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„Ein Pferd muss gut bewegt werden“

Zum Haustier des Jahres 2019 hat die Bremer Stiftung Partnerschaft Mensch & Tier das Pferd ernannt: Warum ohne das Lasttier die industrielle Revolution ausgefallen wäre, erklärt die Stiftungsvorsitzende Carola Otterstedt – und warum es auch nach Wegfall seiner Nutzung ein lieber Begleiter der Menschen bleibt

Interview Teresa Wolny

taz: Frau Otterstedt, reiten Sie?

Carola Otterstedt: Ja, ich bin viele Jahre geritten, meine Basis ist aber das Voltigieren, das habe ich über zehn Jahre gemacht. Ich fand das, so wie wir es damals gemacht haben, eine wunderbare Erfahrung.

Warum?

Das waren damals noch keine ausgebildeten Voltigierpferde. Wir haben eine Beziehung mit dem Pferd gehabt, haben gemerkt, wenn es ihm mal nicht so gut ging, ob es im nächsten Moment vielleicht aus dem Zirkel ausscheren wird oder wo es kitzelig ist. Für uns war das Pferd nicht einfach ein Turnpferd, sondern vielmehr ein wichtiges Mitglied unserer Voltigiergruppe, dessen Bedürfnisse man respektierte.

Und beim Reiten?

Ein Pferd muss gut bewegt werden. Ich finde besonders schön, wenn man mit einem Handpferd oder reitend mit dem Pferd gemeinsam die Natur entdeckt. So kann man vor allem die Natur wahrnehmen, wie die Pferde sie sehen. Beim Reiten mag ich besonders gerne über die Gewichtsverlagerung mit dem Pferd kommunizieren. Pferde freuen sich auf klare Signale.

Die Stiftung Bündnis Mensch & Tier hat das Pferd zum „Haustier des Jahres 2019“ ernannt. Gehen Pferde wirklich noch als Haustiere durch?

Haustier ist der Oberbegriff von Heim- und Nutztieren. Jedes domestizierte Tier ist also ein Haustier.

Wie sieht es mit Wildpferden aus?

Es gibt leider keine Wildpferde mehr auf diesem Planeten. Die meisten wild lebenden Pferde sind verwilderte Haustiere. Die Pferde der Namib-Wüste in Afrika etwa wurden von deutschen Soldaten während des Ersten Weltkriegs dort verloren oder zurückgelassen und konnten sich an das Leben in der Wüste anpassen. Wie wir im letzten Jahr durch die Forschung erfahren haben, sind auch die bekannten Przewalski-Pferde keine Wildpferde, sondern verwilderte Hauspferde. Es gibt eine Reihe von ursprünglichen Pferderassen, die auch noch die typischen Anzeichen von Wildpferden haben wie etwa den Aalstrich auf dem Rücken oder Streifen an den Fesseln. Diese Pferderassen haben heute eine große Bedeutung in der Landschaftspflege und können wichtige Impulse für unsere Pferdehaltung geben.

Zum Beispiel?

Das Pferd ist ein Herdentier und in intakten Herden sehen wir wunderbares soziales Verhalten der Tiere, das auch ihrer physischen und psychischen Gesundheit dient. Pferde ziehen über weite Strecken. Das Fressen und Dösen wechselt sich ab mit sozialer Kontaktpflege. Dies alles können wir Pferden nur bieten, wenn wir sie in Herden und Offenställen mit Zugang zu Trails halten.

Wie sieht so eine Trailhaltung aus?

Ein Trail ist ein strukturierter Weg mit unterschiedlicher Bodenbeschaffenheit, mit Wasser- und Heuplätzen, Sandkuhlen, Steinen, Hügel und Wasserfurchen. Ein Trail ermöglicht, dass die Pferde Strecken laufen können. Es braucht nicht mehr Grund, sondern bessere Weide- und Haltungskonzepte.

Auf dem Land sind Pferdeweiden ein gängiges Bild. Wie ist das in der Stadt?

