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