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Wie bunt Rot sein soll

Julia Fritzsche, Luise Meier und Antje Schrupp über linke Erzählungen im Brecht-Haus

Mehr Emotionen statt trockener Analyse im Marx-Lesekreis

Von Inga Barthels

Julia Fritzsche erzählt von einer Begegnung mit ihrem Nachbarn Paul im Hausflur. Paul ist Busfahrer, die beiden begegnen sich oft, wenn er auf dem Weg zur Nachtschicht ist. Paul beschwert sich über kürzere Pausen, unzuverlässige Kollegen – und dann auch über „Flüchtlinge in ihren Schlabberhosen“, denen angeblich alles gezahlt wird. Deswegen werde er künftig auch die AfD wählen. Wie reagieren? Julia Fritzsche versucht es mit einem Hinweis auf Arbeitgeber, Immobilienunternehmen und Regierungen, die doch an schlechten Löhnen und teuren Wohnungen schuld seien. Doch da ist vor allem eine große Sprachlosigkeit. Besonders, als Paul darauf hinweist, dass Julia Fritzsches antikapitalistische Vorstellungen ja eigentlich richtig, doch aber „total unrealistisch“ seien.

Um in derartigen Situationen nicht mehr sprachlos zu sein, hat die Journalistin und Autorin das Buch „Tiefrot und radikal bunt“ geschrieben, das im März erschienen ist. Im Literaturforum im Brecht-Haus stellte Fritzsche ihr Buch am Donnerstagabend vor und sprach mit ihren Kolleginnen Luise Meier und Antje Schrupp über neue linke Erzählungen. Für ihr Buch hat sich Fritzsche auf die Suche nach Initiativen gemacht, die bereits linke Ideen verwirklichen. Sorgearbeit, Ökologie, Identität und Migration sind dabei ihre vier Hauptthemen. Das Neue in ihren linken Erzählungen sei die Verbindung des Tiefroten, also der Ökonomie, mit dem radikal Bunten, also Fragen von Vielfalt.

Fritzsche ist überzeugt, dass es einer positiven linken Vision der Gesellschaft bedarf. „Wir können nicht nur gegen etwas sein“, sagt die Autorin. Spreche man sich etwa gegen Grenzen aus, bleibe bei vielen nur das Wort „Grenze“ hängen. Ein Wort wie „globale Bewegungsfreiheit“ wecke hingegen positive Assoziationen. Auch für Antje Schrupp haben sich viele Wörter der Linken wie „Mehrwert“ oder „Demokratie“ inzwischen verbraucht. „Da fällt mir alles zu ein, aber nicht das gute Leben“, sagt Schrupp. Was der Linken derzeit fehle, sei ein Bewusstsein für die Wichtigkeit des Symbolischen. Mehr Emotionen statt trockene Analyse im Marx-Lesekreis.

Dem widerspricht Luise Meier, Autorin des Manifests „MRX Maschine“. Für sie sei Marxlesen eine rauschhafte Erfahrung gewesen. „Ich will an linker Tradition und Geschichte festhalten, weil ich an der Analyse festhalten will.“ Im Gegensatz zu Fritzsches Betonung positiver Begriffe hebt Meier die Bedeutung von linker Antikultur hervor. „Rot ist auch die Farbe der Wut“, sagt die Autorin. In der Linken habe es außerdem schon immer Ansätze gegeben, das Tiefrote mit dem radikal Bunten zu verbinden. Dem stimmt Antje Schrupp mit einem Verweis auf die internationale Solidarität zu. Bei den beiden dominanten Erzählungen unserer Zeit fehle entweder das eine oder das andere, so Schrupp. Der neoliberale Kapitalismus propagiere Internationalität ohne Solidarität, rassistische Erzählungen hingegen Solidarität ohne Internationalität. „Wir bekommen die Wahl zwischen Äpfeln und Birnen und kommen gar nicht darauf, dass wir auch Schokolade haben könnten“, sagt Schrupp. Die Linke müsse wieder radikaler werden in der Erzählung und etwa selbstverständlich für Konzepte wie die globale Bewegungsfreiheit ohne Grenzen und Pässe eintreten.

Linkssein bedeutet auch für Fritzsche, von der Gleichwertigkeit aller Menschen auszugehen und diese aktiv anzustreben. Ihr sei es daher vor allem wichtig, Geschichten über Solidarität zu erzählen. Etwa über die Unteilbar-Demo in Berlin, bei der im Oktober rund 240.000 Menschen ein Zeichen gegen Rassismus setzten. Solche linken Erzählungen von Solidarität zwischen unterschiedlichsten Partnern seien die beste Chance, Menschen wie ihren Nachbarn Paul doch noch umzustimmen.

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