Einfach gesagt: Dort, wo es ausreichend natürliche Flächen gibt, auf denen Pferde sich pferdegerecht bewegen können, spricht nichts gegen eine Pferdehaltung.

Wie hat sich die Bedeutung des Pferdes in den letzten Jahrhunderten verändert?

Ohne Pferde hätte die Industrialisierung nicht funktioniert. Auch vorher schon wurde das Pferd als Transportmittel, Lastentier, Kriegsgefährte und natürlich auch als Nahrungsmittel gebraucht. Rinder und Esel wurden immer schon als Lastentiere eingesetzt, aber man benötigte die Schnelligkeit von Pferden im Postdienst und im Bergbau Pferde, die die Erze aus den Schächten herauszogen. Pferde transportierten die Waren der neuen Industrien. Sie waren wichtig in den Kriegen, wo sie Waffen und Soldaten an die Front brachten und letztendlich auch dort als Nahrungsmittel genutzt wurden. Mit der zunehmenden Motorisierung verlor das Pferd an Bedeutung.

Seit wann sind Pferde im Sport aktiv?

Bereits 1900 wurde das Reiten bei der Olympiade als sportliche Disziplin zugelassen. Der Breitensport Reiten hatte in Deutschland in den 70er-Jahren seinen Höhepunkt, parallel zur ökonomischen Entwicklung des Landes. Das Pferd als Sport- und Investitionsobjekt begann mit dem Interesse am Renn- und Turniersport bereits deutlich früher.

Das Pferd als Objekt …

Das Pferd war immer auch Handelsware. Die Pferdemärkte, aber auch Rennpferde und Pferdewetten dokumentieren dies sei vielen Jahrhunderten. Interessant wurde das Pferd als Anlagegeschäft im letzten Jahrhundert: Prämierte Pferde werden hoch gehandelt. Dabei sind nicht die Geldpreise, die auf Turnieren gewonnen werden, ausschlaggebend, vielmehr der Gewinn aus der Zucht von Nachkommen. Um das „Pferdematerial“ möglichst schnell und intensiv auszunutzen, schrecken unseriöse Halter leider auch nicht davor zurück, das Pferd zu früh zu fordern oder gar zu dopen.

Wie kann man sich Pferdedoping vorstellen?

Es gibt Mittel, die es dem Tier unter anderem ermöglichen, intensiver zu trainieren oder sich schneller wieder zu erholen. Ich denke, dass wir da als Publikum auch eine Verantwortung haben.

Inwiefern?

Wollen wir wirklich immer schnellere Pferde oder Pferde, die immer höher und weiter springen? Ich würde mir wünschen, dass wir Leistung nicht an höher, weiter, schneller messen, sondern auch jene Pferd-Mensch-Teams prämieren, die eine vorbildliche Mensch-Tier-Beziehung zeigen. Mich macht es immer traurig, wenn man sieht, dass ein Reiter das Pferd über hohe Hindernisse bringt, dann aber vergisst, das Pferd für seinen Einsatz zu loben. Reiten ist Teamsport. Das sollte auch in der Öffentlichkeit so kommuniziert werden. Auch die Fernsehanstalten, die große Turniere übertragen, könnten viel dazu beitragen, dass das Pferd nicht nur als Leistungsobjekt gezeigt wird, sondern auch das Miteinander zwischen Pferd und Reiter gewürdigt wird. Das Lebewesen als Objekt ist berechenbar im Sinne der Wirtschaftlichkeit, die Beziehung zu diesem Lebewesen ist es nicht. Wenn wir aber das Pferd nicht zum benutzten Objekt degradieren wollen, sollten wir dies auch durch entsprechende Würdigung von Beziehung auf Pferdeveranstaltungen deutlich machen.

Verursacht das Turnierreiten zwangsläufig Leid?

