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Archiv-Artikel

Lädchen für das Land

LEBENSMITTEL Wer auf dem Dorf lebt, muss für den Einkauf oft in die nächste Stadt. Minimärkte sollen das ändern

VON STEFFEN GRIMBERG

Fahl liegt das Dorf im Sonnenlicht, kein Windhauch regt sich. Die Straße: leer, die Vorgärten: aufgeräumt, die Häuser: verlassen. Wären wir in einem Western, würde gleich der unvermeidliche Dornenbusch durchs Bild rollen. Abterode macht da eine Ausnahme, schließlich liegt es nicht im amerikanischen Westen, sondern im Schatten des Hohen Meissner, nördliches Nordhessen. Und noch etwas ist anders: Der Mensch dort, plötzlich auf der Straße – er geht nicht zum Saloon. Er geht zum Lädchen.

Denn das haben sie wieder in Abterode, nach langer Pause. Die letzte Einkaufsmöglichkeit, die die rund eintausend Dorfbewohner mit Lebensmitteln versorgen konnte, war ein Spar in der Gegend, der vor zehn Jahren schloss. Abterode, das mit diversen anderen -rodes zur Gemeinde Meissner gehört, war typisch für deutsches Landleben: Wer einkaufen wollte, musste fahren.

Bis vor gut einem Jahr das Lädchen kam: Rund 3.000 Artikel gibt es hier, das schafft kein Tante-Emma-Laden. Es gibt frisches Brot und Teilchen vom Herzberger Bäcker ganz in bio, Obst und Gemüse, Fleisch und Wurst sind abgepackt. „Das ist deutlich mehr als das Überlebenssortiment, wir haben allein zehn Sorten Zahnpasta“, sagt Knut John.

Nur mit dem Platz ist das so eine Sache in Abterode, grinsend bittet John „in unseren Getränkemarkt“. Der bietet zumindest in der kälteren Jahreszeit optimal temperiertes Bier und Wasser, die Kästen stehen nämlich draußen vorm Eingang. Drinnen kaufen Kinder Süßes, ein Mitarbeiter der Deutschen Bahn versorgt sich für die Pause, „einmalig gut“ findet die ältere Dame, dass sie wieder „zu Hause einkaufen kann, wurde auch langsam Zeit“.

Dabei hatte sich das Dorf bemüht, sogar extra eine Freifläche günstig angeboten, um einen Supermarkt anzulocken. Alle winkten ab: 1.000 Menschen, rund 2.000, wenn man die Dörfer drumherum dazunimmt – zu wenig für Edeka, Rewe & Co. Was blieb, war die Shoppingtour ins 9 Kilometer entfernte Eschwege, vor allem für die Älteren ein Riesenproblem.

Eigentlich ist Tegut, die regionale Handelskette aus Fulda – Slogan „tegut … gute Lebensmittel“ – ebenfalls mit ganz normalen Supermärkten unterwegs, in Hessen, Nordbayern und Südniedersachsen. Irgendwann aber hatte Vertriebsleiter John diese Lädchen-Idee, und weil Tegut dann doch keine ganz übliche Supermarktkette ist, läuft das Ding seitdem: 14 Lädchen gibt es aktuell, mehrere Neueröffnungen sind noch dieses Jahr geplant.

Die meisten sind gleich auch Integrationsprojekte, in den Lädchen arbeiten „Menschen mit und ohne Handicap“, heißt es bei Tegut. In Abterode, Gertenbach und Eschwege betreibt Tegut die Filialen mit dem Verein Aufwind, der schwerbehinderten Menschen im Werra-Meissner-Kreis Zutritt zum Arbeitsmarkt ermöglichen soll. Doch das, sagt Aufwind-Chef Rolf Eckhardt, entpuppt sich als eher schwieriges Unterfangen: „Die Chancen standen schlecht, also haben wir uns entschlossen, selbst Arbeitgeber zu werden.“ Jetzt teilt man sich die Verantwortung: Tegut ist Eigentümer der Ladeneinrichtung und vor allem der Ware, den Rest managt Aufwind. Das Geschäftsziel: Mindestens eine schwarze Null, „die muss sein“, sagt Vertriebschef John, nicht alle Standorte sind Integrationsprojekte, bei denen auch Fördermittel fließen. Fünf Lädchen werden von privaten Inhabern geführt.

Und das wohl vorbildlich, die Gemeinden stünden jedenfalls Schlange, wenn sie könnten, sagt John, „seit der Schlecker-Pleite hat das noch mal enorm Aufwind bekommen“. Auch vom Tegut-Lädchen in Abterode schaut man auf ein verrammeltes Ladenlokal gegenüber, das mal ein Schlecker war. Weil der nun dicht ist, hat das Lädchen sein Drogerie-Sortiment aufgestockt. Und Filialleiter Daniel Hühmer ein neues Platzproblem.

„Dafür kommen manche der älteren Damen jetzt dreimal am Tag“, sagt Hühmer, „nicht weil sie so viel Hunger hätten, sondern weil man hier auch ein Schwätzchen halten oder eben eine Tasse Kaffee trinken kann.“ Die Kaffee-Ecke, ein fester Bestandteil aller Tegut-Lädchen, teilt in Abterode das Schicksal des „Getränkemarkts“ – Tisch und Stühle stehen lauschig vor der Tür.

In Eschwege ist das anders, dort betreiben Aufwind und Tegut eine Art Bezirkslädchen: in einem Viertel der Kreisstadt nämlich, in dem sonst kaum noch ein Angebot für Lebensmittel existiert. Die Stadt hat den Umbau gefördert, mit 120 Quadratmetern ist der Shop daher ein bisschen größer als der in Abterode, und die Kaffee-Ecke muss nicht ausgelagert werden.

John turnt auch hier durch die Regalreihen und präsentiert das „Reinheitsgebot“ der Tegut-Eigenmarken: keine Gentechnik, keine Geschmacksverstärker, keine künstlichen Farbstoffe. Die eigene Hausmetzgerei bietet konventionelles und Ökofleisch.

„Für uns sind die Lädchen eine Nische, die gut zu unserer Philosophie passt“, sagt John. „Die Menschen sollen überall gute Lebensmittel bekommen.“ Dazu gehöre ein anderes Konzept von „Nahversorgung“ als das der „kapitalistischen Läden“, wie John die Großen der Branche unumwunden nennt.

Beim Preis trifft man sich jedoch: Die Tegut-Lädchen können nicht mehr verlangen als die Riesen – dass Lebensmittel nicht nur gut, sondern vor allem billig sein müssen, das sei „in Deutschland ja leider sehr wichtig“.

Zurück in Abterode zeigt sich aber, warum zumindest dieses Tegut-Lädchen doch etwas Besonderes ist. Früher war es die örtliche Raiffeisen-Bankfiliale, weshalb man an der Kasse auch weiterhin wie bei der Bank Geld abheben kann.

Gebaut wurde das schmucke Haus im 19. Jahrhundert als Synagoge, die Wand- und Deckenmalereien im ersten Stock stehen unter Denkmalschutz. Die Denkmalbehörde sei zwar noch nicht von Johns nächstem Plan überzeugt, die jüdische Gemeinde allerdings schon: Er würde hier gern ein Café aufmachen.