: Mehr Eintopf als Kaviar
Das tatsächlich verfügbare Einkommen ist in Bremerhaven in den letzten 18 Jahren gesunken. In der Bürgerschaft stritten die Fraktionen über darüber – mit je ganz eigenen Erklärungen
VonLotta Drügemöller
Martin Günthner hat einen guten Job gemacht. Das zumindest wollte der SPD-Wirtschaftssenator wohl noch einmal allen zeigen, als er während der Bürgerschaftssitzung Erfolge aufzählte: Ein hohes Wirtschaftswachstum, eine gute Entwicklung bei der Kaufkraft, famose Bedingungen für Start-ups, ein erfolgreicher Mittelstand und in Bremerhaven die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 1984.
Die Zahlen, um die es in der Aktuellen Stunde der Bürgerschaft am gestrigen Mittwoch eigentlich ging, konnte er damit jedoch nicht erklären. Die Linke hatte die Landesregierung aufgerufen, zu einer aktuellen Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung Stellung zu beziehen. Demnach ist vom hohen Bremer Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre nicht allzu viel bei den ArbeitnehmerInnen angekommen. Zwischen 2000 und 2016, so das Resümee, ist das durchschnittliche Netto-Einkommen in der Stadt Bremen inflationsbereinigt um 2,3 Prozent gestiegen – auf 21.327 Euro pro Kopf. Wachsen, das ist auf den ersten Blick eine positive Entwicklung. Allerdings hat sich Bremen hier vom Bundestrend abgekoppelt: Bundesweit betrug das Einkommenswachstum in dem Zeitraum nämlich 9,7 Prozent.
Dramatischer sieht die Situation in Bremerhaven aus. Dort ist das tatsächlich verfügbare Einkommen pro Kopf sogar gesunken – um 4,9 Prozent auf 17.741 Euro. Bremerhaven gehört damit zu den zehn am schlechtesten gestellten Regionen in Deutschland. Und nur drei der insgesamt 401 Regionen haben noch mehr an Nettoeinkommen verloren.
Einer der Gründe für das abgekoppelte Einkommenswachstum, da waren sich alle einig, sind Pendler, die in der Stadt das Geld verdienen und im Umkreis leben. Ganze 42 Prozent der im Bundesland Bremen Beschäftigten wohnen außerhalb: in Niedersachsen, Hamburg oder sogar Nordrhein-Westfalen.
Kristina Vogt, Linke
Woran diese hohe Einpendlerquote liegt, wurde von den Parteien je nach Wahlkampfinteressenlage aber ganz unterschiedlich bewertet. Während Maike Schaefer (Grüne) und Dieter Reinken (SPD) betonten, dass viele Pendler gerade von der starken Bremer Wirtschaft angezogen würden und einfach ihre Heimatregionen als Wohnort nicht verlassen wollten, verwies Hauke Hilz (FDP) darauf, dass tatsächlich viele Arbeitnehmer aus Bremen wegzögen, wenn die Kinder ins schulpflichtige Alter kämen: „Der Ruf des Bildungssystems in Bremen ist einfach zu schlecht.“
Die CDU, die nach mehr Wohnflächen für Familien rief, um Gutverdiener in Bremen zu halten, bekam diese Haltung von den anderen Fraktionen aufs Brot geschmiert – schließlich unterstützt die Partei den Volksentscheid gegen die Rennbahnbebauung.
Unabhängig von der Pendlerproblematik wurde die Bedeutung der Studie und das, was aus ihr folgt, sehr unterschiedlich eingeschätzt: Ja, die Arbeitslosigkeit sei gesunken, stimmte auch Kristina Vogt (Linke) Wirtschaftssenator Günthner zu. „Doch die Zahl der Jobs wächst schneller als die der Arbeitsstunden.“
Laut Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe sind seit dem Jahr 2000 die geleisteten Arbeitsstunden pro Kopf von 1.405 auf 1.321 gesunken, Teilzeit bleibt besonders für Frauen Normalität. Auch Maike Schäfer betonte die Einkommensunterschiede bei Frauen und Männern: „Bremen hat immer noch eine Lücke von 23 Prozent und damit das höchste Gender Pay Gap.“
Grüne, SPD und Linke traten für eine bessere Tarifbindung und eine höhere Ausbildungsquote ein. FDP und CDU forderten stattdessen eine Willkommenskultur für Wirtschaftsunternehmen, um Bremen wieder an den bundesweiten Trend anzuschließen.
Linken-Chefin Vogt verknüpfte das niedrige Einkommen mit einem anderen Thema: Der Mietbelastungsquote. Fast die Hälfte der Bremer, 47,5 Prozent, zahlten mehr als 30 Prozent ihres Einkommens als Miete,23 Prozent sogar mehr als 40 Prozent. „Während die Mieten rapide steigen, steigen die Einkommen eben nicht. Wer das nicht versteht, versteht den Druck auf den Wohnungsmarkt nicht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen