Deutsche Identität aus britischer Sicht: „Deutsche sind direkter“

Ein Gespräch mit der Studentin Robyn Bellinger aus Cambridge. Sie war für ein Auslandsjahr an einer Europaschule in Waltrop in Nordrhein-Westfalen.

Gänsebraten, frisch aus dem Ofen

Deutsche Identität – mehr als nur Gänsebraten? Foto: Tim Gassauer

taz: Frau Bellinger, was bedeutet deutsche Identität für Sie?

Robyn Bellinger: Während meines Auslandsjahrs begegnete ich der deutschen Identität auf vielen Ebenen. Auch wenn Deutschland meinem Heimatland Großbritannien sehr ähnlich ist, gab es doch immer noch einen Kulturschock. Es wird gesagt, dass Deutsche direkter als Briten seien, und das stimmt tatsächlich. Deutsche sagten mir immer die Wahrheit, auch wenn sie mir manchmal missfiel. Das Vorurteil, dass Deutsche pünktlich seien, war auch nicht falsch. Mich schockierte nur, dass das für die öffentlichen Verkehrsmittel nicht zutrifft. Es gab auch viele Dinge, mit denen ich nicht gerechnet hatte. Zum Beispiel wurde ich, egal wo ich war, immer herzlich empfangen. Deutsche sind nicht für ihre Gastfreundlichkeit bekannt, aber meines Erachtens sollten sie es sein.

Verstehen sich die Deutschen heute als Europäer?

Es war interessant, zu sehen, wie Deutsche sich als Europäer identifizieren. Ich war an einer Europaschule – der Städtischen Realschule Waltrop – ­tätig, und da sah ich, wie einige Deutsche ihre deutsche und europäische Identität miteinander verknüpften. Das war echt beeindruckend zu sehen, wie begeistert sowohl die Lehrkräfte als auch die Schüler waren. Sie nahmen an verschiedenen multikulturellen Veranstaltungen teil und waren immer dazu bereit, mir zu helfen, mit den kulturellen Unterschieden zurechtzukommen.

Gibt es in Zeiten von Multikulti eigentlich noch den typischen Deutschen?

Es kommt darauf an, was man damit ausdrücken will. Es gibt natürlich das Vorurteil, dass Deutsche zum Beispiel Lederhosen tragen und Bier trinken, und auch wenn es nicht eine Faustregel ist, steckt doch ein bisschen Wahrheit dahinter. Andersherum gibt es so viel Vielfalt, dass es schwer ist, „typisch deutsch“ zu beschreiben. Was typisch ist, kann von Stadt zu Stadt anders sein, also kann man nichts Genaues darüber sagen.

Was ist der Identitätsunterschied von jungen und älteren Deutschen?

Aus meiner Erfahrung ist es nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern der Fall, dass sich viele Jugendliche zuerst als „Europäer“ statt als „Deutsche“, „Briten“ und so weiter identifizieren. Mit Billigflügen und der Möglichkeit, online zu chatten, wird es immer einfacher, mit dem Ausland in Verbindung zu stehen. Bei älteren Leuten ist das weniger der Fall, und es ist wahrscheinlicher, dass sie ihrer na­tionalen Identität statt der europäischen den Vorrang geben.

studiert Modern and Medieval Languages an der Cambridge University. In ihrem Studium beschäf­tigte sie sich wissenschaftlich mit deutscher Identität. Sie war ein Jahr lang Sprachassistentin an der Städtischen Realschule Waltrop im nördlichen Ruhrgebiet. Sie spricht fließend Englisch, Deutsch, Französisch und exzellentes Spanisch. Sie hat schon über 10 europäische Nationen kennengelernt.

Muss man Deutsche(r) sein, um sich als Deutsche(r) zu fühlen?

Ich habe schon immer versucht, pünktlich zu sein, aber seitdem ich in Deutschland gelebt habe, versuche ich, fünf Minuten früher anzukommen. Ich versuche auch, direkter zu sein. In Großbritannien könnte das als unhöflich interpretiert werden, aber es kommt immer auf den Kontext an. Man muss selber abwägen, ob es in einer bestimmten Situation angemessen ist, direkt zu sein. Das hat aber nichts mit Deutschland oder Großbritannien zu tun. Das ist überall gleich. Letztendlich haben wir nur ein Leben, und wir sollten daraus machen, was wir ­wollen. Wenn man sich auch als Deutscher identifizieren will, obwohl man keinen deutschen Reisepass hat, warum denn nicht? Es ist auch eine Ehre, dass das Land so sehr geschätzt wird, dass man dazugehören will. Es bringt auch viele Vorteile für das Land selbst; Vielfalt ist eine wichtige Bereicherung und das ist sehr wichtig heutzutage, wo Unterschiede häufiger als Problem gesehen werden statt als einen Vorteil.

In Zeiten des Brexits wird England immer mehr Zielscheibe von Satire und Hohn aus Deutschland. Glauben Sie dass diese Einstellung gegen anderer Länder ein Teil der deutschen Identität ist?

Es hat nichts mit Brexit zu tun. Es ist immer der Fall, dass Leute Witze über andere machen. Damals (im Steinzeitalter zum Beispiel) haben wir Menschen Gruppen gegründet, um sicherer zu sein. Es ist normal, dass Gruppen über andere Gruppen Witze machen. Deswegen ist es kein Teil der deutschen Identität, sondern ein Teil des Menschseins. Ich denke aber, dass Deutsche ein bisschen vorsichtiger sind, wenn sie Witze machen. Einige Gräueltaten in der Vergangenheit Deutschlands führen dazu, dass einige Deutsche Schuldgefühle haben, wenn es um andere Länder geht. Dennoch gehört es zur Meinungsfreiheit, das man über alles reden kann, was man will. Dabei muss man in Kauf nehmen, dass das durchaus auch andersrum möglich ist.­

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