: Hamburg hat Rückrunde
Hamburgs Fußball-Zweitligisten sind in der Krise. Während St. Pauli vergangene Woche Trainer und Sportchef entließ, droht der HSV, den Aufstieg leichtfertig zu verspielen
Von Daniel Jovanov
Vor gerade einmal fünf Wochen schien die Welt beim Hamburger SV noch in Ordnung zu sein. Der Zweitligist hatte sich im Stadtderby beim FC St. Pauli klar mit 4:0 durchgesetzt und seinen Fans ein besonders versöhnliches Geschenk für diese Saison überreicht. Die Revanche für das 0:1 vor acht Jahren im heimischen Volksparkstadion, als St. Pauli, damals frisch in die Bundesliga aufgestiegen, noch als der etwas andere Klub im Fußballgeschäft galt, war gelungen.
Mehr noch: Der Rivale hatte dieses Derby auch außerhalb des Platzes verloren und vielerorts an Sympathie eingebüßt. Szenen von explodierenden Leuchtraketen auf den Tribünen und dunkle Rauchwolken über dem Rasen hätten beinahe zu einem Abbruch des Spiels geführt – verursacht von Ultras der Gastgeber, nicht vom Anhang des HSV.
Ein paar Partien später ist von der Derbyeuphorie allerdings nichts mehr übrig. Der vorläufige Tiefpunkt: eine 1:2-Heimniederlage gegen den Abstiegskandidat Magdeburg durch ein Gegentor in letzter Minute. Zum dritten Mal innerhalb kurzer Zeit verspielte der HSV leichtsinnig die Führung und verpasste somit mehrfach, sich im Rennen um die beiden ersten Plätze der Liga von der Konkurrenz abzusetzen. Das Saisonziel Wiederaufstieg mag zwar wegen der ebenso strauchelnden Mitstreiter Union Berlin oder SC Paderborn nicht in akuter Gefahr sein – das Vertrauen der Fans hingegen schon.
Sie haben genug gesehen von einer Mannschaft, die offenbar nur in den vermeintlich „großen“ Spielen auf den Punkt fokussiert ist. Und nicht einmal der Einzug ins Pokalhalbfinale gegen RB Leipzig sorgt für Besänftigung. Wie will dieses Team gegen einen Champions-League-Aspiranten bestehen, wenn es sogar in der Zweiten Bundesliga gegen auf dem Papier deutlich schwächere Mannschaften regelmäßig enttäuscht?
Daran hat auch der Trainerwechsel von Christian Titz zu Hannes Wolf wenig verändert. Sportvorstand Ralf Becker rechtfertigte den unpopulären Wechsel im vergangenen Herbst mit der Begründung, dass das Erreichen des Saisonziels Wiederaufstieg in Gefahr sei. Tatsächlich gelang es seiner Neuverpflichtung Wolf, die Mannschaft zu stabilisieren und bis zur Winterpause viele wichtige Punkte einzufahren.
Überzeugend waren die Auftritte aber selten; schon gar nicht über mehrere Spiele in Folge. Dem HSV reichte bisher Minimalismus, um sich irgendwie durch die Saison zu wursteln. Seit dem Jahreswechsel stimmen jedoch auch die Resultate nicht mehr. Mit nur 14 Punkten aus elf Partien belegt der HSV den elften Rang der Rückrundentabelle. Der Fußball ist auch nicht wesentlich besser geworden – im Gegenteil.
Eine Ergebniskrise wäre jedoch angesichts zahlreicher Verletzungsprobleme bei wichtigen Stammspielern wie Kapitän Aaron Hunt oder der Unerfahrenheit des jungen Kaders noch irgendwie zu rechtfertigen gewesen. Doch die Fans stören sich vor allem an der Einstellung, mit der die Mannschaft ihre Spiele bestreitet.
„Jeder muss sich in dieser Woche hinterfragen – jeder Einzelne: Investiere ich alles? Bin ich nur auf Höhe im Pokal oder auch, wenn Magdeburg hierherkommt?“, monierte Ersatzkapitän Lewis Holtby nach der 1:2-Pleite in der vergangenen Woche. Fehlt es dieser Mannschaft etwa an der notwendigen Ernsthaftigkeit im Liga-Alltag? Oder kann sie es einfach nicht besser?
Den Hamburger SV nachhaltig auf Kurs zu bringen, ist eine Aufgabe, an der schon viele Trainer gescheitert sind. Hannes Wolf allein wird sie nicht meistern können, dazu bedarf es Unterstützung von oben. Die bekommt er, indem die Bosse ihm eine uneingeschränkte „Jobgarantie“ aussprechen. Sie dürfen sich einen weiteren Trainerwechsel in dieser Saison ohnehin nicht mehr erlauben, weil sie damit selbst ins Zentrum der Kritik rücken würden. Deshalb gilt bis auf Weiteres: Augen zu und durch.
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