Ich glaube, dass auch Pferde, wenn sie Talent haben, Freude daran empfinden, sich einer Aufgabe zu widmen. Es gibt Pferde, die sehr gerne springen. Das ist besser, als den ganzen Tag in der Box zu stehen und zu warten, bis die nächste Möhre kommt. Es ist aber wichtig, dass Pferde einen Ausgleich haben, um ihr Sozialverhalten in der Herde auszuleben. Dies wird jedoch aus Furcht vor Verletzungen bei teuren Pferden vermieden. Da, wo Gewinn erzielt werden muss, kann nicht ausgeschlossen werden, dass es auch Trainingsmethoden gibt, die nicht pferdegerecht sind. Aber auch im Profisport sieht man zunehmend ein Bemühen, pferdegerechte Methoden und Wirtschaftlichkeit in Einklang zu bringen.

Carola Otterstedt, 57,hat Kulturwissenschaft und Verhaltensforschung studiert, über Abschiedsformeln in unterschiedlichen Kulturen promoviert. Sie leitet die Stiftung Bündnis Mensch & Tier mit Sitz in Bremen (www.buendnis-mensch-und-tier.de).

Und im Freizeitreiten?

Auch dort gibt es viele Menschen, die selbst gerne ein Pferd haben wollen, sich das auch leisten können, dann aber überfordert sind, ein geeignetes Tier für sich zu finden – etwa in puncto Körpermaß, Talent und Persönlichkeit. Aber auch da gibt es einen Wandel dahin, dass Menschen sich bemühen, die Sprache und die Bedürfnisse des Pferdes zu verstehen.

Spielt das Pferd als Fleischlieferant heute noch eine Rolle?

Auf dem Viktualienmarkt in München etwa wird Pferdefleisch verkauft. Das mag auch an der Nähe zu Italien liegen, wo allgemein mehr Pferdefleisch konsumiert wird.

Wenn nicht durch den Metzger, wie sterben unsere Reitpferde?

Viele Pferdehalter haben eine gute Beziehung zu ihrem Pferd und investieren viel Zeit und Geld, damit es ihnen physisch, seelisch und geistig gut geht. Immer mehr Pferde erreichen ein hohes Alter über 30. Nicht selten werden Pferde im Alter oder wenn sie durch eine Verletzung nicht mehr reitbar sind, in sogenannte Senioren-Herden gegeben. Auf unserem Begegnungshof der Stadtteilfarm Huchting werden die Kinder nicht ausgeschlossen, wenn ein Tier auf Grund von Krankheit erlöst werden muss. Verantwortung für ein Tier tragen, heißt auch, dieses Tier in all seinen Lebensphasen zu begleiten. Dies gilt auch und vor allem für den Profisport mit Pferden. Natürlich gibt es auch Pferdehalter, die diese Verantwortung nicht aushalten. Pferde-Gnadenhöfe sind für manche Pferde eine Alternative zum Abdecker.

Pferde sind groß. Was passiert mit den toten Tieren?

Tierkörperbeseitigungsfirmen holen das tote Pferd ab. Aus dem toten Tierkörper wird Tierkörpermehl. Dieses wird als Industrieschmiermittel oder als Eiweißmehl zur Düngerherstellung genutzt.

Ein Blick in die Zukunft: Hat – neben E-Scootern und Pedelecs – das Pferd eine neue alte Rolle als Fortbewegungsmittel?

Ich glaube, dass Pferde eine wunderbare Möglichkeit zum Entschleunigen sind. Wäre es nicht wunderbar, wenn wir im Bremer Bürgerpark ein Kutschenangebot hätten? Besonders für Menschen, die nicht mehr so lange gehen könnten, wäre es eine schöne Möglichkeit, die Natur und den Park zu erleben. Pferde auf Straßen und in der Stadt wären für mich keine Option. In Niedersachsen auf dem Land ist es aber nicht ungewöhnlich, dass neben dem Fahrrad ein Pferd vor der Bäckerei wartet. Ich sehe aber eine große Bedeutung der Pferde in der Forstwirtschaft, in der Landschaftspflege und im Artenschutz. Und nicht zu vergessen ist die Rolle des Pferdes in der tiergestützten Intervention und im Persönlichkeitstraining.

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